"Guth wegführten. Da seht den Unglück- "lichen unter diesem Tuche! Wir sitzen hier "seinen Leichnam zu bewachen, damit ihn "die wilden Thiere nicht fressen, denn der "Pfarrer will ihn nicht begraben."
Sie riß das weisse Tuch von der Leiche weg, und sank zu Boden. Faust fuhr bey dem schrecklichen Anblick zurück. Dicke Thränen drängten sich aus seinen Augen, er rief: "Menschheit! Menschheit! ist dies "dein Loos?" zum Himmel. "Ließest "du diesen Unglücklichen darum gebohren "werden, daß ihn ein Diener deiner Reli- "gion durch Verzweiflung zum Selbstmord "treibe?" Er deckte den Unglücklichen zu, warf der Frau Gold hin, und sagte: "Ich "gehe zum Bischof, ich will ihm eure un- "glückliche Geschichte erzählen, er muß eu- "ren Mann begraben, euch das Eurige zu- "rückgeben, und die Bösewichter be- "strafen."
Diese Geschichte machte einen so starken Eindruck auf ihn, daß sie schon an dem bi-
schöf-
„Guth wegfuͤhrten. Da ſeht den Ungluͤck- „lichen unter dieſem Tuche! Wir ſitzen hier „ſeinen Leichnam zu bewachen, damit ihn „die wilden Thiere nicht freſſen, denn der „Pfarrer will ihn nicht begraben.“
Sie riß das weiſſe Tuch von der Leiche weg, und ſank zu Boden. Fauſt fuhr bey dem ſchrecklichen Anblick zuruͤck. Dicke Thraͤnen draͤngten ſich aus ſeinen Augen, er rief: „Menſchheit! Menſchheit! iſt dies „dein Loos?“ zum Himmel. „Ließeſt „du dieſen Ungluͤcklichen darum gebohren „werden, daß ihn ein Diener deiner Reli- „gion durch Verzweiflung zum Selbſtmord „treibe?“ Er deckte den Ungluͤcklichen zu, warf der Frau Gold hin, und ſagte: „Ich „gehe zum Biſchof, ich will ihm eure un- „gluͤckliche Geſchichte erzaͤhlen, er muß eu- „ren Mann begraben, euch das Eurige zu- „ruͤckgeben, und die Boͤſewichter be- „ſtrafen.“
Dieſe Geſchichte machte einen ſo ſtarken Eindruck auf ihn, daß ſie ſchon an dem bi-
ſchoͤf-
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„Guth wegfuͤhrten. Da ſeht den Ungluͤck-
„lichen unter dieſem Tuche! Wir ſitzen hier
„ſeinen Leichnam zu bewachen, damit ihn
„die wilden Thiere nicht freſſen, denn der
„Pfarrer will ihn nicht begraben.“
Sie riß das weiſſe Tuch von der Leiche
weg, und ſank zu Boden. Fauſt fuhr bey
dem ſchrecklichen Anblick zuruͤck. Dicke
Thraͤnen draͤngten ſich aus ſeinen Augen,
er rief: „Menſchheit! Menſchheit! iſt dies
„dein Loos?“ zum Himmel. „Ließeſt
„du dieſen Ungluͤcklichen darum gebohren
„werden, daß ihn ein Diener deiner Reli-
„gion durch Verzweiflung zum Selbſtmord
„treibe?“ Er deckte den Ungluͤcklichen zu,
warf der Frau Gold hin, und ſagte: „Ich
„gehe zum Biſchof, ich will ihm eure un-
„gluͤckliche Geſchichte erzaͤhlen, er muß eu-
„ren Mann begraben, euch das Eurige zu-
„ruͤckgeben, und die Boͤſewichter be-
„ſtrafen.“
Dieſe Geſchichte machte einen ſo ſtarken
Eindruck auf ihn, daß ſie ſchon an dem bi-
ſchoͤf-
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/167>, abgerufen am 16.02.2025.
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