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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

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selbst der Wirth, ihn und Fausten mit be-
sondrer Aufmerksamkeit betrachteten, und
sich leise ihre Beobachtungen mittheilten,
während sie verstohlen ihre Profile zeichne-
ten. Auch zu Faust war der Ruf dieses
Wundermanns gedrungen, hatte ihn aber
bisher so wenig interessirt, daß er auf die-
ses Geflüster nicht aufmerksam wurde, Da
sie nun auf den Platz kamen, überraschte sie
ein ganz neues Schauspiel. Dieses Ge-
wimmel von Menschen war die ächte Schu-
le der Gesichtsspäher. Jeder konnte da sei-
nen Mann fassen, und sein Gesicht auf die
Wage legen, die Kräfte seiner Seele abzuwä-
gen. Einige stunden vor Müllereseln, Pfer-
den, Ziegen, Schweinen, Hunden und
Schafen, andre hielten Spinnen, Käfer,
Ameisen und andre Insekten zwischen den
Fingern, forschten mit scharfem Blick nach
ihrem innern Charakter, und suchten zu ent-
wickeln, wie sich ihr Instinkt aus dem Aeu-
ßern bestimmen ließe. Einige maßen Schä-
del von Menschen und Thieren aus, beur-

theilten

ſelbſt der Wirth, ihn und Fauſten mit be-
ſondrer Aufmerkſamkeit betrachteten, und
ſich leiſe ihre Beobachtungen mittheilten,
waͤhrend ſie verſtohlen ihre Profile zeichne-
ten. Auch zu Fauſt war der Ruf dieſes
Wundermanns gedrungen, hatte ihn aber
bisher ſo wenig intereſſirt, daß er auf die-
ſes Gefluͤſter nicht aufmerkſam wurde, Da
ſie nun auf den Platz kamen, uͤberraſchte ſie
ein ganz neues Schauſpiel. Dieſes Ge-
wimmel von Menſchen war die aͤchte Schu-
le der Geſichtsſpaͤher. Jeder konnte da ſei-
nen Mann faſſen, und ſein Geſicht auf die
Wage legen, die Kraͤfte ſeiner Seele abzuwaͤ-
gen. Einige ſtunden vor Muͤllereſeln, Pfer-
den, Ziegen, Schweinen, Hunden und
Schafen, andre hielten Spinnen, Kaͤfer,
Ameiſen und andre Inſekten zwiſchen den
Fingern, forſchten mit ſcharfem Blick nach
ihrem innern Charakter, und ſuchten zu ent-
wickeln, wie ſich ihr Inſtinkt aus dem Aeu-
ßern beſtimmen ließe. Einige maßen Schaͤ-
del von Menſchen und Thieren aus, beur-

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[218/0229] ſelbſt der Wirth, ihn und Fauſten mit be- ſondrer Aufmerkſamkeit betrachteten, und ſich leiſe ihre Beobachtungen mittheilten, waͤhrend ſie verſtohlen ihre Profile zeichne- ten. Auch zu Fauſt war der Ruf dieſes Wundermanns gedrungen, hatte ihn aber bisher ſo wenig intereſſirt, daß er auf die- ſes Gefluͤſter nicht aufmerkſam wurde, Da ſie nun auf den Platz kamen, uͤberraſchte ſie ein ganz neues Schauſpiel. Dieſes Ge- wimmel von Menſchen war die aͤchte Schu- le der Geſichtsſpaͤher. Jeder konnte da ſei- nen Mann faſſen, und ſein Geſicht auf die Wage legen, die Kraͤfte ſeiner Seele abzuwaͤ- gen. Einige ſtunden vor Muͤllereſeln, Pfer- den, Ziegen, Schweinen, Hunden und Schafen, andre hielten Spinnen, Kaͤfer, Ameiſen und andre Inſekten zwiſchen den Fingern, forſchten mit ſcharfem Blick nach ihrem innern Charakter, und ſuchten zu ent- wickeln, wie ſich ihr Inſtinkt aus dem Aeu- ßern beſtimmen ließe. Einige maßen Schaͤ- del von Menſchen und Thieren aus, beur- theilten

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Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/229>, abgerufen am 07.05.2024.