Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Diese sind die bebenden Fragen, die Keiner mir auflöst,
Auch, ihr Stummen da, nicht! Jhr müsset es können, wofern es
Jrgend ein Endlicher kann. Nicht diese Gebeine vermöchtens;
Aber der Geist! Wo seyd ihr, ihr abgeschiednen Genossen
Dieser Leichen? Jst euch des Lichtes Wohnung der Freude
Wohnung zugleich, wenn Einer auch nur von eurem Geschlechte
Sich mit diesen Zweifeln die Seele martert? Er dacht' es.
Und nun war von Leichen das Grab und von Todtengräbern
Leer! Kaum merkt' er es. Endlich erweckt' ihn die tiefe Stille.

Siehe, nun bin ich allein! Jhr abgeschiednen Genossen
Eurer Leichen, wer seyd ihr? Elisa Gebein erweckte
Einen Todten. So war ja bey diesem Gebeine die Seele!
Denn der Staub erweckte doch nicht! Wenn auch Eine nur hier ist:
Komm, du Eine! damit ich lerne, was künftig mein Loos sey!
Komm, ich will mich vor dir nicht, Seele des Todten, entsetzen.
Auf! ich beschwöre dich, Seele, bey deinem letzten Erseufzen,
Als du rangst mit dem Tode! bey deiner Hofnung, unsterblich,
Oder bey deiner erschütternden Angst, vernichtet zu werden,
Als du rangst mit dem Tode! So rief er, und sah in das Grabmaal.
Thirza war schon um ihn, der sieben Märtyrer Mutter,
Mit den Seelen des Freundes, und seiner Geliebten gewesen.
Diese hatten ihn schon durch das Thal der Gräber begleitet
Bis zu dem Felsen, in welchem er war. Darf ich ihm erscheinen?
Fragte die treue Geliebte. Doch würd er sich nicht entsetzen,
Wenn er mich säh? Jch will ihm erscheinen! erwiederte Thirza.
Ohne Hofnung, zu sehn, wornach er verlangte, bemühte
Dilean sich zu schlummern, und also sich zu entlasten
Von

Der Meſſias.
Dieſe ſind die bebenden Fragen, die Keiner mir aufloͤſt,
Auch, ihr Stummen da, nicht! Jhr muͤſſet es koͤnnen, wofern es
Jrgend ein Endlicher kann. Nicht dieſe Gebeine vermoͤchtens;
Aber der Geiſt! Wo ſeyd ihr, ihr abgeſchiednen Genoſſen
Dieſer Leichen? Jſt euch des Lichtes Wohnung der Freude
Wohnung zugleich, wenn Einer auch nur von eurem Geſchlechte
Sich mit dieſen Zweifeln die Seele martert? Er dacht’ es.
Und nun war von Leichen das Grab und von Todtengraͤbern
Leer! Kaum merkt’ er es. Endlich erweckt’ ihn die tiefe Stille.

Siehe, nun bin ich allein! Jhr abgeſchiednen Genoſſen
Eurer Leichen, wer ſeyd ihr? Eliſa Gebein erweckte
Einen Todten. So war ja bey dieſem Gebeine die Seele!
Denn der Staub erweckte doch nicht! Wenn auch Eine nur hier iſt:
Komm, du Eine! damit ich lerne, was kuͤnftig mein Loos ſey!
Komm, ich will mich vor dir nicht, Seele des Todten, entſetzen.
Auf! ich beſchwoͤre dich, Seele, bey deinem letzten Erſeufzen,
Als du rangſt mit dem Tode! bey deiner Hofnung, unſterblich,
Oder bey deiner erſchuͤtternden Angſt, vernichtet zu werden,
Als du rangſt mit dem Tode! So rief er, und ſah in das Grabmaal.
Thirza war ſchon um ihn, der ſieben Maͤrtyrer Mutter,
Mit den Seelen des Freundes, und ſeiner Geliebten geweſen.
Dieſe hatten ihn ſchon durch das Thal der Graͤber begleitet
Bis zu dem Felſen, in welchem er war. Darf ich ihm erſcheinen?
Fragte die treue Geliebte. Doch wuͤrd er ſich nicht entſetzen,
Wenn er mich ſaͤh? Jch will ihm erſcheinen! erwiederte Thirza.
Ohne Hofnung, zu ſehn, wornach er verlangte, bemuͤhte
Dilean ſich zu ſchlummern, und alſo ſich zu entlaſten
Von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="19">
            <pb facs="#f0222" n="206"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
            <l>Die&#x017F;e &#x017F;ind die bebenden Fragen, die Keiner mir auflo&#x0364;&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Auch, ihr Stummen da, nicht! Jhr mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;et es ko&#x0364;nnen, wofern es</l><lb/>
            <l>Jrgend ein Endlicher kann. Nicht die&#x017F;e Gebeine vermo&#x0364;chtens;</l><lb/>
            <l>Aber der Gei&#x017F;t! Wo &#x017F;eyd ihr, ihr abge&#x017F;chiednen Geno&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;er Leichen? J&#x017F;t euch des Lichtes Wohnung der Freude</l><lb/>
            <l>Wohnung zugleich, wenn Einer auch nur von eurem Ge&#x017F;chlechte</l><lb/>
            <l>Sich mit die&#x017F;en Zweifeln die Seele martert? Er dacht&#x2019; es.</l><lb/>
            <l>Und nun war von Leichen das Grab und von Todtengra&#x0364;bern</l><lb/>
            <l>Leer! Kaum merkt&#x2019; er es. Endlich erweckt&#x2019; ihn die tiefe Stille.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="20">
            <l>Siehe, nun bin ich allein! Jhr abge&#x017F;chiednen Geno&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
            <l>Eurer Leichen, wer &#x017F;eyd ihr? Eli&#x017F;a Gebein erweckte</l><lb/>
            <l>Einen Todten. So war ja bey die&#x017F;em Gebeine die Seele!</l><lb/>
            <l>Denn der Staub erweckte doch nicht! Wenn auch Eine nur hier i&#x017F;t:</l><lb/>
            <l>Komm, du Eine! damit ich lerne, was ku&#x0364;nftig mein Loos &#x017F;ey!</l><lb/>
            <l>Komm, ich will mich vor dir nicht, Seele des Todten, ent&#x017F;etzen.</l><lb/>
            <l>Auf! ich be&#x017F;chwo&#x0364;re dich, Seele, bey deinem letzten Er&#x017F;eufzen,</l><lb/>
            <l>Als du rang&#x017F;t mit dem Tode! bey deiner Hofnung, un&#x017F;terblich,</l><lb/>
            <l>Oder bey deiner er&#x017F;chu&#x0364;tternden Ang&#x017F;t, vernichtet zu werden,</l><lb/>
            <l>Als du rang&#x017F;t mit dem Tode! So rief er, und &#x017F;ah in das Grabmaal.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="21">
            <l>Thirza war &#x017F;chon um ihn, der &#x017F;ieben Ma&#x0364;rtyrer Mutter,</l><lb/>
            <l>Mit den Seelen des Freundes, und &#x017F;einer Geliebten gewe&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;e hatten ihn &#x017F;chon durch das Thal der Gra&#x0364;ber begleitet</l><lb/>
            <l>Bis zu dem Fel&#x017F;en, in welchem er war. Darf ich ihm er&#x017F;cheinen?</l><lb/>
            <l>Fragte die treue Geliebte. Doch wu&#x0364;rd er &#x017F;ich nicht ent&#x017F;etzen,</l><lb/>
            <l>Wenn er mich &#x017F;a&#x0364;h? Jch will ihm er&#x017F;cheinen! erwiederte Thirza.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="22">
            <l>Ohne Hofnung, zu &#x017F;ehn, wornach er verlangte, bemu&#x0364;hte</l><lb/>
            <l>Dilean &#x017F;ich zu &#x017F;chlummern, und al&#x017F;o &#x017F;ich zu entla&#x017F;ten</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Von</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0222] Der Meſſias. Dieſe ſind die bebenden Fragen, die Keiner mir aufloͤſt, Auch, ihr Stummen da, nicht! Jhr muͤſſet es koͤnnen, wofern es Jrgend ein Endlicher kann. Nicht dieſe Gebeine vermoͤchtens; Aber der Geiſt! Wo ſeyd ihr, ihr abgeſchiednen Genoſſen Dieſer Leichen? Jſt euch des Lichtes Wohnung der Freude Wohnung zugleich, wenn Einer auch nur von eurem Geſchlechte Sich mit dieſen Zweifeln die Seele martert? Er dacht’ es. Und nun war von Leichen das Grab und von Todtengraͤbern Leer! Kaum merkt’ er es. Endlich erweckt’ ihn die tiefe Stille. Siehe, nun bin ich allein! Jhr abgeſchiednen Genoſſen Eurer Leichen, wer ſeyd ihr? Eliſa Gebein erweckte Einen Todten. So war ja bey dieſem Gebeine die Seele! Denn der Staub erweckte doch nicht! Wenn auch Eine nur hier iſt: Komm, du Eine! damit ich lerne, was kuͤnftig mein Loos ſey! Komm, ich will mich vor dir nicht, Seele des Todten, entſetzen. Auf! ich beſchwoͤre dich, Seele, bey deinem letzten Erſeufzen, Als du rangſt mit dem Tode! bey deiner Hofnung, unſterblich, Oder bey deiner erſchuͤtternden Angſt, vernichtet zu werden, Als du rangſt mit dem Tode! So rief er, und ſah in das Grabmaal. Thirza war ſchon um ihn, der ſieben Maͤrtyrer Mutter, Mit den Seelen des Freundes, und ſeiner Geliebten geweſen. Dieſe hatten ihn ſchon durch das Thal der Graͤber begleitet Bis zu dem Felſen, in welchem er war. Darf ich ihm erſcheinen? Fragte die treue Geliebte. Doch wuͤrd er ſich nicht entſetzen, Wenn er mich ſaͤh? Jch will ihm erſcheinen! erwiederte Thirza. Ohne Hofnung, zu ſehn, wornach er verlangte, bemuͤhte Dilean ſich zu ſchlummern, und alſo ſich zu entlaſten Von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/222
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/222>, abgerufen am 27.04.2024.