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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

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Der Messias.
Noch, wenn er rang mit dem Tod', und wer er gewesen war,
fühlte,
Tilg, o Vater, aus deinem Bache der Lästerer Namen.
Sie sind meine Brüder nicht mehr. Sie haben den Mittler
Deines Bundes, sein Blut, die Todesangst, die gebrochnen
Starren Augen am Kreuz, die Auferstehung, und Auffahrt,
Jede Wonne des Sohns, und jede Thrän' entheiligt.
Ja um meiner Leiden, um meiner Menschlichkeit willen,
Meines verstummenden Todes, der Auferstehung vom Tode,
Meiner Erhebung zum Thron, um meiner Herrlichkeit willen,
Geht von meinem Antlitz, und seyd's, wozu ihr euch selbst schuft!

Also sprach er ihr Todesurtheil; das drang in die Tiefe
Jhrer Seelen, und wafnete gegen sie mit Flammen
Jhr Gewissen. Sie wollten zu ihm aufsehen; vermochten's
Nicht, und sanken dahin. Denn aus den Wunden des Sohns rann
Blut nicht mehr; der donnernde Thron war nicht Golgatha's Hügel,
Und die Stimme vom Thron nicht Rufen um Gnade! Doch Einer
Riß sich vom Staub' empor, und wagt's, auf den Richter zu schauen,
Warf die Arm' aus einander, und rufte, daß die Gefild' es
Rings umher, und die Himmel vernahmen: Weil denn die
Erbarmung
Also begränzt ist; so sey's nicht die Allmacht! Nimm, o du Rächer!
Deinen Donner, und tödte mich ganz, wenn dein Donner
auch Seelen
Zu vernichten vermag, daß ich flamm', und Staub sey, und sterbe!
Noch mit sinkender Hand noch Asche der offenen Wunde
Wütend nehme, gen Himmel sie streue! daß meine Seele
Jn

Der Meſſias.
Noch, wenn er rang mit dem Tod’, und wer er geweſen war,
fuͤhlte,
Tilg, o Vater, aus deinem Bache der Laͤſterer Namen.
Sie ſind meine Bruͤder nicht mehr. Sie haben den Mittler
Deines Bundes, ſein Blut, die Todesangſt, die gebrochnen
Starren Augen am Kreuz, die Auferſtehung, und Auffahrt,
Jede Wonne des Sohns, und jede Thraͤn’ entheiligt.
Ja um meiner Leiden, um meiner Menſchlichkeit willen,
Meines verſtummenden Todes, der Auferſtehung vom Tode,
Meiner Erhebung zum Thron, um meiner Herrlichkeit willen,
Geht von meinem Antlitz, und ſeyd’s, wozu ihr euch ſelbſt ſchuft!

Alſo ſprach er ihr Todesurtheil; das drang in die Tiefe
Jhrer Seelen, und wafnete gegen ſie mit Flammen
Jhr Gewiſſen. Sie wollten zu ihm aufſehen; vermochten’s
Nicht, und ſanken dahin. Denn aus den Wunden des Sohns rann
Blut nicht mehr; der donnernde Thron war nicht Golgatha’s Huͤgel,
Und die Stimme vom Thron nicht Rufen um Gnade! Doch Einer
Riß ſich vom Staub’ empor, und wagt’s, auf den Richter zu ſchauen,
Warf die Arm’ aus einander, und rufte, daß die Gefild’ es
Rings umher, und die Himmel vernahmen: Weil denn die
Erbarmung
Alſo begraͤnzt iſt; ſo ſey’s nicht die Allmacht! Nimm, o du Raͤcher!
Deinen Donner, und toͤdte mich ganz, wenn dein Donner
auch Seelen
Zu vernichten vermag, daß ich flamm’, und Staub ſey, und ſterbe!
Noch mit ſinkender Hand noch Aſche der offenen Wunde
Wuͤtend nehme, gen Himmel ſie ſtreue! daß meine Seele
Jn
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[100/0100] Der Meſſias. Noch, wenn er rang mit dem Tod’, und wer er geweſen war, fuͤhlte, Tilg, o Vater, aus deinem Bache der Laͤſterer Namen. Sie ſind meine Bruͤder nicht mehr. Sie haben den Mittler Deines Bundes, ſein Blut, die Todesangſt, die gebrochnen Starren Augen am Kreuz, die Auferſtehung, und Auffahrt, Jede Wonne des Sohns, und jede Thraͤn’ entheiligt. Ja um meiner Leiden, um meiner Menſchlichkeit willen, Meines verſtummenden Todes, der Auferſtehung vom Tode, Meiner Erhebung zum Thron, um meiner Herrlichkeit willen, Geht von meinem Antlitz, und ſeyd’s, wozu ihr euch ſelbſt ſchuft! Alſo ſprach er ihr Todesurtheil; das drang in die Tiefe Jhrer Seelen, und wafnete gegen ſie mit Flammen Jhr Gewiſſen. Sie wollten zu ihm aufſehen; vermochten’s Nicht, und ſanken dahin. Denn aus den Wunden des Sohns rann Blut nicht mehr; der donnernde Thron war nicht Golgatha’s Huͤgel, Und die Stimme vom Thron nicht Rufen um Gnade! Doch Einer Riß ſich vom Staub’ empor, und wagt’s, auf den Richter zu ſchauen, Warf die Arm’ aus einander, und rufte, daß die Gefild’ es Rings umher, und die Himmel vernahmen: Weil denn die Erbarmung Alſo begraͤnzt iſt; ſo ſey’s nicht die Allmacht! Nimm, o du Raͤcher! Deinen Donner, und toͤdte mich ganz, wenn dein Donner auch Seelen Zu vernichten vermag, daß ich flamm’, und Staub ſey, und ſterbe! Noch mit ſinkender Hand noch Aſche der offenen Wunde Wuͤtend nehme, gen Himmel ſie ſtreue! daß meine Seele Jn

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/100>, abgerufen am 02.05.2024.