Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Der Messias.

Jndem erschien dem Jünger im Traume sein Vater und
sah ihn
Mit der Mine, mit der er den Geist voll Seelenangst
ausblies,
Und noch mit sterbendem Ton von des Reichthums Se-
ligkeit seufzte,
Trostlos und sorgenvoll an, und sprach mit bebender
Stimme:

Und du schläfft, Jscharioth, hier unbekümmert und
ruhig?
Und entfernst dich so lange von JEsu, als wenn du nicht
wüßtest,
Daß er dich haßt, und die übrigen Jünger dir insgesammt
vorzieht!
Warum bist du nicht immer bey ihm, und um ihn zuge-
gen?
Warum suchest du nicht von neuem sein Herz zu gewin-
nen?
Wem überließ, Jscharioth, dich dein sterbender Vater!
GOtt! mit welcher Vergehung hab ichs, mit welchem
Verbrechen
Hats mein Geschlecht verdient, daß ich aus dem Reiche
der Schatten
Kommen, und um Jscharioth hier und sein trauriges
Schicksal
Weinen muß? Ach meynst du, du werdest im Reiche des
Mittlers,
Das er errichten wird, glücklicher seyn: so betrügst du
dich, Aermster,
Kennest du nicht Petrum, kennst du die Zebedäiden,
Diese

Der Meſſias.

Jndem erſchien dem Juͤnger im Traume ſein Vater und
ſah ihn
Mit der Mine, mit der er den Geiſt voll Seelenangſt
ausblies,
Und noch mit ſterbendem Ton von des Reichthums Se-
ligkeit ſeufzte,
Troſtlos und ſorgenvoll an, und ſprach mit bebender
Stimme:

Und du ſchlaͤfft, Jſcharioth, hier unbekuͤmmert und
ruhig?
Und entfernſt dich ſo lange von JEſu, als wenn du nicht
wuͤßteſt,
Daß er dich haßt, und die uͤbrigen Juͤnger dir insgeſammt
vorzieht!
Warum biſt du nicht immer bey ihm, und um ihn zuge-
gen?
Warum ſucheſt du nicht von neuem ſein Herz zu gewin-
nen?
Wem uͤberließ, Jſcharioth, dich dein ſterbender Vater!
GOtt! mit welcher Vergehung hab ichs, mit welchem
Verbrechen
Hats mein Geſchlecht verdient, daß ich aus dem Reiche
der Schatten
Kommen, und um Jſcharioth hier und ſein trauriges
Schickſal
Weinen muß? Ach meynſt du, du werdeſt im Reiche des
Mittlers,
Das er errichten wird, gluͤcklicher ſeyn: ſo betruͤgſt du
dich, Aermſter,
Kenneſt du nicht Petrum, kennſt du die Zebedaͤiden,
Dieſe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <lg n="33">
          <l>
            <pb facs="#f0132" n="128"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw>
          </l><lb/>
          <l>Jndem er&#x017F;chien dem Ju&#x0364;nger im Traume &#x017F;ein Vater und<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ah ihn</hi></l><lb/>
          <l>Mit der Mine, mit der er den Gei&#x017F;t voll Seelenang&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">ausblies,</hi></l><lb/>
          <l>Und noch mit &#x017F;terbendem Ton von des Reichthums Se-<lb/><hi rendition="#et">ligkeit &#x017F;eufzte,</hi></l><lb/>
          <l>Tro&#x017F;tlos und &#x017F;orgenvoll an, und &#x017F;prach mit bebender<lb/><hi rendition="#et">Stimme:</hi></l>
        </lg><lb/>
        <lg n="34">
          <l>Und du &#x017F;chla&#x0364;fft, J&#x017F;charioth, hier unbeku&#x0364;mmert und<lb/><hi rendition="#et">ruhig?</hi></l><lb/>
          <l>Und entfern&#x017F;t dich &#x017F;o lange von JE&#x017F;u, als wenn du nicht<lb/><hi rendition="#et">wu&#x0364;ßte&#x017F;t,</hi></l><lb/>
          <l>Daß er dich haßt, und die u&#x0364;brigen Ju&#x0364;nger dir insge&#x017F;ammt<lb/><hi rendition="#et">vorzieht!</hi></l><lb/>
          <l>Warum bi&#x017F;t du nicht immer bey ihm, und um ihn zuge-<lb/><hi rendition="#et">gen?</hi></l><lb/>
          <l>Warum &#x017F;uche&#x017F;t du nicht von neuem &#x017F;ein Herz zu gewin-<lb/><hi rendition="#et">nen?</hi></l><lb/>
          <l>Wem u&#x0364;berließ, J&#x017F;charioth, dich dein &#x017F;terbender Vater!</l><lb/>
          <l>GOtt! mit welcher Vergehung hab ichs, mit welchem<lb/><hi rendition="#et">Verbrechen</hi></l><lb/>
          <l>Hats mein Ge&#x017F;chlecht verdient, daß ich aus dem Reiche<lb/><hi rendition="#et">der Schatten</hi></l><lb/>
          <l>Kommen, und um J&#x017F;charioth hier und &#x017F;ein trauriges<lb/><hi rendition="#et">Schick&#x017F;al</hi></l><lb/>
          <l>Weinen muß? Ach meyn&#x017F;t du, du werde&#x017F;t im Reiche des<lb/><hi rendition="#et">Mittlers,</hi></l><lb/>
          <l>Das er errichten wird, glu&#x0364;cklicher &#x017F;eyn: &#x017F;o betru&#x0364;g&#x017F;t du<lb/><hi rendition="#et">dich, Aerm&#x017F;ter,</hi></l><lb/>
          <l>Kenne&#x017F;t du nicht Petrum, kenn&#x017F;t du die Zebeda&#x0364;iden,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;e</fw><lb/></l>
        </lg>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0132] Der Meſſias. Jndem erſchien dem Juͤnger im Traume ſein Vater und ſah ihn Mit der Mine, mit der er den Geiſt voll Seelenangſt ausblies, Und noch mit ſterbendem Ton von des Reichthums Se- ligkeit ſeufzte, Troſtlos und ſorgenvoll an, und ſprach mit bebender Stimme: Und du ſchlaͤfft, Jſcharioth, hier unbekuͤmmert und ruhig? Und entfernſt dich ſo lange von JEſu, als wenn du nicht wuͤßteſt, Daß er dich haßt, und die uͤbrigen Juͤnger dir insgeſammt vorzieht! Warum biſt du nicht immer bey ihm, und um ihn zuge- gen? Warum ſucheſt du nicht von neuem ſein Herz zu gewin- nen? Wem uͤberließ, Jſcharioth, dich dein ſterbender Vater! GOtt! mit welcher Vergehung hab ichs, mit welchem Verbrechen Hats mein Geſchlecht verdient, daß ich aus dem Reiche der Schatten Kommen, und um Jſcharioth hier und ſein trauriges Schickſal Weinen muß? Ach meynſt du, du werdeſt im Reiche des Mittlers, Das er errichten wird, gluͤcklicher ſeyn: ſo betruͤgſt du dich, Aermſter, Kenneſt du nicht Petrum, kennſt du die Zebedaͤiden, Dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die ersten drei Gesänge von Klopstocks ‚Messias‘ … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/132
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Der Messias. Ein Heldengedicht. Halle, 1749, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias_1749/132>, abgerufen am 02.05.2024.