Unten am Fusse des Bergs, in mitternächtlicher Stille, Stand Eloa. Er hatte sein Haupt in Wolken verhüllet, Und den denkenden Blick starr auf die Erde gerichtet. Gott rief aus den Wolken herunter: Eloa! Gleich eilte Schweigend der Seraph ins Dunkle hinauf, und stand vor der Gottheit. Und Gott sprach zu Eloa: Hast du die Leiden gesehen, Die der Ewige litt? Geh, sing dem Sohn ein Triumphlied, Von den Scharen der Heiligen alle, durch Leiden des Todes, Und mit Blute versöhnt, vom Halleluja der Himmel, Wenn er König seyn wird, zur Rechten Gottes erhoben! Zitternd erwiedert der Seraph: wie aber soll ich dich nennen? Wenn ich gehe zum Sohn, die göttliche Bothschaft zu bringen. Gott sprach: nenne mich, Vater! Mit tief anbetendem Blicke, Und mit heilig gefalteten Händen, sprach Seraph Eloa: Aber wenn ich, von Antlitz zu Antlitz, im blutigen Schweisse, Und in die Leiden des Todes gehüllt, den Gottmensch erblicke; Wenn ich seh das Gericht in den sonst lächelnden Zügen, Unter den trauernden Zügen nur dunkel, der Göttlichkeit Spuren! Werd ich sprachlos nicht stehn? Wird mir mein schlagendes Herz nicht Auch den unmerklichsten Laut der himmlischen Lieder versagen? Werden mich nicht die Schrecknisse Gottes, die Bilder des Todes Selbst umschatten? Und werd ich vor ihm im Staube nicht liegen? Bater, sende mich nicht! Jch bin zu gering, dem Meßias, Viel zu endlich, dem leidenden Gottmensch Triumphe zu singen. Huldreich erwiederte Gott: wer hub hoch über die Himmel Deinen feurigen Muth? Wer gab dir da dein Triumphlied? Als am Tage des ersten Gerichts das Heer der Verworfnen Meine Donner verfolgten, du, auf den Flügeln der Donner? Wer ermannte dein Herz, den Tod des ersten der Menschen, Und mit ihm alle Tode der Kinder Adams zu sehen? Auf, ich führe dich selbst! Und wenn du mehr auch erzitterst,
Bey
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Fuͤnfter Geſang.
Unten am Fuſſe des Bergs, in mitternaͤchtlicher Stille, Stand Eloa. Er hatte ſein Haupt in Wolken verhuͤllet, Und den denkenden Blick ſtarr auf die Erde gerichtet. Gott rief aus den Wolken herunter: Eloa! Gleich eilte Schweigend der Seraph ins Dunkle hinauf, und ſtand vor der Gottheit. Und Gott ſprach zu Eloa: Haſt du die Leiden geſehen, Die der Ewige litt? Geh, ſing dem Sohn ein Triumphlied, Von den Scharen der Heiligen alle, durch Leiden des Todes, Und mit Blute verſoͤhnt, vom Halleluja der Himmel, Wenn er Koͤnig ſeyn wird, zur Rechten Gottes erhoben! Zitternd erwiedert der Seraph: wie aber ſoll ich dich nennen? Wenn ich gehe zum Sohn, die goͤttliche Bothſchaft zu bringen. Gott ſprach: nenne mich, Vater! Mit tief anbetendem Blicke, Und mit heilig gefalteten Haͤnden, ſprach Seraph Eloa: Aber wenn ich, von Antlitz zu Antlitz, im blutigen Schweiſſe, Und in die Leiden des Todes gehuͤllt, den Gottmenſch erblicke; Wenn ich ſeh das Gericht in den ſonſt laͤchelnden Zuͤgen, Unter den trauernden Zuͤgen nur dunkel, der Goͤttlichkeit Spuren! Werd ich ſprachlos nicht ſtehn? Wird mir mein ſchlagendes Herz nicht Auch den unmerklichſten Laut der himmliſchen Lieder verſagen? Werden mich nicht die Schreckniſſe Gottes, die Bilder des Todes Selbſt umſchatten? Und werd ich vor ihm im Staube nicht liegen? Bater, ſende mich nicht! Jch bin zu gering, dem Meßias, Viel zu endlich, dem leidenden Gottmenſch Triumphe zu ſingen. Huldreich erwiederte Gott: wer hub hoch uͤber die Himmel Deinen feurigen Muth? Wer gab dir da dein Triumphlied? Als am Tage des erſten Gerichts das Heer der Verworfnen Meine Donner verfolgten, du, auf den Fluͤgeln der Donner? Wer ermannte dein Herz, den Tod des erſten der Menſchen, Und mit ihm alle Tode der Kinder Adams zu ſehen? Auf, ich fuͤhre dich ſelbſt! Und wenn du mehr auch erzitterſt,
Bey
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Fuͤnfter Geſang.
Unten am Fuſſe des Bergs, in mitternaͤchtlicher Stille,
Stand Eloa. Er hatte ſein Haupt in Wolken verhuͤllet,
Und den denkenden Blick ſtarr auf die Erde gerichtet.
Gott rief aus den Wolken herunter: Eloa! Gleich eilte
Schweigend der Seraph ins Dunkle hinauf, und ſtand vor der Gottheit.
Und Gott ſprach zu Eloa: Haſt du die Leiden geſehen,
Die der Ewige litt? Geh, ſing dem Sohn ein Triumphlied,
Von den Scharen der Heiligen alle, durch Leiden des Todes,
Und mit Blute verſoͤhnt, vom Halleluja der Himmel,
Wenn er Koͤnig ſeyn wird, zur Rechten Gottes erhoben!
Zitternd erwiedert der Seraph: wie aber ſoll ich dich nennen?
Wenn ich gehe zum Sohn, die goͤttliche Bothſchaft zu bringen.
Gott ſprach: nenne mich, Vater! Mit tief anbetendem Blicke,
Und mit heilig gefalteten Haͤnden, ſprach Seraph Eloa:
Aber wenn ich, von Antlitz zu Antlitz, im blutigen Schweiſſe,
Und in die Leiden des Todes gehuͤllt, den Gottmenſch erblicke;
Wenn ich ſeh das Gericht in den ſonſt laͤchelnden Zuͤgen,
Unter den trauernden Zuͤgen nur dunkel, der Goͤttlichkeit Spuren!
Werd ich ſprachlos nicht ſtehn? Wird mir mein ſchlagendes Herz nicht
Auch den unmerklichſten Laut der himmliſchen Lieder verſagen?
Werden mich nicht die Schreckniſſe Gottes, die Bilder des Todes
Selbſt umſchatten? Und werd ich vor ihm im Staube nicht liegen?
Bater, ſende mich nicht! Jch bin zu gering, dem Meßias,
Viel zu endlich, dem leidenden Gottmenſch Triumphe zu ſingen.
Huldreich erwiederte Gott: wer hub hoch uͤber die Himmel
Deinen feurigen Muth? Wer gab dir da dein Triumphlied?
Als am Tage des erſten Gerichts das Heer der Verworfnen
Meine Donner verfolgten, du, auf den Fluͤgeln der Donner?
Wer ermannte dein Herz, den Tod des erſten der Menſchen,
Und mit ihm alle Tode der Kinder Adams zu ſehen?
Auf, ich fuͤhre dich ſelbſt! Und wenn du mehr auch erzitterſt,
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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/193>, abgerufen am 16.02.2025.
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