Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.

Auf ihm ruhet die Nacht in kalten weinenden Wolken,
Unter ihr Eis und nordischer Schnee in unfruchtbaren
Tiefen,

Wo zur Einöd und Nacht und deiner Gesellschaft ver-
dammet,

Nächtliche Vögel die tausendjährigen Eichen durch-
irren.

Dieses ist dein Erbtheil. Wir werden, verachteter Jün-
ger,

Vor dir die übrigen Eilfe mit triumphirender Stirne
Königlich vorbeygehn, und kaum im Staube dich
merken!

Juda, du weinest vor Gram und edelmüthigem Zorne!
Sohn, du weinest umsonst, umsonst sind alle die Thrä-
nen,

Die du in deiner Verzweiflung vergießt, wenn du selbst
dir nicht beystehst!

Höre mich an! Jch schliesse dir ganz mein väterlich Herz
auf.

Siehe, der Messias verzieht mit seiner Erlösung,
Und mit dem herrlichen Reich, das er aufzurichten ver-
heissen.

Nichts ist den Grossen in Juda verhaßter, als dieses Reich
JEsu!

Täglich sinnen sie ihm den Tod aus. Verstelle dich,
Juda.

Thu, als wolltest du ihn in die Hand der wartenden
Priester

Ueberliefern; nicht Rache zu üben, weil er dich hasset,
Das sey ferne von dir! er würd ihr spotten, und immer
Unüberwindlich dem Arm der Widersacher entrinnen:
Sondern ihn nur dadurch zu bewegen, damit er sich
endlich

Jhrer Verfolgungen überdrüssig und furchtbarer zei-
ge.

Und, sie mit Schande, Bestürzung und Schmach zu Bo-
den zu schlagen,

Sein so lang erwartetes Reich auf einmal errichte.

Alsdann

Der Meſſias.

Auf ihm ruhet die Nacht in kalten weinenden Wolken,
Unter ihr Eis und nordiſcher Schnee in unfruchtbaren
Tiefen,

Wo zur Einoͤd und Nacht und deiner Geſellſchaft ver-
dammet,

Naͤchtliche Voͤgel die tauſendjaͤhrigen Eichen durch-
irren.

Dieſes iſt dein Erbtheil. Wir werden, verachteter Juͤn-
ger,

Vor dir die uͤbrigen Eilfe mit triumphirender Stirne
Koͤniglich vorbeygehn, und kaum im Staube dich
merken!

Juda, du weineſt vor Gram und edelmuͤthigem Zorne!
Sohn, du weineſt umſonſt, umſonſt ſind alle die Thraͤ-
nen,

Die du in deiner Verzweiflung vergießt, wenn du ſelbſt
dir nicht beyſtehſt!

Hoͤre mich an! Jch ſchlieſſe dir ganz mein vaͤterlich Herz
auf.

Siehe, der Meſſias verzieht mit ſeiner Erloͤſung,
Und mit dem herrlichen Reich, das er aufzurichten ver-
heiſſen.

Nichts iſt den Groſſen in Juda verhaßter, als dieſes Reich
JEſu!

Taͤglich ſinnen ſie ihm den Tod aus. Verſtelle dich,
Juda.

Thu, als wollteſt du ihn in die Hand der wartenden
Prieſter

Ueberliefern; nicht Rache zu uͤben, weil er dich haſſet,
Das ſey ferne von dir! er wuͤrd ihr ſpotten, und immer
Unuͤberwindlich dem Arm der Widerſacher entrinnen:
Sondern ihn nur dadurch zu bewegen, damit er ſich
endlich

Jhrer Verfolgungen uͤberdruͤſſig und furchtbarer zei-
ge.

Und, ſie mit Schande, Beſtuͤrzung und Schmach zu Bo-
den zu ſchlagen,

Sein ſo lang erwartetes Reich auf einmal errichte.

Alsdann
<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <lg n="34">
          <l>
            <pb facs="#f0134" n="130"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
          </l><lb/>
          <l>Auf ihm ruhet die Nacht in kalten weinenden Wolken,</l><lb/>
          <l>Unter ihr Eis und nordi&#x017F;cher Schnee in unfruchtbaren<lb/><hi rendition="#et">Tiefen,</hi></l><lb/>
          <l>Wo zur Eino&#x0364;d und Nacht und deiner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ver-<lb/><hi rendition="#et">dammet,</hi></l><lb/>
          <l>Na&#x0364;chtliche Vo&#x0364;gel die tau&#x017F;endja&#x0364;hrigen Eichen durch-<lb/><hi rendition="#et">irren.</hi></l><lb/>
          <l>Die&#x017F;es i&#x017F;t dein Erbtheil. Wir werden, verachteter Ju&#x0364;n-<lb/><hi rendition="#et">ger,</hi></l><lb/>
          <l>Vor dir die u&#x0364;brigen Eilfe mit triumphirender Stirne</l><lb/>
          <l>Ko&#x0364;niglich vorbeygehn, und kaum im Staube dich<lb/><hi rendition="#et">merken!</hi></l><lb/>
          <l>Juda, du weine&#x017F;t vor Gram und edelmu&#x0364;thigem Zorne!</l><lb/>
          <l>Sohn, du weine&#x017F;t um&#x017F;on&#x017F;t, um&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ind alle die Thra&#x0364;-<lb/><hi rendition="#et">nen,</hi></l><lb/>
          <l>Die du in deiner Verzweiflung vergießt, wenn du &#x017F;elb&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">dir nicht bey&#x017F;teh&#x017F;t!</hi></l><lb/>
          <l>Ho&#x0364;re mich an! Jch &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;e dir ganz mein va&#x0364;terlich Herz<lb/><hi rendition="#et">auf.</hi></l><lb/>
          <l>Siehe, der Me&#x017F;&#x017F;ias verzieht mit &#x017F;einer Erlo&#x0364;&#x017F;ung,</l><lb/>
          <l>Und mit dem herrlichen Reich, das er aufzurichten ver-<lb/><hi rendition="#et">hei&#x017F;&#x017F;en.</hi></l><lb/>
          <l>Nichts i&#x017F;t den Gro&#x017F;&#x017F;en in Juda verhaßter, als die&#x017F;es Reich<lb/><hi rendition="#et">JE&#x017F;u!</hi></l><lb/>
          <l>Ta&#x0364;glich &#x017F;innen &#x017F;ie ihm den Tod aus. Ver&#x017F;telle dich,<lb/><hi rendition="#et">Juda.</hi></l><lb/>
          <l>Thu, als wollte&#x017F;t du ihn in die Hand der wartenden<lb/><hi rendition="#et">Prie&#x017F;ter</hi></l><lb/>
          <l>Ueberliefern; nicht Rache zu u&#x0364;ben, weil er dich ha&#x017F;&#x017F;et,</l><lb/>
          <l>Das &#x017F;ey ferne von dir! er wu&#x0364;rd ihr &#x017F;potten, und immer</l><lb/>
          <l>Unu&#x0364;berwindlich dem Arm der Wider&#x017F;acher entrinnen:</l><lb/>
          <l>Sondern ihn nur dadurch zu bewegen, damit er &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">endlich</hi></l><lb/>
          <l>Jhrer Verfolgungen u&#x0364;berdru&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig und furchtbarer zei-<lb/><hi rendition="#et">ge.</hi></l><lb/>
          <l>Und, &#x017F;ie mit Schande, Be&#x017F;tu&#x0364;rzung und Schmach zu Bo-<lb/><hi rendition="#et">den zu &#x017F;chlagen,</hi></l><lb/>
          <l>Sein &#x017F;o lang erwartetes Reich auf einmal errichte.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Alsdann</fw><lb/></l>
        </lg>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0134] Der Meſſias. Auf ihm ruhet die Nacht in kalten weinenden Wolken, Unter ihr Eis und nordiſcher Schnee in unfruchtbaren Tiefen, Wo zur Einoͤd und Nacht und deiner Geſellſchaft ver- dammet, Naͤchtliche Voͤgel die tauſendjaͤhrigen Eichen durch- irren. Dieſes iſt dein Erbtheil. Wir werden, verachteter Juͤn- ger, Vor dir die uͤbrigen Eilfe mit triumphirender Stirne Koͤniglich vorbeygehn, und kaum im Staube dich merken! Juda, du weineſt vor Gram und edelmuͤthigem Zorne! Sohn, du weineſt umſonſt, umſonſt ſind alle die Thraͤ- nen, Die du in deiner Verzweiflung vergießt, wenn du ſelbſt dir nicht beyſtehſt! Hoͤre mich an! Jch ſchlieſſe dir ganz mein vaͤterlich Herz auf. Siehe, der Meſſias verzieht mit ſeiner Erloͤſung, Und mit dem herrlichen Reich, das er aufzurichten ver- heiſſen. Nichts iſt den Groſſen in Juda verhaßter, als dieſes Reich JEſu! Taͤglich ſinnen ſie ihm den Tod aus. Verſtelle dich, Juda. Thu, als wollteſt du ihn in die Hand der wartenden Prieſter Ueberliefern; nicht Rache zu uͤben, weil er dich haſſet, Das ſey ferne von dir! er wuͤrd ihr ſpotten, und immer Unuͤberwindlich dem Arm der Widerſacher entrinnen: Sondern ihn nur dadurch zu bewegen, damit er ſich endlich Jhrer Verfolgungen uͤberdruͤſſig und furchtbarer zei- ge. Und, ſie mit Schande, Beſtuͤrzung und Schmach zu Bo- den zu ſchlagen, Sein ſo lang erwartetes Reich auf einmal errichte. Alsdann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die ersten drei Gesänge von Klopstocks ‚Messias‘ … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/134
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/134>, abgerufen am 02.05.2024.