Wilde Gesichter voll Freude! Gesichter von sorgender Furcht voll! Still und verstummend stand die Versammlung, und wartete, bis sich Einer erhüb, und wider ihn zeugte. Da aber nicht einer Unter dieser so dichten Versammlung unzählbarer Menschen, Wider den Göttlichen aufstand, und zeugte: da hub sich die Stimme Des zusegnenden Volks von allen Seiten gen Himmel, Daß Moria davon, daß des Oelbergs waldichte Gipfel, Von der Stimme des Rufens erbebten! Da drangen die Blinden, Und die vormals Tauben herzu, und dankten und jauchzten! Da kam ein unzählbares Volk, das er wunderbar vormals Jn den Wüsten gespeist hat, und dankte dem Menschenfreunde. Da rief unter dem Volk mit lauter Stimme der Jüngling, Den er vor Nains Thoren erweckte, der rief, und sagte: Du bist warlich mehr, als ein Mensch, ohne Sünd und unschuldig! Du bist Gottes Sohn! Diese Hand, die ich gegen dich strecke, War mir erstarrt! Dieß Auge, das weint, das dir, Göttlicher, zuweint! War mir geschlossen! Die Seele, die freudig und dankbar dir betet, War nicht bey mir! Man trug mich hinaus zum Grabe der Todten! Aber du gabest der starrenden Hand, du gabest dem Auge Leben und Feuer! Jch sahe von neuem die Erd und den Himmel, Und die zitternde Mutter bey mir! Du riefest die Seele Wieder zurück! Man trug mich nicht mehr zum Grabe der Todten! Du bist warlich, mehr als ein Mensch, ohne Sünd und unschuldig! Du bist des Ewigen Sohn! Die Hoffnung der Jsraeliten! Also rief er. Du aber standst still, und schwiegst und sahst nieder! Warum verstummtest du so vorm Antlitz des ganzen Judäa? Philo! ... Zwar, was erzähl ich dieß hier? Jhr wißt es ja alle!
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Vierter Geſang.
Wilde Geſichter voll Freude! Geſichter von ſorgender Furcht voll! Still und verſtummend ſtand die Verſammlung, und wartete, bis ſich Einer erhuͤb, und wider ihn zeugte. Da aber nicht einer Unter dieſer ſo dichten Verſammlung unzaͤhlbarer Menſchen, Wider den Goͤttlichen aufſtand, und zeugte: da hub ſich die Stimme Des zuſegnenden Volks von allen Seiten gen Himmel, Daß Moria davon, daß des Oelbergs waldichte Gipfel, Von der Stimme des Rufens erbebten! Da drangen die Blinden, Und die vormals Tauben herzu, und dankten und jauchzten! Da kam ein unzaͤhlbares Volk, das er wunderbar vormals Jn den Wuͤſten geſpeiſt hat, und dankte dem Menſchenfreunde. Da rief unter dem Volk mit lauter Stimme der Juͤngling, Den er vor Nains Thoren erweckte, der rief, und ſagte: Du biſt warlich mehr, als ein Menſch, ohne Suͤnd und unſchuldig! Du biſt Gottes Sohn! Dieſe Hand, die ich gegen dich ſtrecke, War mir erſtarrt! Dieß Auge, das weint, das dir, Goͤttlicher, zuweint! War mir geſchloſſen! Die Seele, die freudig und dankbar dir betet, War nicht bey mir! Man trug mich hinaus zum Grabe der Todten! Aber du gabeſt der ſtarrenden Hand, du gabeſt dem Auge Leben und Feuer! Jch ſahe von neuem die Erd und den Himmel, Und die zitternde Mutter bey mir! Du riefeſt die Seele Wieder zuruͤck! Man trug mich nicht mehr zum Grabe der Todten! Du biſt warlich, mehr als ein Menſch, ohne Suͤnd und unſchuldig! Du biſt des Ewigen Sohn! Die Hoffnung der Jſraeliten! Alſo rief er. Du aber ſtandſt ſtill, und ſchwiegſt und ſahſt nieder! Warum verſtummteſt du ſo vorm Antlitz des ganzen Judaͤa? Philo! … Zwar, was erzaͤhl ich dieß hier? Jhr wißt es ja alle!
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Vierter Geſang.
Wilde Geſichter voll Freude! Geſichter von ſorgender Furcht voll!
Still und verſtummend ſtand die Verſammlung, und wartete, bis ſich
Einer erhuͤb, und wider ihn zeugte. Da aber nicht einer
Unter dieſer ſo dichten Verſammlung unzaͤhlbarer Menſchen,
Wider den Goͤttlichen aufſtand, und zeugte: da hub ſich die Stimme
Des zuſegnenden Volks von allen Seiten gen Himmel,
Daß Moria davon, daß des Oelbergs waldichte Gipfel,
Von der Stimme des Rufens erbebten! Da drangen die Blinden,
Und die vormals Tauben herzu, und dankten und jauchzten!
Da kam ein unzaͤhlbares Volk, das er wunderbar vormals
Jn den Wuͤſten geſpeiſt hat, und dankte dem Menſchenfreunde.
Da rief unter dem Volk mit lauter Stimme der Juͤngling,
Den er vor Nains Thoren erweckte, der rief, und ſagte:
Du biſt warlich mehr, als ein Menſch, ohne Suͤnd und unſchuldig!
Du biſt Gottes Sohn! Dieſe Hand, die ich gegen dich ſtrecke,
War mir erſtarrt! Dieß Auge, das weint, das dir, Goͤttlicher, zuweint!
War mir geſchloſſen! Die Seele, die freudig und dankbar dir betet,
War nicht bey mir! Man trug mich hinaus zum Grabe der Todten!
Aber du gabeſt der ſtarrenden Hand, du gabeſt dem Auge
Leben und Feuer! Jch ſahe von neuem die Erd und den Himmel,
Und die zitternde Mutter bey mir! Du riefeſt die Seele
Wieder zuruͤck! Man trug mich nicht mehr zum Grabe der Todten!
Du biſt warlich, mehr als ein Menſch, ohne Suͤnd und unſchuldig!
Du biſt des Ewigen Sohn! Die Hoffnung der Jſraeliten!
Alſo rief er. Du aber ſtandſt ſtill, und ſchwiegſt und ſahſt nieder!
Warum verſtummteſt du ſo vorm Antlitz des ganzen Judaͤa?
Philo! … Zwar, was erzaͤhl ich dieß hier? Jhr wißt es ja alle!
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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/131>, abgerufen am 16.07.2024.
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