Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Messias.
Diese Still', o Joseph, und diese noch schwärzeren Schatten,
Diese Bilder der Angst, die meine Seele bewölken,
Diese lieb' ich, liebe noch mehr den Tod und die Gräber!
Hätte die Erde mich nur in ihre Hütten des Friedens
Aufgenommen; so wär ich nicht mehr der Söhne des Elends
Letzter! läg' ich nicht mehr, in des Jammers Tiefen, der tiefste!
Thomas, mein Bruder, o heb aus diesem Staube dein Haupt auf,
Schau gen Himmel, und lerne mit Furcht und Zittern klagen!
Freuen sollen wir uns mit Furcht und Zittern, so sollen
Wir auch klagen! Wer ist es, der das Elend zuließ?
Jst es nicht der, der uns zu dem ewigen Leben gemacht hat?
Sinn' ihm nach, wenn jetzt zu des Allerheiligsten Ohre
Deiner Klagen Geschrey mit ihrem Ungestüme
Käm', und sich unter die Chöre der Dankenden mischt', und die Wonne
Jhrer Freudenthränen und Halleluja entweihte!
Kann denn Gott nicht erretten? und will denn Gott nicht erretten?
Lerne mit Furcht, ich sag' es noch Einmal, lerne mit Zittern
Trauren! Es ist der stets Anbetungswürdige, der uns
Elend sendet. Verehre, mein Bruder, den göttlichen Boten!
Joseph, du bist ein Mann nach meinem Herzen. Jndem du
Von dem Ewigen sprichst, wird deine Seele zur Flamme!
Werde mit Freude von Gott, und werde mit Schmerze gesegnet,
Aber mit keinem Schmerze, wie meiner ist! Ach du erlägest
Dann, wie ich erliege! ... So rede denn, nenne die Lasten,
Welche dich niederstürzen! ... Ja, welche mich niederstürzen!
Kanntest du ihn? Doch was sag' ich zuerst? was zuletzt? O du kanntest
Jesus, den Göttlichen, nicht! Wie lange verweilst du in Juda?
Wenige
Der Meſſias.
Dieſe Still’, o Joſeph, und dieſe noch ſchwaͤrzeren Schatten,
Dieſe Bilder der Angſt, die meine Seele bewoͤlken,
Dieſe lieb’ ich, liebe noch mehr den Tod und die Graͤber!
Haͤtte die Erde mich nur in ihre Huͤtten des Friedens
Aufgenommen; ſo waͤr ich nicht mehr der Soͤhne des Elends
Letzter! laͤg’ ich nicht mehr, in des Jammers Tiefen, der tiefſte!
Thomas, mein Bruder, o heb aus dieſem Staube dein Haupt auf,
Schau gen Himmel, und lerne mit Furcht und Zittern klagen!
Freuen ſollen wir uns mit Furcht und Zittern, ſo ſollen
Wir auch klagen! Wer iſt es, der das Elend zuließ?
Jſt es nicht der, der uns zu dem ewigen Leben gemacht hat?
Sinn’ ihm nach, wenn jetzt zu des Allerheiligſten Ohre
Deiner Klagen Geſchrey mit ihrem Ungeſtuͤme
Kaͤm’, und ſich unter die Choͤre der Dankenden miſcht’, und die Wonne
Jhrer Freudenthraͤnen und Halleluja entweihte!
Kann denn Gott nicht erretten? und will denn Gott nicht erretten?
Lerne mit Furcht, ich ſag’ es noch Einmal, lerne mit Zittern
Trauren! Es iſt der ſtets Anbetungswuͤrdige, der uns
Elend ſendet. Verehre, mein Bruder, den goͤttlichen Boten!
Joſeph, du biſt ein Mann nach meinem Herzen. Jndem du
Von dem Ewigen ſprichſt, wird deine Seele zur Flamme!
Werde mit Freude von Gott, und werde mit Schmerze geſegnet,
Aber mit keinem Schmerze, wie meiner iſt! Ach du erlaͤgeſt
Dann, wie ich erliege! … So rede denn, nenne die Laſten,
Welche dich niederſtuͤrzen! … Ja, welche mich niederſtuͤrzen!
Kannteſt du ihn? Doch was ſag’ ich zuerſt? was zuletzt? O du kannteſt
Jeſus, den Goͤttlichen, nicht! Wie lange verweilſt du in Juda?
Wenige
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0196" n="180"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="101">
            <l>Die&#x017F;e Still&#x2019;, o Jo&#x017F;eph, und die&#x017F;e noch &#x017F;chwa&#x0364;rzeren Schatten,</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;e Bilder der Ang&#x017F;t, die meine Seele bewo&#x0364;lken,</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;e lieb&#x2019; ich, liebe noch mehr den Tod und die Gra&#x0364;ber!</l><lb/>
            <l>Ha&#x0364;tte die Erde mich nur in ihre Hu&#x0364;tten des Friedens</l><lb/>
            <l>Aufgenommen; &#x017F;o wa&#x0364;r ich nicht mehr der So&#x0364;hne des Elends</l><lb/>
            <l>Letzter! la&#x0364;g&#x2019; ich nicht mehr, in des Jammers Tiefen, der tief&#x017F;te!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="102">
            <l>Thomas, mein Bruder, o heb aus die&#x017F;em Staube dein Haupt auf,</l><lb/>
            <l>Schau gen Himmel, und lerne mit Furcht und Zittern klagen!</l><lb/>
            <l>Freuen &#x017F;ollen wir uns mit Furcht und Zittern, &#x017F;o &#x017F;ollen</l><lb/>
            <l>Wir auch klagen! Wer i&#x017F;t es, der das Elend zuließ?</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t es nicht der, der uns zu dem ewigen Leben gemacht hat?</l><lb/>
            <l>Sinn&#x2019; ihm nach, wenn jetzt zu des Allerheilig&#x017F;ten Ohre</l><lb/>
            <l>Deiner Klagen Ge&#x017F;chrey mit ihrem Unge&#x017F;tu&#x0364;me</l><lb/>
            <l>Ka&#x0364;m&#x2019;, und &#x017F;ich unter die Cho&#x0364;re der Dankenden mi&#x017F;cht&#x2019;, und die Wonne</l><lb/>
            <l>Jhrer Freudenthra&#x0364;nen und Halleluja entweihte!</l><lb/>
            <l>Kann denn Gott nicht erretten? und will denn Gott nicht erretten?</l><lb/>
            <l>Lerne mit Furcht, ich &#x017F;ag&#x2019; es noch Einmal, lerne mit Zittern</l><lb/>
            <l>Trauren! Es i&#x017F;t der &#x017F;tets Anbetungswu&#x0364;rdige, der uns</l><lb/>
            <l>Elend &#x017F;endet. Verehre, mein Bruder, den go&#x0364;ttlichen Boten!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="103">
            <l>Jo&#x017F;eph, du bi&#x017F;t ein Mann nach meinem Herzen. Jndem du</l><lb/>
            <l>Von dem Ewigen &#x017F;prich&#x017F;t, wird deine Seele zur Flamme!</l><lb/>
            <l>Werde mit Freude von Gott, und werde mit Schmerze ge&#x017F;egnet,</l><lb/>
            <l>Aber mit keinem Schmerze, wie meiner i&#x017F;t! Ach du erla&#x0364;ge&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Dann, wie ich erliege! &#x2026; So rede denn, nenne die La&#x017F;ten,</l><lb/>
            <l>Welche dich nieder&#x017F;tu&#x0364;rzen! &#x2026; Ja, welche mich nieder&#x017F;tu&#x0364;rzen!</l><lb/>
            <l>Kannte&#x017F;t du ihn? Doch was &#x017F;ag&#x2019; ich zuer&#x017F;t? was zuletzt? O du kannte&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Je&#x017F;us, den Go&#x0364;ttlichen, nicht! Wie lange verweil&#x017F;t du in Juda?</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Wenige</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0196] Der Meſſias. Dieſe Still’, o Joſeph, und dieſe noch ſchwaͤrzeren Schatten, Dieſe Bilder der Angſt, die meine Seele bewoͤlken, Dieſe lieb’ ich, liebe noch mehr den Tod und die Graͤber! Haͤtte die Erde mich nur in ihre Huͤtten des Friedens Aufgenommen; ſo waͤr ich nicht mehr der Soͤhne des Elends Letzter! laͤg’ ich nicht mehr, in des Jammers Tiefen, der tiefſte! Thomas, mein Bruder, o heb aus dieſem Staube dein Haupt auf, Schau gen Himmel, und lerne mit Furcht und Zittern klagen! Freuen ſollen wir uns mit Furcht und Zittern, ſo ſollen Wir auch klagen! Wer iſt es, der das Elend zuließ? Jſt es nicht der, der uns zu dem ewigen Leben gemacht hat? Sinn’ ihm nach, wenn jetzt zu des Allerheiligſten Ohre Deiner Klagen Geſchrey mit ihrem Ungeſtuͤme Kaͤm’, und ſich unter die Choͤre der Dankenden miſcht’, und die Wonne Jhrer Freudenthraͤnen und Halleluja entweihte! Kann denn Gott nicht erretten? und will denn Gott nicht erretten? Lerne mit Furcht, ich ſag’ es noch Einmal, lerne mit Zittern Trauren! Es iſt der ſtets Anbetungswuͤrdige, der uns Elend ſendet. Verehre, mein Bruder, den goͤttlichen Boten! Joſeph, du biſt ein Mann nach meinem Herzen. Jndem du Von dem Ewigen ſprichſt, wird deine Seele zur Flamme! Werde mit Freude von Gott, und werde mit Schmerze geſegnet, Aber mit keinem Schmerze, wie meiner iſt! Ach du erlaͤgeſt Dann, wie ich erliege! … So rede denn, nenne die Laſten, Welche dich niederſtuͤrzen! … Ja, welche mich niederſtuͤrzen! Kannteſt du ihn? Doch was ſag’ ich zuerſt? was zuletzt? O du kannteſt Jeſus, den Goͤttlichen, nicht! Wie lange verweilſt du in Juda? Wenige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/196
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/196>, abgerufen am 24.11.2024.