[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.
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<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="23"> <l> <pb facs="#f0096" n="84"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meßias.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Menſchen unweinbar, die Seraphim klagen. Hier fand ich die Seele</l><lb/> <l>Meines geliebten Lebbaͤus in ruhige Wolken gehuͤllet.</l><lb/> <l>Alſo vernahm ſie den traurigen Ton mit ſchwacher Empfindung</l><lb/> <l>Die nun ſo lang, als das ſtaͤrkre Gefuͤhl der Sinne ſie einnimmt,</l><lb/> <l>Ausgeloͤſcht iſt, doch wieder erweckt wird und maͤchtiger wirket,</l><lb/> <l>Wenn die Seele mit Lichte bekleidet dem Koͤrper entfliehet.</l><lb/> <l>Doch blieb dieſes zwar leiſe Gefuͤhl der traurigen Stimmen</l><lb/> <l>Maͤchtig genung, die erſte Geſtalt der Seele zu bilden.</l><lb/> <l>Sie hab ich ſanft im Schoße leichtfließender Morgenwolken</l><lb/> <l>Bis zur ſterblichen Huͤtte gebracht. Die Mutter gebahr ihn,</l><lb/> <l>Unter den Palmen. Da kam ich vom Wipfel der rauſchenden Palmen</l><lb/> <l>Unſichtbar her, und kuͤhlte den Knaben mit lieblichen Luͤften.</l><lb/> <l>Aber er weinte ſchon dazumal mehr, als die Sterblichen weinen,</l><lb/> <l>Wenn ſie mit dunkler Empfindung den Tod von ferne ſchon fuͤhlen.</l><lb/> <l>Alſo bracht er bey jeder Thraͤne, die Freunde vergoſſen,</l><lb/> <l>Zaͤrtlich geruͤhrt, beym leichteſten Schmerz der Menſchen empfindlich,</l><lb/> <l>Seine wehmuͤthige Jugendzeit hin. So iſt er bey Jeſu</l><lb/> <l>Jmmer geweſen. Wie ſehr bin ich deinentwegen bekuͤmmert!</l><lb/> <l>Wenn der Erloͤſer erſt ſtirbt, da wirſt du, heiliger Juͤngling,</l><lb/> <l>Unter der Laſt des Elends vergehn. Ach ſtaͤrk ihn, Erloͤſer,</l><lb/> <l>Staͤrk ihn alsdann, erbarmender Heiland, damit er nicht ſterbe.</l><lb/> <l>Siehe! dort koͤmmt er ſelbſt, tiefſinnig mit wankenden Schritten,</l><lb/> <l>Zu uns herauf, hier kanſt du ihn, Seraph, naͤher betrachten,</l><lb/> <l>Und von Antlitz zu Antlitz der Seelen zaͤrtlichſte ſehen.</l><lb/> <l>Jndem, als er noch ſprach, da trat der ſtille Lebbaͤus</l><lb/> <l>Unter ſie hin. Die hohe Verſammlung wich ungemerkt ſeitwaͤrts</l><lb/> <l>Vor dem Sterblichen aus. So zertheilen ſich Fruͤhlingsluͤfte.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Durch</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0096]
Der Meßias.
Menſchen unweinbar, die Seraphim klagen. Hier fand ich die Seele
Meines geliebten Lebbaͤus in ruhige Wolken gehuͤllet.
Alſo vernahm ſie den traurigen Ton mit ſchwacher Empfindung
Die nun ſo lang, als das ſtaͤrkre Gefuͤhl der Sinne ſie einnimmt,
Ausgeloͤſcht iſt, doch wieder erweckt wird und maͤchtiger wirket,
Wenn die Seele mit Lichte bekleidet dem Koͤrper entfliehet.
Doch blieb dieſes zwar leiſe Gefuͤhl der traurigen Stimmen
Maͤchtig genung, die erſte Geſtalt der Seele zu bilden.
Sie hab ich ſanft im Schoße leichtfließender Morgenwolken
Bis zur ſterblichen Huͤtte gebracht. Die Mutter gebahr ihn,
Unter den Palmen. Da kam ich vom Wipfel der rauſchenden Palmen
Unſichtbar her, und kuͤhlte den Knaben mit lieblichen Luͤften.
Aber er weinte ſchon dazumal mehr, als die Sterblichen weinen,
Wenn ſie mit dunkler Empfindung den Tod von ferne ſchon fuͤhlen.
Alſo bracht er bey jeder Thraͤne, die Freunde vergoſſen,
Zaͤrtlich geruͤhrt, beym leichteſten Schmerz der Menſchen empfindlich,
Seine wehmuͤthige Jugendzeit hin. So iſt er bey Jeſu
Jmmer geweſen. Wie ſehr bin ich deinentwegen bekuͤmmert!
Wenn der Erloͤſer erſt ſtirbt, da wirſt du, heiliger Juͤngling,
Unter der Laſt des Elends vergehn. Ach ſtaͤrk ihn, Erloͤſer,
Staͤrk ihn alsdann, erbarmender Heiland, damit er nicht ſterbe.
Siehe! dort koͤmmt er ſelbſt, tiefſinnig mit wankenden Schritten,
Zu uns herauf, hier kanſt du ihn, Seraph, naͤher betrachten,
Und von Antlitz zu Antlitz der Seelen zaͤrtlichſte ſehen.
Jndem, als er noch ſprach, da trat der ſtille Lebbaͤus
Unter ſie hin. Die hohe Verſammlung wich ungemerkt ſeitwaͤrts
Vor dem Sterblichen aus. So zertheilen ſich Fruͤhlingsluͤfte.
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