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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Der Meßias.

Zärtlich herum, wenn sie auf weich verbreiteten Blumen
Unbesorgt schläft, und in blühender Jugend Unsterblichen gleichet.
Ach sie weis es noch nicht, daß ihrem redlichen Vater
Seiner Tugenden Ende sich naht. Jhr dieses zu sagen,
Kamen die Brüder; allein sie sahen sie schlummern, und schweigen.

Unterdeß schliefen die übrigen Jünger vom Kummer ermüdet
An den Höhen des Oelberges ein. Der unter dem Oelbaum,
Wo er seinen bedeckenden Arm am tiefsten herabließ;
Jener im Thal, das sich bey kleinen Hügeln versenkte;
Dieser am Fuße der himmlischen Ceder, die hoch und erhaben
Staud, und mit leisem Geräusch vom stillen waldigten Wipfel
Schlummer und Thau auf die Ruhenden träufte. Viel schliefen in Gräbern,
Welche die Kinder der mördrischen Stadt den Propheten erbauten.
Judas Jscharioth war, nicht weit vom stillen Lebbäus,
Der sein Verwandter und Freund war, aus Ungeduld eingeschlafen.
Aber Satan, der seitwärts in einer verborgenen Höle
Alles, was die Engel von ihren Jüngern erzählten,
Angehört hatte, brach zürnend hervor, und ließ voll Gedanken
Zum Verderben erhitzt, sich bey Jscharioth nieder.
Also naht sich die Pest in mitternächtlicher Stunde,
Schlummernden Städten. Der Tod liegt auf ihren verbreiteten Flügeln
An den Mauern, und hauchet um sich verderbende Dünste.
Jtzo liegen die Städte noch ruhig: bey nächtlicher Lampe
Wacht noch der Weise; noch unterreden sich göttliche Freunde
Unter den Rosen des Frühlings beym unentheiligten Weine
Von der unsterblichen Dauer der Seelen und ihrer Freundschaft:
Aber

Der Meßias.

Zaͤrtlich herum, wenn ſie auf weich verbreiteten Blumen
Unbeſorgt ſchlaͤft, und in bluͤhender Jugend Unſterblichen gleichet.
Ach ſie weis es noch nicht, daß ihrem redlichen Vater
Seiner Tugenden Ende ſich naht. Jhr dieſes zu ſagen,
Kamen die Bruͤder; allein ſie ſahen ſie ſchlummern, und ſchweigen.

Unterdeß ſchliefen die uͤbrigen Juͤnger vom Kummer ermuͤdet
An den Hoͤhen des Oelberges ein. Der unter dem Oelbaum,
Wo er ſeinen bedeckenden Arm am tiefſten herabließ;
Jener im Thal, das ſich bey kleinen Huͤgeln verſenkte;
Dieſer am Fuße der himmliſchen Ceder, die hoch und erhaben
Staud, und mit leiſem Geraͤuſch vom ſtillen waldigten Wipfel
Schlummer und Thau auf die Ruhenden traͤufte. Viel ſchliefen in Graͤbern,
Welche die Kinder der moͤrdriſchen Stadt den Propheten erbauten.
Judas Jſcharioth war, nicht weit vom ſtillen Lebbaͤus,
Der ſein Verwandter und Freund war, aus Ungeduld eingeſchlafen.
Aber Satan, der ſeitwaͤrts in einer verborgenen Hoͤle
Alles, was die Engel von ihren Juͤngern erzaͤhlten,
Angehoͤrt hatte, brach zuͤrnend hervor, und ließ voll Gedanken
Zum Verderben erhitzt, ſich bey Jſcharioth nieder.
Alſo naht ſich die Peſt in mitternaͤchtlicher Stunde,
Schlummernden Staͤdten. Der Tod liegt auf ihren verbreiteten Fluͤgeln
An den Mauern, und hauchet um ſich verderbende Duͤnſte.
Jtzo liegen die Staͤdte noch ruhig: bey naͤchtlicher Lampe
Wacht noch der Weiſe; noch unterreden ſich goͤttliche Freunde
Unter den Roſen des Fruͤhlings beym unentheiligten Weine
Von der unſterblichen Dauer der Seelen und ihrer Freundſchaft:
Aber
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[92/0104] Der Meßias. Zaͤrtlich herum, wenn ſie auf weich verbreiteten Blumen Unbeſorgt ſchlaͤft, und in bluͤhender Jugend Unſterblichen gleichet. Ach ſie weis es noch nicht, daß ihrem redlichen Vater Seiner Tugenden Ende ſich naht. Jhr dieſes zu ſagen, Kamen die Bruͤder; allein ſie ſahen ſie ſchlummern, und ſchweigen. Unterdeß ſchliefen die uͤbrigen Juͤnger vom Kummer ermuͤdet An den Hoͤhen des Oelberges ein. Der unter dem Oelbaum, Wo er ſeinen bedeckenden Arm am tiefſten herabließ; Jener im Thal, das ſich bey kleinen Huͤgeln verſenkte; Dieſer am Fuße der himmliſchen Ceder, die hoch und erhaben Staud, und mit leiſem Geraͤuſch vom ſtillen waldigten Wipfel Schlummer und Thau auf die Ruhenden traͤufte. Viel ſchliefen in Graͤbern, Welche die Kinder der moͤrdriſchen Stadt den Propheten erbauten. Judas Jſcharioth war, nicht weit vom ſtillen Lebbaͤus, Der ſein Verwandter und Freund war, aus Ungeduld eingeſchlafen. Aber Satan, der ſeitwaͤrts in einer verborgenen Hoͤle Alles, was die Engel von ihren Juͤngern erzaͤhlten, Angehoͤrt hatte, brach zuͤrnend hervor, und ließ voll Gedanken Zum Verderben erhitzt, ſich bey Jſcharioth nieder. Alſo naht ſich die Peſt in mitternaͤchtlicher Stunde, Schlummernden Staͤdten. Der Tod liegt auf ihren verbreiteten Fluͤgeln An den Mauern, und hauchet um ſich verderbende Duͤnſte. Jtzo liegen die Staͤdte noch ruhig: bey naͤchtlicher Lampe Wacht noch der Weiſe; noch unterreden ſich goͤttliche Freunde Unter den Roſen des Fruͤhlings beym unentheiligten Weine Von der unſterblichen Dauer der Seelen und ihrer Freundſchaft: Aber

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/104>, abgerufen am 05.05.2024.