Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechzehnter Gesang.
Schimmer in Dämrung verloschen.) O frage mich nicht! den Seraph,
Der euch führte, den frag', er kommt von dem Richter des Himmels
Und der Erde! .. War der, der also vor allen Engeln
Stralte, der Richter der Welt, und hat er diese Verwerfung,
Diese Scheidung geboten? Ach Engel, welcher uns führte,
Meinen Zoar, und mich, du Engel Gottes, auf ewig?

Jn noch trübere Dämrung gehüllt, antwortet der Führer:
Er hat alles geboten. Gehorch, und scheide! .. Geboten
Er, der auf mich nicht niederschaute? Der Anderer Schiksal
Zwar entschied, doch auf mich, mit keinem Blicke nicht schaute?
Zoar sprach: Er bilkt' auf dich; mich daucht es, mit Ernste,
Blikt' er, auf dich ... Du zeugest wider mich, du Geliebter?
Und in dieser Stunde des Grauns, an diesem Abgrund?
Ach ich zeuge wider dich nicht! du weist ja, ich konnte
Nie die Wahrheit verheelen. Umarme deinen Getreuen!
Seba, ich zeuge wider dich nicht! .. Der Engel des Todes
Hatte sich weggewendet, und niedergesenkt zur Erde
Seine Flamme, gemildert ihr Drohn. Denn Zoar umarmte
Seba; denn Zoar und Seba weinten blutige Thränen.
Aber die Stunde der Sondrung war da, die schrekliche, bittre,
Stumme Stunde, war da; der Verderber mußte die Flamme
Wieder erheben, sie wieder mit ihren Schrecken bewafnen.
Und er flammt', und schaut' herunter, und rief, und Entsetzen
War die eiserne Stimme des Rufenden. Scheidet! Sie schieden.
Schaaren wurden herzugeführt; in dem dichten Gewimmel
Rief es: Gott des rollenden Donners, der weit den Olympus
Aus den schwarzen Wolken erschüttert, wir brachten dir Farren,
Sie

Sechzehnter Geſang.
Schimmer in Daͤmrung verloſchen.) O frage mich nicht! den Seraph,
Der euch fuͤhrte, den frag’, er kommt von dem Richter des Himmels
Und der Erde! .. War der, der alſo vor allen Engeln
Stralte, der Richter der Welt, und hat er dieſe Verwerfung,
Dieſe Scheidung geboten? Ach Engel, welcher uns fuͤhrte,
Meinen Zoar, und mich, du Engel Gottes, auf ewig?

Jn noch truͤbere Daͤmrung gehuͤllt, antwortet der Fuͤhrer:
Er hat alles geboten. Gehorch, und ſcheide! .. Geboten
Er, der auf mich nicht niederſchaute? Der Anderer Schikſal
Zwar entſchied, doch auf mich, mit keinem Blicke nicht ſchaute?
Zoar ſprach: Er bilkt’ auf dich; mich daucht es, mit Ernſte,
Blikt’ er, auf dich … Du zeugeſt wider mich, du Geliebter?
Und in dieſer Stunde des Grauns, an dieſem Abgrund?
Ach ich zeuge wider dich nicht! du weiſt ja, ich konnte
Nie die Wahrheit verheelen. Umarme deinen Getreuen!
Seba, ich zeuge wider dich nicht! .. Der Engel des Todes
Hatte ſich weggewendet, und niedergeſenkt zur Erde
Seine Flamme, gemildert ihr Drohn. Denn Zoar umarmte
Seba; denn Zoar und Seba weinten blutige Thraͤnen.
Aber die Stunde der Sondrung war da, die ſchrekliche, bittre,
Stumme Stunde, war da; der Verderber mußte die Flamme
Wieder erheben, ſie wieder mit ihren Schrecken bewafnen.
Und er flammt’, und ſchaut’ herunter, und rief, und Entſetzen
War die eiſerne Stimme des Rufenden. Scheidet! Sie ſchieden.
Schaaren wurden herzugefuͤhrt; in dem dichten Gewimmel
Rief es: Gott des rollenden Donners, der weit den Olympus
Aus den ſchwarzen Wolken erſchuͤttert, wir brachten dir Farren,
Sie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="43">
              <pb facs="#f0045" n="45"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sechzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
              <l>Schimmer in Da&#x0364;mrung verlo&#x017F;chen.) O frage mich nicht! den Seraph,</l><lb/>
              <l>Der euch fu&#x0364;hrte, den frag&#x2019;, er kommt von dem Richter des Himmels</l><lb/>
              <l>Und der Erde! .. War der, der al&#x017F;o vor allen Engeln</l><lb/>
              <l>Stralte, der Richter der Welt, und hat er die&#x017F;e Verwerfung,</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;e Scheidung geboten? Ach Engel, welcher uns fu&#x0364;hrte,</l><lb/>
              <l>Meinen Zoar, und mich, du Engel Gottes, auf ewig?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="44">
              <l>Jn noch tru&#x0364;bere Da&#x0364;mrung gehu&#x0364;llt, antwortet der Fu&#x0364;hrer:</l><lb/>
              <l>Er hat alles geboten. Gehorch, und &#x017F;cheide! .. Geboten</l><lb/>
              <l>Er, der auf mich nicht nieder&#x017F;chaute? Der Anderer Schik&#x017F;al</l><lb/>
              <l>Zwar ent&#x017F;chied, doch auf mich, mit keinem Blicke nicht &#x017F;chaute?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="45">
              <l>Zoar &#x017F;prach: Er bilkt&#x2019; auf dich; mich daucht es, mit Ern&#x017F;te,</l><lb/>
              <l>Blikt&#x2019; er, auf dich &#x2026; Du zeuge&#x017F;t wider mich, du Geliebter?</l><lb/>
              <l>Und in die&#x017F;er Stunde des Grauns, an die&#x017F;em Abgrund?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="46">
              <l>Ach ich zeuge wider dich nicht! du wei&#x017F;t ja, ich konnte</l><lb/>
              <l>Nie die Wahrheit verheelen. Umarme deinen Getreuen!</l><lb/>
              <l>Seba, ich zeuge wider dich nicht! .. Der Engel des Todes</l><lb/>
              <l>Hatte &#x017F;ich weggewendet, und niederge&#x017F;enkt zur Erde</l><lb/>
              <l>Seine Flamme, gemildert ihr Drohn. Denn Zoar umarmte</l><lb/>
              <l>Seba; denn Zoar und Seba weinten blutige Thra&#x0364;nen.</l><lb/>
              <l>Aber die Stunde der Sondrung war da, die &#x017F;chrekliche, bittre,</l><lb/>
              <l>Stumme Stunde, war da; der Verderber mußte die Flamme</l><lb/>
              <l>Wieder erheben, &#x017F;ie wieder mit ihren Schrecken bewafnen.</l><lb/>
              <l>Und er flammt&#x2019;, und &#x017F;chaut&#x2019; herunter, und rief, und Ent&#x017F;etzen</l><lb/>
              <l>War die ei&#x017F;erne Stimme des Rufenden. Scheidet! Sie &#x017F;chieden.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="47">
              <l>Schaaren wurden herzugefu&#x0364;hrt; in dem dichten Gewimmel</l><lb/>
              <l>Rief es: Gott des rollenden Donners, der weit den Olympus</l><lb/>
              <l>Aus den &#x017F;chwarzen Wolken er&#x017F;chu&#x0364;ttert, wir brachten dir Farren,</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Sie</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0045] Sechzehnter Geſang. Schimmer in Daͤmrung verloſchen.) O frage mich nicht! den Seraph, Der euch fuͤhrte, den frag’, er kommt von dem Richter des Himmels Und der Erde! .. War der, der alſo vor allen Engeln Stralte, der Richter der Welt, und hat er dieſe Verwerfung, Dieſe Scheidung geboten? Ach Engel, welcher uns fuͤhrte, Meinen Zoar, und mich, du Engel Gottes, auf ewig? Jn noch truͤbere Daͤmrung gehuͤllt, antwortet der Fuͤhrer: Er hat alles geboten. Gehorch, und ſcheide! .. Geboten Er, der auf mich nicht niederſchaute? Der Anderer Schikſal Zwar entſchied, doch auf mich, mit keinem Blicke nicht ſchaute? Zoar ſprach: Er bilkt’ auf dich; mich daucht es, mit Ernſte, Blikt’ er, auf dich … Du zeugeſt wider mich, du Geliebter? Und in dieſer Stunde des Grauns, an dieſem Abgrund? Ach ich zeuge wider dich nicht! du weiſt ja, ich konnte Nie die Wahrheit verheelen. Umarme deinen Getreuen! Seba, ich zeuge wider dich nicht! .. Der Engel des Todes Hatte ſich weggewendet, und niedergeſenkt zur Erde Seine Flamme, gemildert ihr Drohn. Denn Zoar umarmte Seba; denn Zoar und Seba weinten blutige Thraͤnen. Aber die Stunde der Sondrung war da, die ſchrekliche, bittre, Stumme Stunde, war da; der Verderber mußte die Flamme Wieder erheben, ſie wieder mit ihren Schrecken bewafnen. Und er flammt’, und ſchaut’ herunter, und rief, und Entſetzen War die eiſerne Stimme des Rufenden. Scheidet! Sie ſchieden. Schaaren wurden herzugefuͤhrt; in dem dichten Gewimmel Rief es: Gott des rollenden Donners, der weit den Olympus Aus den ſchwarzen Wolken erſchuͤttert, wir brachten dir Farren, Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/45
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/45>, abgerufen am 24.04.2024.