und Herz finden könten? So erleuchteten vor- dem die Römer uns, als wir noch Barbaren waren, wie wir euch Deutsche schon seit langer Zeit erleuchtet haben, und immer noch fort- fahren zu erleuchten! Jch bin eigentlich in der Absicht auf dem Landtage angelangt, die Scri- benten schreiben zu lehren; und ich weis nicht, wie es zugeht, daß sie sich nicht als Zuhörer bey mir einfinden. Solte es wol gar Stolz, zwar immer sehr ungegründeter, aber doch Stolz seyn, daß sie nicht kommen? Ja, es ist Stolz, der nämlich: Sie schmeicheln sich meine Geheimnisse selbst auszufinden. Denn unmöglich können sie noch so weit zurük seyn, daß sie die Geheimnisse, die ich habe, verach- ten solten. Was euch anbetrift, meine jezigen Zuhörer, so seyd ihr freylich noch keine Scri- benten; (ich kann nicht wissen, was etwa einer oder der andre schon im Winkel gewesen ist) allein ihr werdet es doch vermutlich seyn: und so lernet ihr denn desto früher, was euch vor allen Dingen zu wissen nötig ist. Jhr werdet die Früchte der liebenswürdigen Lehrbegierde, mit welcher ihr da vor mir steht, schon einernten; und mit Neide werden euch die, welche jezt nur so eben dem Namen nach Scribenten sind, über sich wegfliegen sehen.
Dieß
und Herz finden koͤnten? So erleuchteten vor- dem die Roͤmer uns, als wir noch Barbaren waren, wie wir euch Deutſche ſchon ſeit langer Zeit erleuchtet haben, und immer noch fort- fahren zu erleuchten! Jch bin eigentlich in der Abſicht auf dem Landtage angelangt, die Scri- benten ſchreiben zu lehren; und ich weis nicht, wie es zugeht, daß ſie ſich nicht als Zuhoͤrer bey mir einfinden. Solte es wol gar Stolz, zwar immer ſehr ungegruͤndeter, aber doch Stolz ſeyn, daß ſie nicht kommen? Ja, es iſt Stolz, der naͤmlich: Sie ſchmeicheln ſich meine Geheimniſſe ſelbſt auszufinden. Denn unmoͤglich koͤnnen ſie noch ſo weit zuruͤk ſeyn, daß ſie die Geheimniſſe, die ich habe, verach- ten ſolten. Was euch anbetrift, meine jezigen Zuhoͤrer, ſo ſeyd ihr freylich noch keine Scri- benten; (ich kann nicht wiſſen, was etwa einer oder der andre ſchon im Winkel geweſen iſt) allein ihr werdet es doch vermutlich ſeyn: und ſo lernet ihr denn deſto fruͤher, was euch vor allen Dingen zu wiſſen noͤtig iſt. Jhr werdet die Fruͤchte der liebenswuͤrdigen Lehrbegierde, mit welcher ihr da vor mir ſteht, ſchon einernten; und mit Neide werden euch die, welche jezt nur ſo eben dem Namen nach Scribenten ſind, uͤber ſich wegfliegen ſehen.
Dieß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0384"n="308"/>
und Herz finden koͤnten? So erleuchteten vor-<lb/>
dem die Roͤmer uns, als wir noch Barbaren<lb/>
waren, wie wir euch Deutſche ſchon ſeit langer<lb/>
Zeit erleuchtet haben, und immer noch fort-<lb/>
fahren zu erleuchten! Jch bin eigentlich in der<lb/>
Abſicht auf dem Landtage angelangt, die Scri-<lb/>
benten ſchreiben zu lehren; und ich weis nicht,<lb/>
wie es zugeht, daß ſie ſich nicht als Zuhoͤrer<lb/>
bey mir einfinden. Solte es wol gar Stolz,<lb/>
zwar immer ſehr ungegruͤndeter, aber doch<lb/>
Stolz ſeyn, daß ſie nicht kommen? Ja, es<lb/>
iſt Stolz, der naͤmlich: Sie ſchmeicheln ſich<lb/>
meine Geheimniſſe ſelbſt auszufinden. Denn<lb/>
unmoͤglich koͤnnen ſie noch ſo weit zuruͤk ſeyn,<lb/>
daß ſie die Geheimniſſe, die ich habe, verach-<lb/>
ten ſolten. Was euch anbetrift, meine jezigen<lb/>
Zuhoͤrer, ſo ſeyd ihr freylich noch keine Scri-<lb/>
benten; (ich kann nicht wiſſen, was etwa einer<lb/>
oder der andre ſchon im Winkel geweſen iſt)<lb/>
allein ihr werdet es doch vermutlich ſeyn: und<lb/>ſo lernet ihr denn deſto fruͤher, was euch vor<lb/>
allen Dingen zu wiſſen noͤtig iſt. Jhr werdet die<lb/>
Fruͤchte der liebenswuͤrdigen Lehrbegierde, mit<lb/>
welcher ihr da vor mir ſteht, ſchon einernten;<lb/>
und mit Neide werden euch die, welche jezt nur<lb/>ſo eben dem Namen nach Scribenten ſind,<lb/>
uͤber ſich wegfliegen ſehen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Dieß</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[308/0384]
und Herz finden koͤnten? So erleuchteten vor-
dem die Roͤmer uns, als wir noch Barbaren
waren, wie wir euch Deutſche ſchon ſeit langer
Zeit erleuchtet haben, und immer noch fort-
fahren zu erleuchten! Jch bin eigentlich in der
Abſicht auf dem Landtage angelangt, die Scri-
benten ſchreiben zu lehren; und ich weis nicht,
wie es zugeht, daß ſie ſich nicht als Zuhoͤrer
bey mir einfinden. Solte es wol gar Stolz,
zwar immer ſehr ungegruͤndeter, aber doch
Stolz ſeyn, daß ſie nicht kommen? Ja, es
iſt Stolz, der naͤmlich: Sie ſchmeicheln ſich
meine Geheimniſſe ſelbſt auszufinden. Denn
unmoͤglich koͤnnen ſie noch ſo weit zuruͤk ſeyn,
daß ſie die Geheimniſſe, die ich habe, verach-
ten ſolten. Was euch anbetrift, meine jezigen
Zuhoͤrer, ſo ſeyd ihr freylich noch keine Scri-
benten; (ich kann nicht wiſſen, was etwa einer
oder der andre ſchon im Winkel geweſen iſt)
allein ihr werdet es doch vermutlich ſeyn: und
ſo lernet ihr denn deſto fruͤher, was euch vor
allen Dingen zu wiſſen noͤtig iſt. Jhr werdet die
Fruͤchte der liebenswuͤrdigen Lehrbegierde, mit
welcher ihr da vor mir ſteht, ſchon einernten;
und mit Neide werden euch die, welche jezt nur
ſo eben dem Namen nach Scribenten ſind,
uͤber ſich wegfliegen ſehen.
Dieß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/384>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.