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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Funfzehnter Gesang.
Von den trüben Gedanken, die ihn, wie Wolken, bedeckten.
Aber er sucht' umsonst die kurze Ruhe vom Elend.
Wehmuth füllte von neuem sein Herz. Euch hab ich verloren,
Meine Freunde! dich auch, mein Freund in weiblicher Bildung!
Ach ihr ließt mich zurück. Nun bin ich allein auf der Erde!
Bin ... Wer tritt da herein? Wer bist du, der sich mir nähert?
Und er ging der dunkeln Gestalt entgegen. Auf Einmal
Ward zur Unsterblichen Thirza aus einer Sterblichen. Schauernd
Stund er. So schnell ist der Wink, so schnell ermannt' er sich wieder,
Ging, und betrachtete schweigend die Strahlengestalt, und redte
Bald sie an. Wirst du mein Danken, Erscheinung, verstehen?
Oder bist du ein Dunst der Nacht, den Flammen beseelen?
Oder ein Bild in meinem Gehirn? ... Jhm lächelte Thirza
Sanft mit der Himmelsgebehrde, mit so viel Seel' in dem Auge,
Daß er den flammenden Dunst vergaß, und das Bild im Gehirne.
Laut, mit Schnelligkeit, rief er: Erscheinung, Erscheinung, wer bist du?
Und melodisch erscholls in dem wiederhallenden Felsen:

Wer ich sey, vernimmst du hernach. Jetzt lerne, Beglückter!
Halt dich nicht vollkommner, als Andre, weil du die Gnade
Dieser Erscheinung empfähst. Nicht unvollkommner, als Andre,
War der Blinde von seiner Geburt, dem Jesus den Tag gab.
Daß er ein Zeuge der Herrlichkeit Jesus würde, bedeckt' ihn
Blindheit lange! Daß du, wie er, zu zeugen vermöchtest,
Sandte mich Jesus zu dir, der Auferstandne vom Tode.
Nicht, weil du mir riefst, dich zum Zeugen zu machen! erschein' ich!
Wäre dir ohne dein Rufen erschienen! Dein Zweifeln verdiente
Zwar

Funfzehnter Geſang.
Von den truͤben Gedanken, die ihn, wie Wolken, bedeckten.
Aber er ſucht’ umſonſt die kurze Ruhe vom Elend.
Wehmuth fuͤllte von neuem ſein Herz. Euch hab ich verloren,
Meine Freunde! dich auch, mein Freund in weiblicher Bildung!
Ach ihr ließt mich zuruͤck. Nun bin ich allein auf der Erde!
Bin … Wer tritt da herein? Wer biſt du, der ſich mir naͤhert?
Und er ging der dunkeln Geſtalt entgegen. Auf Einmal
Ward zur Unſterblichen Thirza aus einer Sterblichen. Schauernd
Stund er. So ſchnell iſt der Wink, ſo ſchnell ermannt’ er ſich wieder,
Ging, und betrachtete ſchweigend die Strahlengeſtalt, und redte
Bald ſie an. Wirſt du mein Danken, Erſcheinung, verſtehen?
Oder biſt du ein Dunſt der Nacht, den Flammen beſeelen?
Oder ein Bild in meinem Gehirn? … Jhm laͤchelte Thirza
Sanft mit der Himmelsgebehrde, mit ſo viel Seel’ in dem Auge,
Daß er den flammenden Dunſt vergaß, und das Bild im Gehirne.
Laut, mit Schnelligkeit, rief er: Erſcheinung, Erſcheinung, wer biſt du?
Und melodiſch erſcholls in dem wiederhallenden Felſen:

Wer ich ſey, vernimmſt du hernach. Jetzt lerne, Begluͤckter!
Halt dich nicht vollkommner, als Andre, weil du die Gnade
Dieſer Erſcheinung empfaͤhſt. Nicht unvollkommner, als Andre,
War der Blinde von ſeiner Geburt, dem Jeſus den Tag gab.
Daß er ein Zeuge der Herrlichkeit Jeſus wuͤrde, bedeckt’ ihn
Blindheit lange! Daß du, wie er, zu zeugen vermoͤchteſt,
Sandte mich Jeſus zu dir, der Auferſtandne vom Tode.
Nicht, weil du mir riefſt, dich zum Zeugen zu machen! erſchein’ ich!
Waͤre dir ohne dein Rufen erſchienen! Dein Zweifeln verdiente
Zwar
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[207/0223] Funfzehnter Geſang. Von den truͤben Gedanken, die ihn, wie Wolken, bedeckten. Aber er ſucht’ umſonſt die kurze Ruhe vom Elend. Wehmuth fuͤllte von neuem ſein Herz. Euch hab ich verloren, Meine Freunde! dich auch, mein Freund in weiblicher Bildung! Ach ihr ließt mich zuruͤck. Nun bin ich allein auf der Erde! Bin … Wer tritt da herein? Wer biſt du, der ſich mir naͤhert? Und er ging der dunkeln Geſtalt entgegen. Auf Einmal Ward zur Unſterblichen Thirza aus einer Sterblichen. Schauernd Stund er. So ſchnell iſt der Wink, ſo ſchnell ermannt’ er ſich wieder, Ging, und betrachtete ſchweigend die Strahlengeſtalt, und redte Bald ſie an. Wirſt du mein Danken, Erſcheinung, verſtehen? Oder biſt du ein Dunſt der Nacht, den Flammen beſeelen? Oder ein Bild in meinem Gehirn? … Jhm laͤchelte Thirza Sanft mit der Himmelsgebehrde, mit ſo viel Seel’ in dem Auge, Daß er den flammenden Dunſt vergaß, und das Bild im Gehirne. Laut, mit Schnelligkeit, rief er: Erſcheinung, Erſcheinung, wer biſt du? Und melodiſch erſcholls in dem wiederhallenden Felſen: Wer ich ſey, vernimmſt du hernach. Jetzt lerne, Begluͤckter! Halt dich nicht vollkommner, als Andre, weil du die Gnade Dieſer Erſcheinung empfaͤhſt. Nicht unvollkommner, als Andre, War der Blinde von ſeiner Geburt, dem Jeſus den Tag gab. Daß er ein Zeuge der Herrlichkeit Jeſus wuͤrde, bedeckt’ ihn Blindheit lange! Daß du, wie er, zu zeugen vermoͤchteſt, Sandte mich Jeſus zu dir, der Auferſtandne vom Tode. Nicht, weil du mir riefſt, dich zum Zeugen zu machen! erſchein’ ich! Waͤre dir ohne dein Rufen erſchienen! Dein Zweifeln verdiente Zwar

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/223>, abgerufen am 26.04.2024.