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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Funfzehnter Gesang.
Erst wollt' ihm Benoni, wie einer der Pilgerknaben,
Die zu dem Feste wallten, erscheinen. Doch als er des Preises
Freudenthränen erblickte, vermocht' er sich so nicht zu halten,
Und er erschien Nephthoa in seiner Herrlichkeit. Strahlend
Stand er vor ihm, gekleidet in Morgenwolken des Frühlings.
Und Nephthoa erschrack nicht. So war die Seele des Knabens
An die Bilder gewöhnt, die ihm von dem Himmel kamen,
Oft in Träumen, und oft in fast erwachendem Schlummer.
Und er lockte das Haar des himmlischen Jünglings, und redte
Mit schnellfliegenden Worten. Dich hat der Prophet mir gesendet!
Salems Jüngling, wo schwebest du her? dich hat mir gesendet
Jesus! Du bist ein Bote des Segens, des Friedens, der Wonne!
Rede, sings in die schimmernde Harfe, worauf du dich lehnest,
Sage, wo schwebest du her! Erzähl, erzähle von Gott mir,
Sohn des Lichts! erzähle von meinen Todten mir, Erbe
Jhrer Freuden, von meiner entschlummerten Schwester voll Unschuld,
Die mir bey Rosen entschlief, in der Morgendämmerung Duften,
Eine Blüthe sie selbst, da sie nun lange schon todt war.
Bringst du mir keinen himmlischen Gruß von Dimna Kedemoth?
Oder wie sonst im Himmel ihr neuer Namen jetzt heisset;
Und was sagte sie dir? Vielleicht: Der Herr sey gepriesen,
Daß ich todt bin, und daß auch mein Nephthoa wird sterben?
Nimm mich mit dir zu Dimna Kedemoth. Verzeih, du Bewohner
Jener Hütten, daß ich es wagte, so lange zu reden.
Ach, du schweigst mir, Bote von Gott! Jetzt redte Benoni.
Daß ich, Nephthoa, dich seh', und deiner Freuden Entzückung
Hat mich schweigen gemacht. Der Herr hat dir mich gesendet.
Jesus
Funfzehnter Geſang.
Erſt wollt’ ihm Benoni, wie einer der Pilgerknaben,
Die zu dem Feſte wallten, erſcheinen. Doch als er des Preiſes
Freudenthraͤnen erblickte, vermocht’ er ſich ſo nicht zu halten,
Und er erſchien Nephthoa in ſeiner Herrlichkeit. Strahlend
Stand er vor ihm, gekleidet in Morgenwolken des Fruͤhlings.
Und Nephthoa erſchrack nicht. So war die Seele des Knabens
An die Bilder gewoͤhnt, die ihm von dem Himmel kamen,
Oft in Traͤumen, und oft in faſt erwachendem Schlummer.
Und er lockte das Haar des himmliſchen Juͤnglings, und redte
Mit ſchnellfliegenden Worten. Dich hat der Prophet mir geſendet!
Salems Juͤngling, wo ſchwebeſt du her? dich hat mir geſendet
Jeſus! Du biſt ein Bote des Segens, des Friedens, der Wonne!
Rede, ſings in die ſchimmernde Harfe, worauf du dich lehneſt,
Sage, wo ſchwebeſt du her! Erzaͤhl, erzaͤhle von Gott mir,
Sohn des Lichts! erzaͤhle von meinen Todten mir, Erbe
Jhrer Freuden, von meiner entſchlummerten Schweſter voll Unſchuld,
Die mir bey Roſen entſchlief, in der Morgendaͤmmerung Duften,
Eine Bluͤthe ſie ſelbſt, da ſie nun lange ſchon todt war.
Bringſt du mir keinen himmliſchen Gruß von Dimna Kedemoth?
Oder wie ſonſt im Himmel ihr neuer Namen jetzt heiſſet;
Und was ſagte ſie dir? Vielleicht: Der Herr ſey geprieſen,
Daß ich todt bin, und daß auch mein Nephthoa wird ſterben?
Nimm mich mit dir zu Dimna Kedemoth. Verzeih, du Bewohner
Jener Huͤtten, daß ich es wagte, ſo lange zu reden.
Ach, du ſchweigſt mir, Bote von Gott! Jetzt redte Benoni.
Daß ich, Nephthoa, dich ſeh’, und deiner Freuden Entzuͤckung
Hat mich ſchweigen gemacht. Der Herr hat dir mich geſendet.
Jeſus
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[203/0219] Funfzehnter Geſang. Erſt wollt’ ihm Benoni, wie einer der Pilgerknaben, Die zu dem Feſte wallten, erſcheinen. Doch als er des Preiſes Freudenthraͤnen erblickte, vermocht’ er ſich ſo nicht zu halten, Und er erſchien Nephthoa in ſeiner Herrlichkeit. Strahlend Stand er vor ihm, gekleidet in Morgenwolken des Fruͤhlings. Und Nephthoa erſchrack nicht. So war die Seele des Knabens An die Bilder gewoͤhnt, die ihm von dem Himmel kamen, Oft in Traͤumen, und oft in faſt erwachendem Schlummer. Und er lockte das Haar des himmliſchen Juͤnglings, und redte Mit ſchnellfliegenden Worten. Dich hat der Prophet mir geſendet! Salems Juͤngling, wo ſchwebeſt du her? dich hat mir geſendet Jeſus! Du biſt ein Bote des Segens, des Friedens, der Wonne! Rede, ſings in die ſchimmernde Harfe, worauf du dich lehneſt, Sage, wo ſchwebeſt du her! Erzaͤhl, erzaͤhle von Gott mir, Sohn des Lichts! erzaͤhle von meinen Todten mir, Erbe Jhrer Freuden, von meiner entſchlummerten Schweſter voll Unſchuld, Die mir bey Roſen entſchlief, in der Morgendaͤmmerung Duften, Eine Bluͤthe ſie ſelbſt, da ſie nun lange ſchon todt war. Bringſt du mir keinen himmliſchen Gruß von Dimna Kedemoth? Oder wie ſonſt im Himmel ihr neuer Namen jetzt heiſſet; Und was ſagte ſie dir? Vielleicht: Der Herr ſey geprieſen, Daß ich todt bin, und daß auch mein Nephthoa wird ſterben? Nimm mich mit dir zu Dimna Kedemoth. Verzeih, du Bewohner Jener Huͤtten, daß ich es wagte, ſo lange zu reden. Ach, du ſchweigſt mir, Bote von Gott! Jetzt redte Benoni. Daß ich, Nephthoa, dich ſeh’, und deiner Freuden Entzuͤckung Hat mich ſchweigen gemacht. Der Herr hat dir mich geſendet. Jeſus

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/219>, abgerufen am 26.04.2024.