Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

wird, er dann ergrimmt und ein verdrossenes
Gesicht zeigt; Oder wenn ein Stubengelehr¬
ter, der ganz fremd in der Welt, ohne Erzie¬
hung und ohne Menschenkenntniß ist, sich ein¬
mal aus dem Haufen seiner Bücher hervorar¬
beitet, und er dann äusserst verlegen mit seiner
Figur, buntschäckig und altväterisch angeklei¬
det, in seinem vor dreißig Jahren nach der
neuesten Mode verfertigtem Bräutigamsrocke,
da sitzt, und an nichts von allem, was gespro¬
chen wird, Antheil nehmen, keinen Faden fin¬
den kann, um mit anzuknüpfen; so gehört
das alles nicht hierher.

Eben so wenig rede ich von dem groben
Cyniker, der nach seinem Hottentotten-Syste¬
me alle Regeln verachtet, welche Convenienz
und gegenseitige Gefälligkeit den Menschen im
bürgerlichen Leben vorgeschrieben haben, noch
von dem Kraft-Genie, das sich über Sitte
Anstand und Vernunft hinauszusetzen, einen
besondern Freybrief zu haben glaubt.

Und wenn ich sage, daß oft auch die wei¬
sesten und klügsten Menschen in der Welt, im

Um¬

wird, er dann ergrimmt und ein verdroſſenes
Geſicht zeigt; Oder wenn ein Stubengelehr¬
ter, der ganz fremd in der Welt, ohne Erzie¬
hung und ohne Menſchenkenntniß iſt, ſich ein¬
mal aus dem Haufen ſeiner Buͤcher hervorar¬
beitet, und er dann aͤuſſerſt verlegen mit ſeiner
Figur, buntſchaͤckig und altvaͤteriſch angeklei¬
det, in ſeinem vor dreißig Jahren nach der
neueſten Mode verfertigtem Braͤutigamsrocke,
da ſitzt, und an nichts von allem, was geſpro¬
chen wird, Antheil nehmen, keinen Faden fin¬
den kann, um mit anzuknuͤpfen; ſo gehoͤrt
das alles nicht hierher.

Eben ſo wenig rede ich von dem groben
Cyniker, der nach ſeinem Hottentotten-Syſte¬
me alle Regeln verachtet, welche Convenienz
und gegenſeitige Gefaͤlligkeit den Menſchen im
buͤrgerlichen Leben vorgeſchrieben haben, noch
von dem Kraft-Genie, das ſich uͤber Sitte
Anſtand und Vernunft hinauszuſetzen, einen
beſondern Freybrief zu haben glaubt.

Und wenn ich ſage, daß oft auch die wei¬
ſeſten und kluͤgſten Menſchen in der Welt, im

Um¬
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0036" n="6"/>
wird, er dann ergrimmt und ein verdro&#x017F;&#x017F;enes<lb/>
Ge&#x017F;icht zeigt; Oder wenn ein Stubengelehr¬<lb/>
ter, der ganz fremd in der Welt, ohne Erzie¬<lb/>
hung und ohne Men&#x017F;chenkenntniß i&#x017F;t, &#x017F;ich ein¬<lb/>
mal aus dem Haufen &#x017F;einer Bu&#x0364;cher hervorar¬<lb/>
beitet, und er dann a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t verlegen mit &#x017F;einer<lb/>
Figur, bunt&#x017F;cha&#x0364;ckig und altva&#x0364;teri&#x017F;ch angeklei¬<lb/>
det, in &#x017F;einem vor dreißig Jahren nach der<lb/>
neue&#x017F;ten Mode verfertigtem Bra&#x0364;utigamsrocke,<lb/>
da &#x017F;itzt, und an nichts von allem, was ge&#x017F;pro¬<lb/>
chen wird, Antheil nehmen, keinen Faden fin¬<lb/>
den kann, um mit anzuknu&#x0364;pfen; &#x017F;o geho&#x0364;rt<lb/>
das alles nicht hierher.</p><lb/>
          <p>Eben &#x017F;o wenig rede ich von dem groben<lb/>
Cyniker, der nach &#x017F;einem Hottentotten-Sy&#x017F;te¬<lb/>
me alle Regeln verachtet, welche Convenienz<lb/>
und gegen&#x017F;eitige Gefa&#x0364;lligkeit den Men&#x017F;chen im<lb/>
bu&#x0364;rgerlichen Leben vorge&#x017F;chrieben haben, noch<lb/>
von dem Kraft-Genie, das &#x017F;ich u&#x0364;ber Sitte<lb/>
An&#x017F;tand und Vernunft hinauszu&#x017F;etzen, einen<lb/>
be&#x017F;ondern Freybrief zu haben glaubt.</p><lb/>
          <p>Und wenn ich &#x017F;age, daß oft auch die wei¬<lb/>
&#x017F;e&#x017F;ten und klu&#x0364;g&#x017F;ten Men&#x017F;chen in der Welt, im<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Um¬<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0036] wird, er dann ergrimmt und ein verdroſſenes Geſicht zeigt; Oder wenn ein Stubengelehr¬ ter, der ganz fremd in der Welt, ohne Erzie¬ hung und ohne Menſchenkenntniß iſt, ſich ein¬ mal aus dem Haufen ſeiner Buͤcher hervorar¬ beitet, und er dann aͤuſſerſt verlegen mit ſeiner Figur, buntſchaͤckig und altvaͤteriſch angeklei¬ det, in ſeinem vor dreißig Jahren nach der neueſten Mode verfertigtem Braͤutigamsrocke, da ſitzt, und an nichts von allem, was geſpro¬ chen wird, Antheil nehmen, keinen Faden fin¬ den kann, um mit anzuknuͤpfen; ſo gehoͤrt das alles nicht hierher. Eben ſo wenig rede ich von dem groben Cyniker, der nach ſeinem Hottentotten-Syſte¬ me alle Regeln verachtet, welche Convenienz und gegenſeitige Gefaͤlligkeit den Menſchen im buͤrgerlichen Leben vorgeſchrieben haben, noch von dem Kraft-Genie, das ſich uͤber Sitte Anſtand und Vernunft hinauszuſetzen, einen beſondern Freybrief zu haben glaubt. Und wenn ich ſage, daß oft auch die wei¬ ſeſten und kluͤgſten Menſchen in der Welt, im Um¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/36
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/36>, abgerufen am 24.11.2024.