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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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meine Gerechtigkeit!" der Ehemann, "ist sie
endlich fertig geworden; wie unerwartet hast
du mich dadurch überrascht, Liebchen!" --
"Reiner Irrthum," sagte ich, "die Ge-
rechtigkeit liegt noch immer drüben beim Bild-
hauer, und ich habe mich nur provisorisch auf
das Piedestal gestellt, damit es, bei besonders
wichtigen Gelegenheiten, nicht ganz leer sey.
Es bleibt zwar immer mit mir nur ein Noth-
behelf, denn die Gerechtigkeit ist kalt wie
Marmor, und hat kein Herz in der steinernen
Brust, ich aber bin ein armer Schelm voll
sentimentaler Weichlichkeit, und gar dann und
wann etwas poetisch gestimmt; indeß, bei ge-
wöhnlichen Fällen für das Haus mag ich im-
mer gut genug seyn, und wenn es Noth thut,
einen steinernen Gast abgeben. Solche Gäste
haben das für sich, daß sie nicht mitessen und
auch nicht warm werden, wo es Schaden
bringen könnte, dagegen die andern leicht Feuer
fangen, und es dem Hausherrn vor der Stirn
heiß machen, wie mir das Beispiel nahe liegt."


meine Gerechtigkeit!“ der Ehemann, „iſt ſie
endlich fertig geworden; wie unerwartet haſt
du mich dadurch uͤberraſcht, Liebchen!“ —
„Reiner Irrthum,“ ſagte ich, „die Ge-
rechtigkeit liegt noch immer druͤben beim Bild-
hauer, und ich habe mich nur proviſoriſch auf
das Piedeſtal geſtellt, damit es, bei beſonders
wichtigen Gelegenheiten, nicht ganz leer ſey.
Es bleibt zwar immer mit mir nur ein Noth-
behelf, denn die Gerechtigkeit iſt kalt wie
Marmor, und hat kein Herz in der ſteinernen
Bruſt, ich aber bin ein armer Schelm voll
ſentimentaler Weichlichkeit, und gar dann und
wann etwas poetiſch geſtimmt; indeß, bei ge-
woͤhnlichen Faͤllen fuͤr das Haus mag ich im-
mer gut genug ſeyn, und wenn es Noth thut,
einen ſteinernen Gaſt abgeben. Solche Gaͤſte
haben das fuͤr ſich, daß ſie nicht miteſſen und
auch nicht warm werden, wo es Schaden
bringen koͤnnte, dagegen die andern leicht Feuer
fangen, und es dem Hausherrn vor der Stirn
heiß machen, wie mir das Beiſpiel nahe liegt.“


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[38/0038] meine Gerechtigkeit!“ der Ehemann, „iſt ſie endlich fertig geworden; wie unerwartet haſt du mich dadurch uͤberraſcht, Liebchen!“ — „Reiner Irrthum,“ ſagte ich, „die Ge- rechtigkeit liegt noch immer druͤben beim Bild- hauer, und ich habe mich nur proviſoriſch auf das Piedeſtal geſtellt, damit es, bei beſonders wichtigen Gelegenheiten, nicht ganz leer ſey. Es bleibt zwar immer mit mir nur ein Noth- behelf, denn die Gerechtigkeit iſt kalt wie Marmor, und hat kein Herz in der ſteinernen Bruſt, ich aber bin ein armer Schelm voll ſentimentaler Weichlichkeit, und gar dann und wann etwas poetiſch geſtimmt; indeß, bei ge- woͤhnlichen Faͤllen fuͤr das Haus mag ich im- mer gut genug ſeyn, und wenn es Noth thut, einen ſteinernen Gaſt abgeben. Solche Gaͤſte haben das fuͤr ſich, daß ſie nicht miteſſen und auch nicht warm werden, wo es Schaden bringen koͤnnte, dagegen die andern leicht Feuer fangen, und es dem Hausherrn vor der Stirn heiß machen, wie mir das Beiſpiel nahe liegt.“

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/38>, abgerufen am 23.11.2024.