Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Hügel, geheftet ans Kreuz! nach Labsal rief er, mit Galle
Wurd' er gelabt! am Kreuze mit langsamen Tode getödtet!

Lazarus endete so, und gieng aus der Laube. Zuletzt war
Er allein zu dem Grabe der frommen Maria gekommen.
Und er setzete sich auf die Ruhestäte der Todten,
Senkt' in frohen und wehmuthsvollen Gedanken sein Haupt: Da,
Ach da reift sie der Auferstehung! Vom todten Messias
Hörtest du nur, da du starbest, und nicht vom erstandnen; allein du
Weißt es alles, und bist, mich täuschten ja Engel, wärs anders,
Bist bey ihm! Noch segn' ich dir nach, du Schlummernde Gottes!
Doch die Unsterbliche war bey ihrem Grabe: Was hätt' ich
Jhm zu erzählen; könnt' ich mich, wie die Erstandnen des Mittlers
Sich den Zeugen entdecken, ihm auch entdecken! Allein er
Wird ja vielleicht, wie es schon sein Semida wurde, wie's Cidli
Wurde, verklärt!.. O Abend, den Gott mich erleben in diesem
Zweyten Leben läßt, glückseliger Abend, wie machen
Dich mir festlich die Pilger des Herrn! wie würde Maria,
Lebte sie, deiner sich freun! wie forschen, wer wirklich ein Pilger?
Wer ein Unsterblicher sey, schon einer der Heimath des Himmels?
Könnt' ich dir nur erscheinen; ich wollte, du Theurer, sie alle
Dir entdecken, wer noch im Staube wallet, und wer nur
Erdebewohner euch scheint. Die Unsterblichen, Lazarus, haben
Eine Hoheit, die sie nicht stets zu verbergen vermögen;
Schauen bisweilen, wie Engel, auf euch! Wer Acht hat, und sehn kann,
Sieht es. Jch rede ja da, als wär's mit dem Bach und dem Grabe.
Lazarus höret mich nicht; mich hören der Bach und das Grab nicht.
Doch will ich mich, mein Bruder, der süssen Täuschung, als könnt' ich
Mit

Der Meſſias.
Huͤgel, geheftet ans Kreuz! nach Labſal rief er, mit Galle
Wurd’ er gelabt! am Kreuze mit langſamen Tode getoͤdtet!

Lazarus endete ſo, und gieng aus der Laube. Zuletzt war
Er allein zu dem Grabe der frommen Maria gekommen.
Und er ſetzete ſich auf die Ruheſtaͤte der Todten,
Senkt’ in frohen und wehmuthsvollen Gedanken ſein Haupt: Da,
Ach da reift ſie der Auferſtehung! Vom todten Meſſias
Hoͤrteſt du nur, da du ſtarbeſt, und nicht vom erſtandnen; allein du
Weißt es alles, und biſt, mich taͤuſchten ja Engel, waͤrs anders,
Biſt bey ihm! Noch ſegn’ ich dir nach, du Schlummernde Gottes!
Doch die Unſterbliche war bey ihrem Grabe: Was haͤtt’ ich
Jhm zu erzaͤhlen; koͤnnt’ ich mich, wie die Erſtandnen des Mittlers
Sich den Zeugen entdecken, ihm auch entdecken! Allein er
Wird ja vielleicht, wie es ſchon ſein Semida wurde, wie’s Cidli
Wurde, verklaͤrt!.. O Abend, den Gott mich erleben in dieſem
Zweyten Leben laͤßt, gluͤckſeliger Abend, wie machen
Dich mir feſtlich die Pilger des Herrn! wie wuͤrde Maria,
Lebte ſie, deiner ſich freun! wie forſchen, wer wirklich ein Pilger?
Wer ein Unſterblicher ſey, ſchon einer der Heimath des Himmels?
Koͤnnt’ ich dir nur erſcheinen; ich wollte, du Theurer, ſie alle
Dir entdecken, wer noch im Staube wallet, und wer nur
Erdebewohner euch ſcheint. Die Unſterblichen, Lazarus, haben
Eine Hoheit, die ſie nicht ſtets zu verbergen vermoͤgen;
Schauen bisweilen, wie Engel, auf euch! Wer Acht hat, und ſehn kann,
Sieht es. Jch rede ja da, als waͤr’s mit dem Bach und dem Grabe.
Lazarus hoͤret mich nicht; mich hoͤren der Bach und das Grab nicht.
Doch will ich mich, mein Bruder, der ſuͤſſen Taͤuſchung, als koͤnnt’ ich
Mit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="56">
              <pb facs="#f0074" n="74"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
              <l>Hu&#x0364;gel, geheftet ans Kreuz! nach Lab&#x017F;al rief er, mit Galle</l><lb/>
              <l>Wurd&#x2019; er gelabt! am Kreuze mit lang&#x017F;amen Tode geto&#x0364;dtet!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="57">
              <l>Lazarus endete &#x017F;o, und gieng aus der Laube. Zuletzt war</l><lb/>
              <l>Er allein zu dem Grabe der frommen Maria gekommen.</l><lb/>
              <l>Und er &#x017F;etzete &#x017F;ich auf die Ruhe&#x017F;ta&#x0364;te der Todten,</l><lb/>
              <l>Senkt&#x2019; in frohen und wehmuthsvollen Gedanken &#x017F;ein Haupt: Da,</l><lb/>
              <l>Ach da reift &#x017F;ie der Aufer&#x017F;tehung! Vom todten Me&#x017F;&#x017F;ias</l><lb/>
              <l>Ho&#x0364;rte&#x017F;t du nur, da du &#x017F;tarbe&#x017F;t, und nicht vom er&#x017F;tandnen; allein du</l><lb/>
              <l>Weißt es alles, und bi&#x017F;t, mich ta&#x0364;u&#x017F;chten ja Engel, wa&#x0364;rs anders,</l><lb/>
              <l>Bi&#x017F;t bey ihm! Noch &#x017F;egn&#x2019; ich dir nach, du Schlummernde Gottes!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="58">
              <l>Doch die Un&#x017F;terbliche war bey ihrem Grabe: Was ha&#x0364;tt&#x2019; ich</l><lb/>
              <l>Jhm zu erza&#x0364;hlen; ko&#x0364;nnt&#x2019; ich mich, wie die Er&#x017F;tandnen des Mittlers</l><lb/>
              <l>Sich den Zeugen entdecken, ihm auch entdecken! Allein er</l><lb/>
              <l>Wird ja vielleicht, wie es &#x017F;chon &#x017F;ein Semida wurde, wie&#x2019;s Cidli</l><lb/>
              <l>Wurde, verkla&#x0364;rt!.. O Abend, den Gott mich erleben in die&#x017F;em</l><lb/>
              <l>Zweyten Leben la&#x0364;ßt, glu&#x0364;ck&#x017F;eliger Abend, wie machen</l><lb/>
              <l>Dich mir fe&#x017F;tlich die Pilger des Herrn! wie wu&#x0364;rde Maria,</l><lb/>
              <l>Lebte &#x017F;ie, deiner &#x017F;ich freun! wie for&#x017F;chen, wer wirklich ein Pilger?</l><lb/>
              <l>Wer ein Un&#x017F;terblicher &#x017F;ey, &#x017F;chon einer der Heimath des Himmels?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="59">
              <l>Ko&#x0364;nnt&#x2019; ich dir nur er&#x017F;cheinen; ich wollte, du Theurer, &#x017F;ie alle</l><lb/>
              <l>Dir entdecken, wer noch im Staube wallet, und wer nur</l><lb/>
              <l>Erdebewohner euch &#x017F;cheint. Die Un&#x017F;terblichen, Lazarus, haben</l><lb/>
              <l>Eine Hoheit, die &#x017F;ie nicht &#x017F;tets zu verbergen vermo&#x0364;gen;</l><lb/>
              <l>Schauen bisweilen, wie Engel, auf euch! Wer Acht hat, und &#x017F;ehn kann,</l><lb/>
              <l>Sieht es. Jch rede ja da, als wa&#x0364;r&#x2019;s mit dem Bach und dem Grabe.</l><lb/>
              <l>Lazarus ho&#x0364;ret mich nicht; mich ho&#x0364;ren der Bach und das Grab nicht.</l><lb/>
              <l>Doch will ich mich, mein Bruder, der &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Ta&#x0364;u&#x017F;chung, als ko&#x0364;nnt&#x2019; ich</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Mit</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0074] Der Meſſias. Huͤgel, geheftet ans Kreuz! nach Labſal rief er, mit Galle Wurd’ er gelabt! am Kreuze mit langſamen Tode getoͤdtet! Lazarus endete ſo, und gieng aus der Laube. Zuletzt war Er allein zu dem Grabe der frommen Maria gekommen. Und er ſetzete ſich auf die Ruheſtaͤte der Todten, Senkt’ in frohen und wehmuthsvollen Gedanken ſein Haupt: Da, Ach da reift ſie der Auferſtehung! Vom todten Meſſias Hoͤrteſt du nur, da du ſtarbeſt, und nicht vom erſtandnen; allein du Weißt es alles, und biſt, mich taͤuſchten ja Engel, waͤrs anders, Biſt bey ihm! Noch ſegn’ ich dir nach, du Schlummernde Gottes! Doch die Unſterbliche war bey ihrem Grabe: Was haͤtt’ ich Jhm zu erzaͤhlen; koͤnnt’ ich mich, wie die Erſtandnen des Mittlers Sich den Zeugen entdecken, ihm auch entdecken! Allein er Wird ja vielleicht, wie es ſchon ſein Semida wurde, wie’s Cidli Wurde, verklaͤrt!.. O Abend, den Gott mich erleben in dieſem Zweyten Leben laͤßt, gluͤckſeliger Abend, wie machen Dich mir feſtlich die Pilger des Herrn! wie wuͤrde Maria, Lebte ſie, deiner ſich freun! wie forſchen, wer wirklich ein Pilger? Wer ein Unſterblicher ſey, ſchon einer der Heimath des Himmels? Koͤnnt’ ich dir nur erſcheinen; ich wollte, du Theurer, ſie alle Dir entdecken, wer noch im Staube wallet, und wer nur Erdebewohner euch ſcheint. Die Unſterblichen, Lazarus, haben Eine Hoheit, die ſie nicht ſtets zu verbergen vermoͤgen; Schauen bisweilen, wie Engel, auf euch! Wer Acht hat, und ſehn kann, Sieht es. Jch rede ja da, als waͤr’s mit dem Bach und dem Grabe. Lazarus hoͤret mich nicht; mich hoͤren der Bach und das Grab nicht. Doch will ich mich, mein Bruder, der ſuͤſſen Taͤuſchung, als koͤnnt’ ich Mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/74
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/74>, abgerufen am 02.05.2024.