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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Funfzehnter Gesang.
Oder gar noch trübere Nacht? Das Volk der Erwählung
Nennet den Weg zu dem Grabe, vor dem auch sie sich entsetzen,
Einen Weg durch ein finsteres Thal. So tragen denn Alle
Jhre Lasten, die Gott erleuchtet, und die er sich selbst läßt?
Aber laß mich nicht mir, und erleuchte mich! Schrecken des Todes
Schrecken mich nicht, wenn du mit deinem Lichte mir leuchtest.
Nun du Fels in Meer, in tiefem Meere der Zweifel,
Du Gedanke: Der Wille des Ersten der Wesen geschehe!
Sey auch jetzt, wie du oft schon warst, mir Geängsteten Zuflucht!
Werde denn sanft, zu verlangende Seele! Heitert mich, Düfte,
Und, ihr Farben des Frühlings, mich auf! Doch neben dem Grabe
Dessen, welcher vielleicht nicht unter den Todten mehr schlummert,
Lächelt der Frühling ja auch. Was säum' ich, mich dort zu erfrischen,
Wo ein wenig Schimmer von fern der Fragenden etwa
Einer, der dort um ihn weinete, zeigt. So denkt sie, und winket,
Jhr von weitem zu folgen. Sie ging schon gegen das Grabmaal
Aus der thürmenden Stadt. Sie sahen herüber zum Felsen
Rahel kommen, und Jemina, Hiob des Ausgeprüften,
Und des Wiedergesegneten Tochter. Die Seligen sprachen
Untereinander: Sie kommt, auf die wir warteten, Rahel,
Die gen Himmel hinauf aus ihrer Nacht arbeitet!
Laß sie uns leiten. Dein führender Engel, Portia, sah sie,
Menschen werden, wie wir, zwo Pilgerinnen des Festes.
Griechinnen schienen sie, und waren herüber gekommen
Von den Jnseln, der Töchter des Archipelagos Einer.
Und sie kamen einher, mit leichten Stäben, und Purpur
Flocht ihr ruhendes Haar. Sie gingen die Römerinn langsam,

Und

Funfzehnter Geſang.
Oder gar noch truͤbere Nacht? Das Volk der Erwaͤhlung
Nennet den Weg zu dem Grabe, vor dem auch ſie ſich entſetzen,
Einen Weg durch ein finſteres Thal. So tragen denn Alle
Jhre Laſten, die Gott erleuchtet, und die er ſich ſelbſt laͤßt?
Aber laß mich nicht mir, und erleuchte mich! Schrecken des Todes
Schrecken mich nicht, wenn du mit deinem Lichte mir leuchteſt.
Nun du Fels in Meer, in tiefem Meere der Zweifel,
Du Gedanke: Der Wille des Erſten der Weſen geſchehe!
Sey auch jetzt, wie du oft ſchon warſt, mir Geaͤngſteten Zuflucht!
Werde denn ſanft, zu verlangende Seele! Heitert mich, Duͤfte,
Und, ihr Farben des Fruͤhlings, mich auf! Doch neben dem Grabe
Deſſen, welcher vielleicht nicht unter den Todten mehr ſchlummert,
Laͤchelt der Fruͤhling ja auch. Was ſaͤum’ ich, mich dort zu erfriſchen,
Wo ein wenig Schimmer von fern der Fragenden etwa
Einer, der dort um ihn weinete, zeigt. So denkt ſie, und winket,
Jhr von weitem zu folgen. Sie ging ſchon gegen das Grabmaal
Aus der thuͤrmenden Stadt. Sie ſahen heruͤber zum Felſen
Rahel kommen, und Jemina, Hiob des Ausgepruͤften,
Und des Wiedergeſegneten Tochter. Die Seligen ſprachen
Untereinander: Sie kommt, auf die wir warteten, Rahel,
Die gen Himmel hinauf aus ihrer Nacht arbeitet!
Laß ſie uns leiten. Dein fuͤhrender Engel, Portia, ſah ſie,
Menſchen werden, wie wir, zwo Pilgerinnen des Feſtes.
Griechinnen ſchienen ſie, und waren heruͤber gekommen
Von den Jnſeln, der Toͤchter des Archipelagos Einer.
Und ſie kamen einher, mit leichten Staͤben, und Purpur
Flocht ihr ruhendes Haar. Sie gingen die Roͤmerinn langſam,

Und
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[223/0239] Funfzehnter Geſang. Oder gar noch truͤbere Nacht? Das Volk der Erwaͤhlung Nennet den Weg zu dem Grabe, vor dem auch ſie ſich entſetzen, Einen Weg durch ein finſteres Thal. So tragen denn Alle Jhre Laſten, die Gott erleuchtet, und die er ſich ſelbſt laͤßt? Aber laß mich nicht mir, und erleuchte mich! Schrecken des Todes Schrecken mich nicht, wenn du mit deinem Lichte mir leuchteſt. Nun du Fels in Meer, in tiefem Meere der Zweifel, Du Gedanke: Der Wille des Erſten der Weſen geſchehe! Sey auch jetzt, wie du oft ſchon warſt, mir Geaͤngſteten Zuflucht! Werde denn ſanft, zu verlangende Seele! Heitert mich, Duͤfte, Und, ihr Farben des Fruͤhlings, mich auf! Doch neben dem Grabe Deſſen, welcher vielleicht nicht unter den Todten mehr ſchlummert, Laͤchelt der Fruͤhling ja auch. Was ſaͤum’ ich, mich dort zu erfriſchen, Wo ein wenig Schimmer von fern der Fragenden etwa Einer, der dort um ihn weinete, zeigt. So denkt ſie, und winket, Jhr von weitem zu folgen. Sie ging ſchon gegen das Grabmaal Aus der thuͤrmenden Stadt. Sie ſahen heruͤber zum Felſen Rahel kommen, und Jemina, Hiob des Ausgepruͤften, Und des Wiedergeſegneten Tochter. Die Seligen ſprachen Untereinander: Sie kommt, auf die wir warteten, Rahel, Die gen Himmel hinauf aus ihrer Nacht arbeitet! Laß ſie uns leiten. Dein fuͤhrender Engel, Portia, ſah ſie, Menſchen werden, wie wir, zwo Pilgerinnen des Feſtes. Griechinnen ſchienen ſie, und waren heruͤber gekommen Von den Jnſeln, der Toͤchter des Archipelagos Einer. Und ſie kamen einher, mit leichten Staͤben, und Purpur Flocht ihr ruhendes Haar. Sie gingen die Roͤmerinn langſam, Und

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/239>, abgerufen am 26.04.2024.