"aber es ist mir gar nicht möglich, diesen "Kalbskopf da anzusehen, ohne euch eine "schreckliche Geschichte zu erzählen, die sich "heute ganz nahe bey eurem Hoflager zuge- "tragen hat. Auch hoffe ich von Eurer "Gerechtigkeit und christlichen Milde, daß "ihr den Beleidigten Genugthuung ver- "schaffen, und in Zukunft dafür sorgen "werdet, daß eure Angehörigen die Mensch- "heit nicht mehr auf eine so unerhörte Art "verletzen."
Der Bischof sah verwundernd auf, blick- te Fausten an, und leerte seinen Becher aus.
Faust erzählte mit Wärme und Nach- druck die obige Geschichte, keiner der Anwe- senden schien darauf zu horchen; der Bi- schof aß fort.
Faust. Mich dünkt doch, ich rede hier zu einem Bischof, einem Hirten seiner Heerde, und sitze mit Lehrern und Predigern der Re- ligion und christlichen Liebe zu Tische. Herr Bischof seyd Ihr es oder nicht?
Der
„aber es iſt mir gar nicht moͤglich, dieſen „Kalbskopf da anzuſehen, ohne euch eine „ſchreckliche Geſchichte zu erzaͤhlen, die ſich „heute ganz nahe bey eurem Hoflager zuge- „tragen hat. Auch hoffe ich von Eurer „Gerechtigkeit und chriſtlichen Milde, daß „ihr den Beleidigten Genugthuung ver- „ſchaffen, und in Zukunft dafuͤr ſorgen „werdet, daß eure Angehoͤrigen die Menſch- „heit nicht mehr auf eine ſo unerhoͤrte Art „verletzen.“
Der Biſchof ſah verwundernd auf, blick- te Fauſten an, und leerte ſeinen Becher aus.
Fauſt erzaͤhlte mit Waͤrme und Nach- druck die obige Geſchichte, keiner der Anwe- ſenden ſchien darauf zu horchen; der Bi- ſchof aß fort.
Fauſt. Mich duͤnkt doch, ich rede hier zu einem Biſchof, einem Hirten ſeiner Heerde, und ſitze mit Lehrern und Predigern der Re- ligion und chriſtlichen Liebe zu Tiſche. Herr Biſchof ſeyd Ihr es oder nicht?
Der
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„aber es iſt mir gar nicht moͤglich, dieſen
„Kalbskopf da anzuſehen, ohne euch eine
„ſchreckliche Geſchichte zu erzaͤhlen, die ſich
„heute ganz nahe bey eurem Hoflager zuge-
„tragen hat. Auch hoffe ich von Eurer
„Gerechtigkeit und chriſtlichen Milde, daß
„ihr den Beleidigten Genugthuung ver-
„ſchaffen, und in Zukunft dafuͤr ſorgen
„werdet, daß eure Angehoͤrigen die Menſch-
„heit nicht mehr auf eine ſo unerhoͤrte Art
„verletzen.“
Der Biſchof ſah verwundernd auf, blick-
te Fauſten an, und leerte ſeinen Becher aus.
Fauſt erzaͤhlte mit Waͤrme und Nach-
druck die obige Geſchichte, keiner der Anwe-
ſenden ſchien darauf zu horchen; der Bi-
ſchof aß fort.
Fauſt. Mich duͤnkt doch, ich rede hier zu
einem Biſchof, einem Hirten ſeiner Heerde,
und ſitze mit Lehrern und Predigern der Re-
ligion und chriſtlichen Liebe zu Tiſche. Herr
Biſchof ſeyd Ihr es oder nicht?
Der
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/169>, abgerufen am 22.11.2024.
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