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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Funfzehnter Gesang.
Jrrt', und weint', und erblickte, wie ihr es dauchte, den Gärtner,
Denn die werdende Morgendämmrung bedeckte die Bäume.
Aber, wie kann ich die freudigen Schrecken der Frommen beschreiben?
Sieh, er wandte sich um, und nennte mit himmlischer Stimme
Sie, bey ihrem Namen, mit seiner Stimme: Maria!
Nieder sank sie zur Erde, Rabbuni! bebte sie ihm zu,
Lag, und hielt mit Thränen, und küßte des Göttlichen Füsse,
Und er gab ihr Befehl. ... Hör' auf, mir werden der Freuden
Sonst auf Einmal zu viel, und ich unterliege! ... Du siehest,
Rahel, sie bebt, hör' auf! ... Jst der dein Name, Geliebte?
Rahel, so heissest du? Rahel, wie hast du mein Elend gelindert!
Ach erschienen! Maria bey ihrem Namen genennet,
Und mit himmlischer Stimme, die Auserwählte der Wonne!
Wer empfindet ihr nach, wie selig er sie gemacht hat!
Bringt sie mir her, damit ich zu ihr, aus meinem Schmerze,
Mein ermüdetes Haupt erheb', und sie weinend bewundre,
Weinend! Denn von der Quelle der Ruh, die über sie strömte,
Wird kein Tropfen mich kühlen! Zu Abrahams Volke gehör' ich
Heidnische Römerinn nicht, viel minder zu jenen Geliebten
Unter den Töchtern Jerusalems, denen der Sieger erscheinet,
Siehe der grosse Sieger des Todes! O warum belohnt ihn
Kein Triumph? kein hoher Triumph, daß Jerusalem halle!
Daß der Sion davon, und des Tempels Wölbungen beben!
Warum tragen sie nicht vor ihm her die Bilder der Väter?
Ganz Judäa, auf goldenen Stäben, Abrahams Bildniß,
Daniels, Hiobs, und Moses, und deins, der Jünglinge Kühnster,
Der zu der Erde den Riesen, vom Nacken der Seinen, das Joch warf!

Warum
III Band. P

Funfzehnter Geſang.
Jrrt’, und weint’, und erblickte, wie ihr es dauchte, den Gaͤrtner,
Denn die werdende Morgendaͤmmrung bedeckte die Baͤume.
Aber, wie kann ich die freudigen Schrecken der Frommen beſchreiben?
Sieh, er wandte ſich um, und nennte mit himmliſcher Stimme
Sie, bey ihrem Namen, mit ſeiner Stimme: Maria!
Nieder ſank ſie zur Erde, Rabbuni! bebte ſie ihm zu,
Lag, und hielt mit Thraͤnen, und kuͤßte des Goͤttlichen Fuͤſſe,
Und er gab ihr Befehl. … Hoͤr’ auf, mir werden der Freuden
Sonſt auf Einmal zu viel, und ich unterliege! … Du ſieheſt,
Rahel, ſie bebt, hoͤr’ auf! … Jſt der dein Name, Geliebte?
Rahel, ſo heiſſeſt du? Rahel, wie haſt du mein Elend gelindert!
Ach erſchienen! Maria bey ihrem Namen genennet,
Und mit himmliſcher Stimme, die Auserwaͤhlte der Wonne!
Wer empfindet ihr nach, wie ſelig er ſie gemacht hat!
Bringt ſie mir her, damit ich zu ihr, aus meinem Schmerze,
Mein ermuͤdetes Haupt erheb’, und ſie weinend bewundre,
Weinend! Denn von der Quelle der Ruh, die uͤber ſie ſtroͤmte,
Wird kein Tropfen mich kuͤhlen! Zu Abrahams Volke gehoͤr’ ich
Heidniſche Roͤmerinn nicht, viel minder zu jenen Geliebten
Unter den Toͤchtern Jeruſalems, denen der Sieger erſcheinet,
Siehe der groſſe Sieger des Todes! O warum belohnt ihn
Kein Triumph? kein hoher Triumph, daß Jeruſalem halle!
Daß der Sion davon, und des Tempels Woͤlbungen beben!
Warum tragen ſie nicht vor ihm her die Bilder der Vaͤter?
Ganz Judaͤa, auf goldenen Staͤben, Abrahams Bildniß,
Daniels, Hiobs, und Moſes, und deins, der Juͤnglinge Kuͤhnſter,
Der zu der Erde den Rieſen, vom Nacken der Seinen, das Joch warf!

Warum
III Band. P
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[225/0241] Funfzehnter Geſang. Jrrt’, und weint’, und erblickte, wie ihr es dauchte, den Gaͤrtner, Denn die werdende Morgendaͤmmrung bedeckte die Baͤume. Aber, wie kann ich die freudigen Schrecken der Frommen beſchreiben? Sieh, er wandte ſich um, und nennte mit himmliſcher Stimme Sie, bey ihrem Namen, mit ſeiner Stimme: Maria! Nieder ſank ſie zur Erde, Rabbuni! bebte ſie ihm zu, Lag, und hielt mit Thraͤnen, und kuͤßte des Goͤttlichen Fuͤſſe, Und er gab ihr Befehl. … Hoͤr’ auf, mir werden der Freuden Sonſt auf Einmal zu viel, und ich unterliege! … Du ſieheſt, Rahel, ſie bebt, hoͤr’ auf! … Jſt der dein Name, Geliebte? Rahel, ſo heiſſeſt du? Rahel, wie haſt du mein Elend gelindert! Ach erſchienen! Maria bey ihrem Namen genennet, Und mit himmliſcher Stimme, die Auserwaͤhlte der Wonne! Wer empfindet ihr nach, wie ſelig er ſie gemacht hat! Bringt ſie mir her, damit ich zu ihr, aus meinem Schmerze, Mein ermuͤdetes Haupt erheb’, und ſie weinend bewundre, Weinend! Denn von der Quelle der Ruh, die uͤber ſie ſtroͤmte, Wird kein Tropfen mich kuͤhlen! Zu Abrahams Volke gehoͤr’ ich Heidniſche Roͤmerinn nicht, viel minder zu jenen Geliebten Unter den Toͤchtern Jeruſalems, denen der Sieger erſcheinet, Siehe der groſſe Sieger des Todes! O warum belohnt ihn Kein Triumph? kein hoher Triumph, daß Jeruſalem halle! Daß der Sion davon, und des Tempels Woͤlbungen beben! Warum tragen ſie nicht vor ihm her die Bilder der Vaͤter? Ganz Judaͤa, auf goldenen Staͤben, Abrahams Bildniß, Daniels, Hiobs, und Moſes, und deins, der Juͤnglinge Kuͤhnſter, Der zu der Erde den Rieſen, vom Nacken der Seinen, das Joch warf! Warum III Band. P

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/241>, abgerufen am 26.04.2024.