Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehnter Gesang.
Jhre Hand, und hielt die Hand der Geliebten, und sah sie
Wieder mit innigem Blick an, und sagte mit leisem Laute;

Du hast Christus gesehn, und seine Stimme gehöret?
Meinen Sohn? ... Doch darf ich, (hier sah sie mit himmlischer Demuth
Forschend sich um,) darf ich noch Sohn ihn nennen? Geliebte,
Euer Auge sagt mirs, ich darf ihn so nennen? Du sagtest,
Daß mein Sohn ein Mensch war! O Magdale, hatt' er auch Male
Seiner Wunden? Sie wandte sich weg, und weinte, doch hielt sie
Noch die Hand der Geliebten. O Mutter des größten der Söhne,
Weine nicht. Er ist von dem Tod erstanden. Jch weis nicht,
Ob ich Male der Wunden sah. Von Freuden erschüttert,
Sah ich beynah nur allein sein Antlitz, und himmlische Gnaden
Jn des Göttlichen Antlitz, und unaussprechliche Gnaden!
Siehe so stand er umgeben von Duft, und Schimmern der Dämmrung.
Christus Mutter weinte nicht mehr. Sie faßt die Geliebte
Jetzt bey beyden Händen, und sieht gen Himmel. Sie ließ ihr
Nun die Hände sinken, und trat tiefdenkend zurücke,
Sah mit Bewundrung sie an, und sagte: Begnadigte, Christus
Hast du erstanden gesehn, und seine Stimme gehöret?
Und die zuerst mit ihr gingen, die früheren Zeuginnen traten
Freudig um sie herum, und erzählten ihr, welcher Erscheinung
Sie erst Engel, und dann der Herr gewürdiget hätte.
Aber Didymus kam: Sahst du auch Engel, Maria
Magdale? ... Kaum erblickt ich die Engel. Mein Auge war finster
Von Betrübniß. Jch wandte mich schnell. Denn eines dem Gärtner
Gleichenden wurd ich gewahr. Jch erkannt' ihn sogleich nicht, erkannt' ihn
Erst, als er bey dem Namen, mit seiner Stimme, mich nannte.
Also
K 4

Vierzehnter Geſang.
Jhre Hand, und hielt die Hand der Geliebten, und ſah ſie
Wieder mit innigem Blick an, und ſagte mit leiſem Laute;

Du haſt Chriſtus geſehn, und ſeine Stimme gehoͤret?
Meinen Sohn? … Doch darf ich, (hier ſah ſie mit himmliſcher Demuth
Forſchend ſich um,) darf ich noch Sohn ihn nennen? Geliebte,
Euer Auge ſagt mirs, ich darf ihn ſo nennen? Du ſagteſt,
Daß mein Sohn ein Menſch war! O Magdale, hatt’ er auch Male
Seiner Wunden? Sie wandte ſich weg, und weinte, doch hielt ſie
Noch die Hand der Geliebten. O Mutter des groͤßten der Soͤhne,
Weine nicht. Er iſt von dem Tod erſtanden. Jch weis nicht,
Ob ich Male der Wunden ſah. Von Freuden erſchuͤttert,
Sah ich beynah nur allein ſein Antlitz, und himmliſche Gnaden
Jn des Goͤttlichen Antlitz, und unausſprechliche Gnaden!
Siehe ſo ſtand er umgeben von Duft, und Schimmern der Daͤmmrung.
Chriſtus Mutter weinte nicht mehr. Sie faßt die Geliebte
Jetzt bey beyden Haͤnden, und ſieht gen Himmel. Sie ließ ihr
Nun die Haͤnde ſinken, und trat tiefdenkend zuruͤcke,
Sah mit Bewundrung ſie an, und ſagte: Begnadigte, Chriſtus
Haſt du erſtanden geſehn, und ſeine Stimme gehoͤret?
Und die zuerſt mit ihr gingen, die fruͤheren Zeuginnen traten
Freudig um ſie herum, und erzaͤhlten ihr, welcher Erſcheinung
Sie erſt Engel, und dann der Herr gewuͤrdiget haͤtte.
Aber Didymus kam: Sahſt du auch Engel, Maria
Magdale? … Kaum erblickt ich die Engel. Mein Auge war finſter
Von Betruͤbniß. Jch wandte mich ſchnell. Denn eines dem Gaͤrtner
Gleichenden wurd ich gewahr. Jch erkannt’ ihn ſogleich nicht, erkannt’ ihn
Erſt, als er bey dem Namen, mit ſeiner Stimme, mich nannte.
Alſo
K 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="28">
            <pb facs="#f0167" n="151"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>Jhre Hand, und hielt die Hand der Geliebten, und &#x017F;ah &#x017F;ie</l><lb/>
            <l>Wieder mit innigem Blick an, und &#x017F;agte mit lei&#x017F;em Laute;</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="29">
            <l>Du ha&#x017F;t Chri&#x017F;tus ge&#x017F;ehn, und &#x017F;eine Stimme geho&#x0364;ret?</l><lb/>
            <l>Meinen Sohn? &#x2026; Doch darf ich, (hier &#x017F;ah &#x017F;ie mit himmli&#x017F;cher Demuth</l><lb/>
            <l>For&#x017F;chend &#x017F;ich um,) darf ich noch Sohn ihn nennen? Geliebte,</l><lb/>
            <l>Euer Auge &#x017F;agt mirs, ich darf ihn &#x017F;o nennen? Du &#x017F;agte&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Daß mein Sohn ein Men&#x017F;ch war! O Magdale, hatt&#x2019; er auch Male</l><lb/>
            <l>Seiner Wunden? Sie wandte &#x017F;ich weg, und weinte, doch hielt &#x017F;ie</l><lb/>
            <l>Noch die Hand der Geliebten. O Mutter des gro&#x0364;ßten der So&#x0364;hne,</l><lb/>
            <l>Weine nicht. Er i&#x017F;t von dem Tod er&#x017F;tanden. Jch weis nicht,</l><lb/>
            <l>Ob ich Male der Wunden &#x017F;ah. Von Freuden er&#x017F;chu&#x0364;ttert,</l><lb/>
            <l>Sah ich beynah nur allein &#x017F;ein Antlitz, und himmli&#x017F;che Gnaden</l><lb/>
            <l>Jn des Go&#x0364;ttlichen Antlitz, und unaus&#x017F;prechliche Gnaden!</l><lb/>
            <l>Siehe &#x017F;o &#x017F;tand er umgeben von Duft, und Schimmern der Da&#x0364;mmrung.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="30">
            <l>Chri&#x017F;tus Mutter weinte nicht mehr. Sie faßt die Geliebte</l><lb/>
            <l>Jetzt bey beyden Ha&#x0364;nden, und &#x017F;ieht gen Himmel. Sie ließ ihr</l><lb/>
            <l>Nun die Ha&#x0364;nde &#x017F;inken, und trat tiefdenkend zuru&#x0364;cke,</l><lb/>
            <l>Sah mit Bewundrung &#x017F;ie an, und &#x017F;agte: Begnadigte, Chri&#x017F;tus</l><lb/>
            <l>Ha&#x017F;t du er&#x017F;tanden ge&#x017F;ehn, und &#x017F;eine Stimme geho&#x0364;ret?</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="31">
            <l>Und die zuer&#x017F;t mit ihr gingen, die fru&#x0364;heren Zeuginnen traten</l><lb/>
            <l>Freudig um &#x017F;ie herum, und erza&#x0364;hlten ihr, welcher Er&#x017F;cheinung</l><lb/>
            <l>Sie er&#x017F;t Engel, und dann der Herr gewu&#x0364;rdiget ha&#x0364;tte.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="32">
            <l>Aber Didymus kam: Sah&#x017F;t du auch Engel, Maria</l><lb/>
            <l>Magdale? &#x2026; Kaum erblickt ich die Engel. Mein Auge war fin&#x017F;ter</l><lb/>
            <l>Von Betru&#x0364;bniß. Jch wandte mich &#x017F;chnell. Denn eines dem Ga&#x0364;rtner</l><lb/>
            <l>Gleichenden wurd ich gewahr. Jch erkannt&#x2019; ihn &#x017F;ogleich nicht, erkannt&#x2019; ihn</l><lb/>
            <l>Er&#x017F;t, als er bey dem Namen, mit &#x017F;einer Stimme, mich nannte.</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">K 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Al&#x017F;o</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0167] Vierzehnter Geſang. Jhre Hand, und hielt die Hand der Geliebten, und ſah ſie Wieder mit innigem Blick an, und ſagte mit leiſem Laute; Du haſt Chriſtus geſehn, und ſeine Stimme gehoͤret? Meinen Sohn? … Doch darf ich, (hier ſah ſie mit himmliſcher Demuth Forſchend ſich um,) darf ich noch Sohn ihn nennen? Geliebte, Euer Auge ſagt mirs, ich darf ihn ſo nennen? Du ſagteſt, Daß mein Sohn ein Menſch war! O Magdale, hatt’ er auch Male Seiner Wunden? Sie wandte ſich weg, und weinte, doch hielt ſie Noch die Hand der Geliebten. O Mutter des groͤßten der Soͤhne, Weine nicht. Er iſt von dem Tod erſtanden. Jch weis nicht, Ob ich Male der Wunden ſah. Von Freuden erſchuͤttert, Sah ich beynah nur allein ſein Antlitz, und himmliſche Gnaden Jn des Goͤttlichen Antlitz, und unausſprechliche Gnaden! Siehe ſo ſtand er umgeben von Duft, und Schimmern der Daͤmmrung. Chriſtus Mutter weinte nicht mehr. Sie faßt die Geliebte Jetzt bey beyden Haͤnden, und ſieht gen Himmel. Sie ließ ihr Nun die Haͤnde ſinken, und trat tiefdenkend zuruͤcke, Sah mit Bewundrung ſie an, und ſagte: Begnadigte, Chriſtus Haſt du erſtanden geſehn, und ſeine Stimme gehoͤret? Und die zuerſt mit ihr gingen, die fruͤheren Zeuginnen traten Freudig um ſie herum, und erzaͤhlten ihr, welcher Erſcheinung Sie erſt Engel, und dann der Herr gewuͤrdiget haͤtte. Aber Didymus kam: Sahſt du auch Engel, Maria Magdale? … Kaum erblickt ich die Engel. Mein Auge war finſter Von Betruͤbniß. Jch wandte mich ſchnell. Denn eines dem Gaͤrtner Gleichenden wurd ich gewahr. Jch erkannt’ ihn ſogleich nicht, erkannt’ ihn Erſt, als er bey dem Namen, mit ſeiner Stimme, mich nannte. Alſo K 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/167
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/167>, abgerufen am 24.11.2024.