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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

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Achtzehnter Gesang.
Dieses war die Religion, die ihr Thoren verkanntet,
Ach, nicht kennen wolltet, mit bitterm Spotte verwarfet!
Jhr, die fühllos Sein letztes Rufen am Kreuze vernahmen:
Schon sind viel Aeonen vorbey, daß sein Auge sich aufschloß,
Und der verstummende Mund Entscheidung des Richters der Welt
sprach!
Meldet's im Thore des Todes, sagt's an in den Pforten der Hölle:
O wie sind sie gefallen die Höhn, die gen Himmel drohten!
Bald wird jeder gerichtete Droher dort in dem Abgrund
Jammern, sein Antlitz erheben, und gegen den andern sich wenden:
Weine mit mir um unsre Geburt, um die Stunde der Schöpfung,
Die uns dieser Ewigkeit schuf! So werden sie sagen.
Denn der Getödtete sitzt auf dem Throne, die Frevler zu richten!

Dieses sagt' er. Jtzt sprach mit stiller Hoheit der Richter:
Nach den Stunden der Erde bestimmt, ist am Abend die Stunde,
Welche richtet, gekommen. Jhr hieltet Wahn sie; sie aber
Jst gekommen. So wähnte der Wurm, seit gestern Bewohner
Eines Staubs, daß sich droben im Himmel der Donner nicht rüste.
Also krümmtet ihr euch in eurer Enge. Die Stunde
Jst gekommen, und hat die Hasser der ernsteren Tugend
Alle gewogen, und sie zu leicht auf der Wage gefunden.
Du, der schlagendes Leben für Seele, sie Erbin des Grabs hielt,
Sünder, sie |starb nicht; und der dir am Kreuze zu blutig ver-
stummte,
Er ist ewig. Das war er, eh du, dazu nicht geschaffen,
Dich erhubst, den versöhnenden Todten zu schmähen. Jehova,
Gnädig, und geduldig, der sich des Menschen erbarmte,
Noch,
G 2

Achtzehnter Geſang.
Dieſes war die Religion, die ihr Thoren verkanntet,
Ach, nicht kennen wolltet, mit bitterm Spotte verwarfet!
Jhr, die fuͤhllos Sein letztes Rufen am Kreuze vernahmen:
Schon ſind viel Aeonen vorbey, daß ſein Auge ſich aufſchloß,
Und der verſtummende Mund Entſcheidung des Richters der Welt
ſprach!
Meldet’s im Thore des Todes, ſagt’s an in den Pforten der Hoͤlle:
O wie ſind ſie gefallen die Hoͤhn, die gen Himmel drohten!
Bald wird jeder gerichtete Droher dort in dem Abgrund
Jammern, ſein Antlitz erheben, und gegen den andern ſich wenden:
Weine mit mir um unſre Geburt, um die Stunde der Schoͤpfung,
Die uns dieſer Ewigkeit ſchuf! So werden ſie ſagen.
Denn der Getoͤdtete ſitzt auf dem Throne, die Frevler zu richten!

Dieſes ſagt’ er. Jtzt ſprach mit ſtiller Hoheit der Richter:
Nach den Stunden der Erde beſtimmt, iſt am Abend die Stunde,
Welche richtet, gekommen. Jhr hieltet Wahn ſie; ſie aber
Jſt gekommen. So waͤhnte der Wurm, ſeit geſtern Bewohner
Eines Staubs, daß ſich droben im Himmel der Donner nicht ruͤſte.
Alſo kruͤmmtet ihr euch in eurer Enge. Die Stunde
Jſt gekommen, und hat die Haſſer der ernſteren Tugend
Alle gewogen, und ſie zu leicht auf der Wage gefunden.
Du, der ſchlagendes Leben fuͤr Seele, ſie Erbin des Grabs hielt,
Suͤnder, ſie |ſtarb nicht; und der dir am Kreuze zu blutig ver-
ſtummte,
Er iſt ewig. Das war er, eh du, dazu nicht geſchaffen,
Dich erhubſt, den verſoͤhnenden Todten zu ſchmaͤhen. Jehova,
Gnaͤdig, und geduldig, der ſich des Menſchen erbarmte,
Noch,
G 2
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[99/0099] Achtzehnter Geſang. Dieſes war die Religion, die ihr Thoren verkanntet, Ach, nicht kennen wolltet, mit bitterm Spotte verwarfet! Jhr, die fuͤhllos Sein letztes Rufen am Kreuze vernahmen: Schon ſind viel Aeonen vorbey, daß ſein Auge ſich aufſchloß, Und der verſtummende Mund Entſcheidung des Richters der Welt ſprach! Meldet’s im Thore des Todes, ſagt’s an in den Pforten der Hoͤlle: O wie ſind ſie gefallen die Hoͤhn, die gen Himmel drohten! Bald wird jeder gerichtete Droher dort in dem Abgrund Jammern, ſein Antlitz erheben, und gegen den andern ſich wenden: Weine mit mir um unſre Geburt, um die Stunde der Schoͤpfung, Die uns dieſer Ewigkeit ſchuf! So werden ſie ſagen. Denn der Getoͤdtete ſitzt auf dem Throne, die Frevler zu richten! Dieſes ſagt’ er. Jtzt ſprach mit ſtiller Hoheit der Richter: Nach den Stunden der Erde beſtimmt, iſt am Abend die Stunde, Welche richtet, gekommen. Jhr hieltet Wahn ſie; ſie aber Jſt gekommen. So waͤhnte der Wurm, ſeit geſtern Bewohner Eines Staubs, daß ſich droben im Himmel der Donner nicht ruͤſte. Alſo kruͤmmtet ihr euch in eurer Enge. Die Stunde Jſt gekommen, und hat die Haſſer der ernſteren Tugend Alle gewogen, und ſie zu leicht auf der Wage gefunden. Du, der ſchlagendes Leben fuͤr Seele, ſie Erbin des Grabs hielt, Suͤnder, ſie |ſtarb nicht; und der dir am Kreuze zu blutig ver- ſtummte, Er iſt ewig. Das war er, eh du, dazu nicht geſchaffen, Dich erhubſt, den verſoͤhnenden Todten zu ſchmaͤhen. Jehova, Gnaͤdig, und geduldig, der ſich des Menſchen erbarmte, Noch, G 2

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/99>, abgerufen am 02.05.2024.