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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Zwölfter Gesang.
Lazarus weint's. Da richtete sie ihr gesunkenes Haupt auf:
Sage, mein himmlischer Bruder, was geht von beyden nun mich an:
Jener Fluch von Sinai? oder die Liebe der Mutter?
Wär es die Liebe; Triumph, o Triumph, und Jubelgesänge,
Heisser herzlicher Dank dem Geber ewiger Gnaden,
Der sich nicht, wie Menschen, erbarmt, dem Erbarmer, der Gott ist!
Aber wie kann ich es wissen, daß er mit der Liebe der Mutter
Mein sich erbarmt? Ach rede doch: Hat das Gebet des Gerechten
Meinen Richter erweicht? und sieht er, mit jener Erschüttrung
Seines Jnnersten, jener heftigen Wehmuth der Mutter,
Jenem Auge voll unaussprechlicher Unruh und Hülfe,
Nieder auf mich? Jch lieg', und weine voll Jammers, und ringe
Meine Hände gen Himmel, und rufe nach Rettung, und kenne,
Wer mir helfen wird, nicht, nicht die mich gebahr! ... Erbarmer!
Flehte Nathanael, bist du ihr Mutter, so laß dein Antlitz
Voll von unaussprechlicher Unruh und Hülfe sie sehen:
Herr, verbirg dich nicht länger! ... Erdulde sie gerne die Leiden,
Lazarus sprachs, die so nah an die großen Vollendungen gränzen.
Wüßtest du, welcher Geduld und welcher Gottesergebung
Beyspiel wir haben, und wem in die Himmel der Himmel wir nachsehn!
Auferstanden bin ich, und wünschte mit dir zu entschlummern,
Meine Schwester! Wenn sie mir riese die Stimme des Todes;
O sie würde melodischer mir, wie des Tempels Gesang seyn
An dem dankendem Tage des großen Halleluja!
Freud' ergreist mein Herz, und Entsetzen! Was ist es, mein Bruder,
Das du sagst? ... Hat es Gott nicht gethan? Jch will es ihr sagen,
Meine Geliebten! Laßt uns die Wege des Herrn nicht verschweigen,
Auch
F 4
Zwoͤlfter Geſang.
Lazarus weint’s. Da richtete ſie ihr geſunkenes Haupt auf:
Sage, mein himmliſcher Bruder, was geht von beyden nun mich an:
Jener Fluch von Sinai? oder die Liebe der Mutter?
Waͤr es die Liebe; Triumph, o Triumph, und Jubelgeſaͤnge,
Heiſſer herzlicher Dank dem Geber ewiger Gnaden,
Der ſich nicht, wie Menſchen, erbarmt, dem Erbarmer, der Gott iſt!
Aber wie kann ich es wiſſen, daß er mit der Liebe der Mutter
Mein ſich erbarmt? Ach rede doch: Hat das Gebet des Gerechten
Meinen Richter erweicht? und ſieht er, mit jener Erſchuͤttrung
Seines Jnnerſten, jener heftigen Wehmuth der Mutter,
Jenem Auge voll unausſprechlicher Unruh und Huͤlfe,
Nieder auf mich? Jch lieg’, und weine voll Jammers, und ringe
Meine Haͤnde gen Himmel, und rufe nach Rettung, und kenne,
Wer mir helfen wird, nicht, nicht die mich gebahr! … Erbarmer!
Flehte Nathanael, biſt du ihr Mutter, ſo laß dein Antlitz
Voll von unausſprechlicher Unruh und Huͤlfe ſie ſehen:
Herr, verbirg dich nicht laͤnger! … Erdulde ſie gerne die Leiden,
Lazarus ſprachs, die ſo nah an die großen Vollendungen graͤnzen.
Wuͤßteſt du, welcher Geduld und welcher Gottesergebung
Beyſpiel wir haben, und wem in die Himmel der Himmel wir nachſehn!
Auferſtanden bin ich, und wuͤnſchte mit dir zu entſchlummern,
Meine Schweſter! Wenn ſie mir rieſe die Stimme des Todes;
O ſie wuͤrde melodiſcher mir, wie des Tempels Geſang ſeyn
An dem dankendem Tage des großen Halleluja!
Freud’ ergreiſt mein Herz, und Entſetzen! Was iſt es, mein Bruder,
Das du ſagſt? … Hat es Gott nicht gethan? Jch will es ihr ſagen,
Meine Geliebten! Laßt uns die Wege des Herrn nicht verſchweigen,
Auch
F 4
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[87/0103] Zwoͤlfter Geſang. Lazarus weint’s. Da richtete ſie ihr geſunkenes Haupt auf: Sage, mein himmliſcher Bruder, was geht von beyden nun mich an: Jener Fluch von Sinai? oder die Liebe der Mutter? Waͤr es die Liebe; Triumph, o Triumph, und Jubelgeſaͤnge, Heiſſer herzlicher Dank dem Geber ewiger Gnaden, Der ſich nicht, wie Menſchen, erbarmt, dem Erbarmer, der Gott iſt! Aber wie kann ich es wiſſen, daß er mit der Liebe der Mutter Mein ſich erbarmt? Ach rede doch: Hat das Gebet des Gerechten Meinen Richter erweicht? und ſieht er, mit jener Erſchuͤttrung Seines Jnnerſten, jener heftigen Wehmuth der Mutter, Jenem Auge voll unausſprechlicher Unruh und Huͤlfe, Nieder auf mich? Jch lieg’, und weine voll Jammers, und ringe Meine Haͤnde gen Himmel, und rufe nach Rettung, und kenne, Wer mir helfen wird, nicht, nicht die mich gebahr! … Erbarmer! Flehte Nathanael, biſt du ihr Mutter, ſo laß dein Antlitz Voll von unausſprechlicher Unruh und Huͤlfe ſie ſehen: Herr, verbirg dich nicht laͤnger! … Erdulde ſie gerne die Leiden, Lazarus ſprachs, die ſo nah an die großen Vollendungen graͤnzen. Wuͤßteſt du, welcher Geduld und welcher Gottesergebung Beyſpiel wir haben, und wem in die Himmel der Himmel wir nachſehn! Auferſtanden bin ich, und wuͤnſchte mit dir zu entſchlummern, Meine Schweſter! Wenn ſie mir rieſe die Stimme des Todes; O ſie wuͤrde melodiſcher mir, wie des Tempels Geſang ſeyn An dem dankendem Tage des großen Halleluja! Freud’ ergreiſt mein Herz, und Entſetzen! Was iſt es, mein Bruder, Das du ſagſt? … Hat es Gott nicht gethan? Jch will es ihr ſagen, Meine Geliebten! Laßt uns die Wege des Herrn nicht verſchweigen, Auch F 4

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/103>, abgerufen am 24.11.2024.