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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Funfzehnter Gesang.
Jhn, ihn lockt' Epiphan, mit jedes Glückes Verheissung,
Mit den Grössen der Welt, umsonst! Er sandte vergebens
Seine Mutter, die Heldinn, zu ihm. Die sprach zu dem Sohne:
Ach! du Lieber, du Jüngster, du einziger Uebriger, den ich
Unter meinem Herzen getragen, gesäugt drey Jahre,
Mütterlich mühsam erzogen, mein Sohn, erbarme dich meiner!
Und, o schau gen Himmel empor, herab auf die Erde!
Alles dieß hat der Herr, er hat den Menschen geschaffen!
Darum erbarme dich meiner, und stirb! ... Entschlossen zum Tode
Rief er, als seine Mutter noch redte: Was harret ihr, Wüter?
Und, Epiphan, du entsetzlicher Mann! wirst du dem Gerichte,
Du dem Allmächtigen denn entkommen? Das ewige Leben
Haben meine Brüder nun schon, die kurz, und wenig
Litten! Er starb. ... Dem Erzählenden waren sein Angesicht Schimmer,
Strahlen die Augen geworden! Und Stephanus zittert', und weinte.

Werth sind deine Thränen mir, Jüngling! Jch zählte sie alle!
Eines Sünders Thränen? so rief der Jüngling, und bebte.
Eines Sünders, allein den Jesus Opfer entsündigt,
Und in das Allerheiligste führt. Jetzt blickt' auf die Beyden
Jesus, der Auferstandne, vom hohen Tabor herunter,
Sah den Sterblichen stehn im Schimmer des Mondes, im eignen
Dich, Unsterblicher. Schnell, als Stephanus sinken wollte,
Und der Erscheinung erlag, rief noch Jedidoth herüber:
Himmlischer Bruder, ich wars, der sich der Mutter erbarmte.
Dort, (schon schwebt' er empor,) dort lernt' ich, was Jesus euch lehrte.
Und er stieg gen Himmel hinauf, und verschwand in den Wolken.
Barnabas Joses, ein Levi von Cyprus fernem Gestade,
Ging
O 5

Funfzehnter Geſang.
Jhn, ihn lockt’ Epiphan, mit jedes Gluͤckes Verheiſſung,
Mit den Groͤſſen der Welt, umſonſt! Er ſandte vergebens
Seine Mutter, die Heldinn, zu ihm. Die ſprach zu dem Sohne:
Ach! du Lieber, du Juͤngſter, du einziger Uebriger, den ich
Unter meinem Herzen getragen, geſaͤugt drey Jahre,
Muͤtterlich muͤhſam erzogen, mein Sohn, erbarme dich meiner!
Und, o ſchau gen Himmel empor, herab auf die Erde!
Alles dieß hat der Herr, er hat den Menſchen geſchaffen!
Darum erbarme dich meiner, und ſtirb! … Entſchloſſen zum Tode
Rief er, als ſeine Mutter noch redte: Was harret ihr, Wuͤter?
Und, Epiphan, du entſetzlicher Mann! wirſt du dem Gerichte,
Du dem Allmaͤchtigen denn entkommen? Das ewige Leben
Haben meine Bruͤder nun ſchon, die kurz, und wenig
Litten! Er ſtarb. … Dem Erzaͤhlenden waren ſein Angeſicht Schimmer,
Strahlen die Augen geworden! Und Stephanus zittert’, und weinte.

Werth ſind deine Thraͤnen mir, Juͤngling! Jch zaͤhlte ſie alle!
Eines Suͤnders Thraͤnen? ſo rief der Juͤngling, und bebte.
Eines Suͤnders, allein den Jeſus Opfer entſuͤndigt,
Und in das Allerheiligſte fuͤhrt. Jetzt blickt’ auf die Beyden
Jeſus, der Auferſtandne, vom hohen Tabor herunter,
Sah den Sterblichen ſtehn im Schimmer des Mondes, im eignen
Dich, Unſterblicher. Schnell, als Stephanus ſinken wollte,
Und der Erſcheinung erlag, rief noch Jedidoth heruͤber:
Himmliſcher Bruder, ich wars, der ſich der Mutter erbarmte.
Dort, (ſchon ſchwebt’ er empor,) dort lernt’ ich, was Jeſus euch lehrte.
Und er ſtieg gen Himmel hinauf, und verſchwand in den Wolken.
Barnabas Joſes, ein Levi von Cyprus fernem Geſtade,
Ging
O 5
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[217/0233] Funfzehnter Geſang. Jhn, ihn lockt’ Epiphan, mit jedes Gluͤckes Verheiſſung, Mit den Groͤſſen der Welt, umſonſt! Er ſandte vergebens Seine Mutter, die Heldinn, zu ihm. Die ſprach zu dem Sohne: Ach! du Lieber, du Juͤngſter, du einziger Uebriger, den ich Unter meinem Herzen getragen, geſaͤugt drey Jahre, Muͤtterlich muͤhſam erzogen, mein Sohn, erbarme dich meiner! Und, o ſchau gen Himmel empor, herab auf die Erde! Alles dieß hat der Herr, er hat den Menſchen geſchaffen! Darum erbarme dich meiner, und ſtirb! … Entſchloſſen zum Tode Rief er, als ſeine Mutter noch redte: Was harret ihr, Wuͤter? Und, Epiphan, du entſetzlicher Mann! wirſt du dem Gerichte, Du dem Allmaͤchtigen denn entkommen? Das ewige Leben Haben meine Bruͤder nun ſchon, die kurz, und wenig Litten! Er ſtarb. … Dem Erzaͤhlenden waren ſein Angeſicht Schimmer, Strahlen die Augen geworden! Und Stephanus zittert’, und weinte. Werth ſind deine Thraͤnen mir, Juͤngling! Jch zaͤhlte ſie alle! Eines Suͤnders Thraͤnen? ſo rief der Juͤngling, und bebte. Eines Suͤnders, allein den Jeſus Opfer entſuͤndigt, Und in das Allerheiligſte fuͤhrt. Jetzt blickt’ auf die Beyden Jeſus, der Auferſtandne, vom hohen Tabor herunter, Sah den Sterblichen ſtehn im Schimmer des Mondes, im eignen Dich, Unſterblicher. Schnell, als Stephanus ſinken wollte, Und der Erſcheinung erlag, rief noch Jedidoth heruͤber: Himmliſcher Bruder, ich wars, der ſich der Mutter erbarmte. Dort, (ſchon ſchwebt’ er empor,) dort lernt’ ich, was Jeſus euch lehrte. Und er ſtieg gen Himmel hinauf, und verſchwand in den Wolken. Barnabas Joſes, ein Levi von Cyprus fernem Geſtade, Ging O 5

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/233>, abgerufen am 25.04.2024.