Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Meßias.

Hier, wo mein jugendlich Blut vor den Gräbern der Todten erstarret?
Komm doch, du göttlicher Mann, in meines Vaters Behausung.
Dich soll hier meine verlassene Mutter mit Demuth bedienen.
Milch und Honig, die lieblichsten Früchte von unseren Bäumen,
Sollst du genießen; die Wolle der jüngsten Lämmer in Auen
Soll dich bedecken. Jch selber will dich, o Gottes Prophete,
Kömmt die Sommerszeit, unter die Schatten der Bäume begleiten,
Die mein Vater im Garten mir gab. Mein lieber Benoni!
Ach Benoni, mein Bruder! dich laß ich im Grabe zurücke.
Ach nun wirst du mit mir die Blumen künftig nicht tränken!
Niemals wirst du am kühlenden Abend mich brüderlich wecken!
Ach Benoni! ach Gottes Prophet, da liegt er im Staube!

Jesus sah ihn erbarmungsvoll an, und sprach zu Johannes:
Wische dem Knaben die Zähren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler
Und rechtschaffner, als viele von seinen Vätern, erfunden.
Also sagt er, und blieb mit Johannes allein in den Gräbern.
Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhüllet,
Durchs Thal Josaphat, über das todte Meer finster hinüber.
Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel.
Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den göttlichen Weltbau,
Daß er noch durch so viele Jahrhunderte, seit der Erschaffung,
Jn der ersten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit glänzte.
Gleichwohl ahmt er ihm nach, und änderte seine Gestalten
Durch ätherisches Glänzen, damit nicht die Morgensterne
Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebäu setzte,
Ueber

Der Meßias.

Hier, wo mein jugendlich Blut vor den Graͤbern der Todten erſtarret?
Komm doch, du goͤttlicher Mann, in meines Vaters Behauſung.
Dich ſoll hier meine verlaſſene Mutter mit Demuth bedienen.
Milch und Honig, die lieblichſten Fruͤchte von unſeren Baͤumen,
Sollſt du genießen; die Wolle der juͤngſten Laͤmmer in Auen
Soll dich bedecken. Jch ſelber will dich, o Gottes Prophete,
Koͤmmt die Sommerszeit, unter die Schatten der Baͤume begleiten,
Die mein Vater im Garten mir gab. Mein lieber Benoni!
Ach Benoni, mein Bruder! dich laß ich im Grabe zuruͤcke.
Ach nun wirſt du mit mir die Blumen kuͤnftig nicht traͤnken!
Niemals wirſt du am kuͤhlenden Abend mich bruͤderlich wecken!
Ach Benoni! ach Gottes Prophet, da liegt er im Staube!

Jeſus ſah ihn erbarmungsvoll an, und ſprach zu Johannes:
Wiſche dem Knaben die Zaͤhren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler
Und rechtſchaffner, als viele von ſeinen Vaͤtern, erfunden.
Alſo ſagt er, und blieb mit Johannes allein in den Graͤbern.
Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhuͤllet,
Durchs Thal Joſaphat, uͤber das todte Meer finſter hinuͤber.
Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel.
Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den goͤttlichen Weltbau,
Daß er noch durch ſo viele Jahrhunderte, ſeit der Erſchaffung,
Jn der erſten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit glaͤnzte.
Gleichwohl ahmt er ihm nach, und aͤnderte ſeine Geſtalten
Durch aͤtheriſches Glaͤnzen, damit nicht die Morgenſterne
Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebaͤu ſetzte,
Ueber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="10">
              <l>
                <pb facs="#f0054" n="42"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meßias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Hier, wo mein jugendlich Blut vor den Gra&#x0364;bern der Todten er&#x017F;tarret?</l><lb/>
              <l>Komm doch, du go&#x0364;ttlicher Mann, in meines Vaters Behau&#x017F;ung.</l><lb/>
              <l>Dich &#x017F;oll hier meine verla&#x017F;&#x017F;ene Mutter mit Demuth bedienen.</l><lb/>
              <l>Milch und Honig, die lieblich&#x017F;ten Fru&#x0364;chte von un&#x017F;eren Ba&#x0364;umen,</l><lb/>
              <l>Soll&#x017F;t du genießen; die Wolle der ju&#x0364;ng&#x017F;ten La&#x0364;mmer in Auen</l><lb/>
              <l>Soll dich bedecken. Jch &#x017F;elber will dich, o Gottes Prophete,</l><lb/>
              <l>Ko&#x0364;mmt die Sommerszeit, unter die Schatten der Ba&#x0364;ume begleiten,</l><lb/>
              <l>Die mein Vater im Garten mir gab. Mein lieber Benoni!</l><lb/>
              <l>Ach Benoni, mein Bruder! dich laß ich im Grabe zuru&#x0364;cke.</l><lb/>
              <l>Ach nun wir&#x017F;t du mit mir die Blumen ku&#x0364;nftig nicht tra&#x0364;nken!</l><lb/>
              <l>Niemals wir&#x017F;t du am ku&#x0364;hlenden Abend mich bru&#x0364;derlich wecken!</l><lb/>
              <l>Ach Benoni! ach Gottes Prophet, da liegt er im Staube!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Je&#x017F;us &#x017F;ah ihn erbarmungsvoll an, und &#x017F;prach zu Johannes:</l><lb/>
              <l>Wi&#x017F;che dem Knaben die Za&#x0364;hren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler</l><lb/>
              <l>Und recht&#x017F;chaffner, als viele von &#x017F;einen Va&#x0364;tern, erfunden.</l><lb/>
              <l>Al&#x017F;o &#x017F;agt er, und blieb mit Johannes allein in den Gra&#x0364;bern.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="12">
              <l>Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhu&#x0364;llet,</l><lb/>
              <l>Durchs Thal Jo&#x017F;aphat, u&#x0364;ber das todte Meer fin&#x017F;ter hinu&#x0364;ber.</l><lb/>
              <l>Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel.</l><lb/>
              <l>Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den go&#x0364;ttlichen Weltbau,</l><lb/>
              <l>Daß er noch durch &#x017F;o viele Jahrhunderte, &#x017F;eit der Er&#x017F;chaffung,</l><lb/>
              <l>Jn der er&#x017F;ten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit gla&#x0364;nzte.</l><lb/>
              <l>Gleichwohl ahmt er ihm nach, und a&#x0364;nderte &#x017F;eine Ge&#x017F;talten</l><lb/>
              <l>Durch a&#x0364;theri&#x017F;ches Gla&#x0364;nzen, damit nicht die Morgen&#x017F;terne</l><lb/>
              <l>Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgeba&#x0364;u &#x017F;etzte,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ueber</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0054] Der Meßias. Hier, wo mein jugendlich Blut vor den Graͤbern der Todten erſtarret? Komm doch, du goͤttlicher Mann, in meines Vaters Behauſung. Dich ſoll hier meine verlaſſene Mutter mit Demuth bedienen. Milch und Honig, die lieblichſten Fruͤchte von unſeren Baͤumen, Sollſt du genießen; die Wolle der juͤngſten Laͤmmer in Auen Soll dich bedecken. Jch ſelber will dich, o Gottes Prophete, Koͤmmt die Sommerszeit, unter die Schatten der Baͤume begleiten, Die mein Vater im Garten mir gab. Mein lieber Benoni! Ach Benoni, mein Bruder! dich laß ich im Grabe zuruͤcke. Ach nun wirſt du mit mir die Blumen kuͤnftig nicht traͤnken! Niemals wirſt du am kuͤhlenden Abend mich bruͤderlich wecken! Ach Benoni! ach Gottes Prophet, da liegt er im Staube! Jeſus ſah ihn erbarmungsvoll an, und ſprach zu Johannes: Wiſche dem Knaben die Zaͤhren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler Und rechtſchaffner, als viele von ſeinen Vaͤtern, erfunden. Alſo ſagt er, und blieb mit Johannes allein in den Graͤbern. Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhuͤllet, Durchs Thal Joſaphat, uͤber das todte Meer finſter hinuͤber. Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel. Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den goͤttlichen Weltbau, Daß er noch durch ſo viele Jahrhunderte, ſeit der Erſchaffung, Jn der erſten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit glaͤnzte. Gleichwohl ahmt er ihm nach, und aͤnderte ſeine Geſtalten Durch aͤtheriſches Glaͤnzen, damit nicht die Morgenſterne Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebaͤu ſetzte, Ueber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/54
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/54>, abgerufen am 25.11.2024.