Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Elfter Gesang.
Schlummre denn mein Gefährt im ersten Leben! verwese,
Saat von Gott gesät, dem Tage der Garben zu reifen!
Ja, verwese! Wie viel, und welche Leben empfind ich!
Diese können nicht sterben! die neuen Leben nicht sterben!

Abdiel hielt sich nicht mehr. Er hatte die Seele des Jünglings,
Wie sie mit himmlischem Glanze bekleidet wurde, gesehen.
Und er kam ihr, strahlend vor Wonne der innigsten Liebe,
Strahlend vor höherer Wonne, daß sie erlöst sey! entgegen.
Thränen rannen vom Auge des Himmlischen, als ihm der Sünder
Welcher Buße gethan, und Gott sich geheiliget hatte,
Auch entgegen eilte. So sprach zu dem Engel die Seele:
Knecht des Höchsten! denn du bist einer der Seligen Gottes,
Deine Hoheit und Ruh, die aus deinem Angesicht leuchten,
Sagen es mir! als dich mein werdendes Auge von fern sah,
Deines schwebenden, tönenden Ganges melodisches Rauschen
Dort mir scholl, erschrak ich freudig! du siehest, ich bebe
Noch vor dir, allein Entzückung ist, Seraph, mein Beben!
Und in die Zukunft tief verloren sagte der Engel:
Komm, du erster Todter, den Christus Opfer versöhnet,
Du, der spät zu Gott, erst in dem Gefängniß, sich wandte!
Gnad' am Altare selber empfing! du, künftiger Sünder
Weisheitverlassene Hoffnung! und nach dem Tod' ihr Entsetzen!
Komm, was dir der Mittler verhieß, wird jetzo erfüllet!
Denn ich führe dich hin zu den Freuden des Paradieses.
Also sprach er, und eilte. Die Seele folgte dem Seraph.
Er, deß Antlitz strahlte, da er von des Ewigen Anschaun
Nieder am Sinai kam, so strahlte, daß er dem Volke
Sich
C 2

Elfter Geſang.
Schlummre denn mein Gefaͤhrt im erſten Leben! verweſe,
Saat von Gott geſaͤt, dem Tage der Garben zu reifen!
Ja, verweſe! Wie viel, und welche Leben empfind ich!
Dieſe koͤnnen nicht ſterben! die neuen Leben nicht ſterben!

Abdiel hielt ſich nicht mehr. Er hatte die Seele des Juͤnglings,
Wie ſie mit himmliſchem Glanze bekleidet wurde, geſehen.
Und er kam ihr, ſtrahlend vor Wonne der innigſten Liebe,
Strahlend vor hoͤherer Wonne, daß ſie erloͤſt ſey! entgegen.
Thraͤnen rannen vom Auge des Himmliſchen, als ihm der Suͤnder
Welcher Buße gethan, und Gott ſich geheiliget hatte,
Auch entgegen eilte. So ſprach zu dem Engel die Seele:
Knecht des Hoͤchſten! denn du biſt einer der Seligen Gottes,
Deine Hoheit und Ruh, die aus deinem Angeſicht leuchten,
Sagen es mir! als dich mein werdendes Auge von fern ſah,
Deines ſchwebenden, toͤnenden Ganges melodiſches Rauſchen
Dort mir ſcholl, erſchrak ich freudig! du ſieheſt, ich bebe
Noch vor dir, allein Entzuͤckung iſt, Seraph, mein Beben!
Und in die Zukunft tief verloren ſagte der Engel:
Komm, du erſter Todter, den Chriſtus Opfer verſoͤhnet,
Du, der ſpaͤt zu Gott, erſt in dem Gefaͤngniß, ſich wandte!
Gnad’ am Altare ſelber empfing! du, kuͤnftiger Suͤnder
Weisheitverlaſſene Hoffnung! und nach dem Tod’ ihr Entſetzen!
Komm, was dir der Mittler verhieß, wird jetzo erfuͤllet!
Denn ich fuͤhre dich hin zu den Freuden des Paradieſes.
Alſo ſprach er, und eilte. Die Seele folgte dem Seraph.
Er, deß Antlitz ſtrahlte, da er von des Ewigen Anſchaun
Nieder am Sinai kam, ſo ſtrahlte, daß er dem Volke
Sich
C 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="68">
            <pb facs="#f0051" n="35"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Elfter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>Schlummre denn mein Gefa&#x0364;hrt im er&#x017F;ten Leben! verwe&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Saat von Gott ge&#x017F;a&#x0364;t, dem Tage der Garben zu reifen!</l><lb/>
            <l>Ja, verwe&#x017F;e! Wie viel, und welche Leben empfind ich!</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;e ko&#x0364;nnen nicht &#x017F;terben! die neuen Leben nicht &#x017F;terben!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="69">
            <l>Abdiel hielt &#x017F;ich nicht mehr. Er hatte die Seele des Ju&#x0364;nglings,</l><lb/>
            <l>Wie &#x017F;ie mit himmli&#x017F;chem Glanze bekleidet wurde, ge&#x017F;ehen.</l><lb/>
            <l>Und er kam ihr, &#x017F;trahlend vor Wonne der innig&#x017F;ten Liebe,</l><lb/>
            <l>Strahlend vor ho&#x0364;herer Wonne, daß &#x017F;ie erlo&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ey! entgegen.</l><lb/>
            <l>Thra&#x0364;nen rannen vom Auge des Himmli&#x017F;chen, als ihm der Su&#x0364;nder</l><lb/>
            <l>Welcher Buße gethan, und Gott &#x017F;ich geheiliget hatte,</l><lb/>
            <l>Auch entgegen eilte. So &#x017F;prach zu dem Engel die Seele:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="70">
            <l>Knecht des Ho&#x0364;ch&#x017F;ten! denn du bi&#x017F;t einer der Seligen Gottes,</l><lb/>
            <l>Deine Hoheit und Ruh, die aus deinem Ange&#x017F;icht leuchten,</l><lb/>
            <l>Sagen es mir! als dich mein werdendes Auge von fern &#x017F;ah,</l><lb/>
            <l>Deines &#x017F;chwebenden, to&#x0364;nenden Ganges melodi&#x017F;ches Rau&#x017F;chen</l><lb/>
            <l>Dort mir &#x017F;choll, er&#x017F;chrak ich freudig! du &#x017F;iehe&#x017F;t, ich bebe</l><lb/>
            <l>Noch vor dir, allein Entzu&#x0364;ckung i&#x017F;t, Seraph, mein Beben!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="71">
            <l>Und in die Zukunft tief verloren &#x017F;agte der Engel:</l><lb/>
            <l>Komm, du er&#x017F;ter Todter, den Chri&#x017F;tus Opfer ver&#x017F;o&#x0364;hnet,</l><lb/>
            <l>Du, der &#x017F;pa&#x0364;t zu Gott, er&#x017F;t in dem Gefa&#x0364;ngniß, &#x017F;ich wandte!</l><lb/>
            <l>Gnad&#x2019; am Altare &#x017F;elber empfing! du, ku&#x0364;nftiger Su&#x0364;nder</l><lb/>
            <l>Weisheitverla&#x017F;&#x017F;ene Hoffnung! und nach dem Tod&#x2019; ihr Ent&#x017F;etzen!</l><lb/>
            <l>Komm, was dir der Mittler verhieß, wird jetzo erfu&#x0364;llet!</l><lb/>
            <l>Denn ich fu&#x0364;hre dich hin zu den Freuden des Paradie&#x017F;es.</l><lb/>
            <l>Al&#x017F;o &#x017F;prach er, und eilte. Die Seele folgte dem Seraph.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="72">
            <l>Er, deß Antlitz &#x017F;trahlte, da er von des Ewigen An&#x017F;chaun</l><lb/>
            <l>Nieder am Sinai kam, &#x017F;o &#x017F;trahlte, daß er dem Volke</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">C 2</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Sich</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0051] Elfter Geſang. Schlummre denn mein Gefaͤhrt im erſten Leben! verweſe, Saat von Gott geſaͤt, dem Tage der Garben zu reifen! Ja, verweſe! Wie viel, und welche Leben empfind ich! Dieſe koͤnnen nicht ſterben! die neuen Leben nicht ſterben! Abdiel hielt ſich nicht mehr. Er hatte die Seele des Juͤnglings, Wie ſie mit himmliſchem Glanze bekleidet wurde, geſehen. Und er kam ihr, ſtrahlend vor Wonne der innigſten Liebe, Strahlend vor hoͤherer Wonne, daß ſie erloͤſt ſey! entgegen. Thraͤnen rannen vom Auge des Himmliſchen, als ihm der Suͤnder Welcher Buße gethan, und Gott ſich geheiliget hatte, Auch entgegen eilte. So ſprach zu dem Engel die Seele: Knecht des Hoͤchſten! denn du biſt einer der Seligen Gottes, Deine Hoheit und Ruh, die aus deinem Angeſicht leuchten, Sagen es mir! als dich mein werdendes Auge von fern ſah, Deines ſchwebenden, toͤnenden Ganges melodiſches Rauſchen Dort mir ſcholl, erſchrak ich freudig! du ſieheſt, ich bebe Noch vor dir, allein Entzuͤckung iſt, Seraph, mein Beben! Und in die Zukunft tief verloren ſagte der Engel: Komm, du erſter Todter, den Chriſtus Opfer verſoͤhnet, Du, der ſpaͤt zu Gott, erſt in dem Gefaͤngniß, ſich wandte! Gnad’ am Altare ſelber empfing! du, kuͤnftiger Suͤnder Weisheitverlaſſene Hoffnung! und nach dem Tod’ ihr Entſetzen! Komm, was dir der Mittler verhieß, wird jetzo erfuͤllet! Denn ich fuͤhre dich hin zu den Freuden des Paradieſes. Alſo ſprach er, und eilte. Die Seele folgte dem Seraph. Er, deß Antlitz ſtrahlte, da er von des Ewigen Anſchaun Nieder am Sinai kam, ſo ſtrahlte, daß er dem Volke Sich C 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/51
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/51>, abgerufen am 28.03.2024.