Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Füße verwunden wollten, umging er durch
leichte frivole Wendungen.

Als der Sünder sich nun aber so in ein
poetisches Element versezt, und die Moral
völlig, dem Geiste der neuesten Theorien ge-
mäß, abgewiesen hatte, der grünseidne Vor-
hang vor der Glasthür herabrollte, und das
Ganze ein Gardinenstück zu werden begann,
wandte ich rasch mein antipoeticum an, und
stieß gellend in das Nachtwächterhorn, worauf
ich mich auf ein leeres Piedestal, das für die
Statue der Gerechtigkeit, die bis jezt noch in
der Arbeit, bestimmt war, schwang, und still
und unbeweglich stehen blieb.

Der furchtbare Ton hatte die beiden aus
der Poesie, und den Ehemann aus dem Schlafe
geschreckt, und alle drei eilten plözlich zu glei-
cher Zeit aus zwei verschiedenen Thüren.

"Der steinerne Gast" rief der Liebhaber
schaudernd, indem er mich erblickte; "Ah,

Fuͤße verwunden wollten, umging er durch
leichte frivole Wendungen.

Als der Suͤnder ſich nun aber ſo in ein
poetiſches Element verſezt, und die Moral
voͤllig, dem Geiſte der neueſten Theorien ge-
maͤß, abgewieſen hatte, der gruͤnſeidne Vor-
hang vor der Glasthuͤr herabrollte, und das
Ganze ein Gardinenſtuͤck zu werden begann,
wandte ich raſch mein antipoeticum an, und
ſtieß gellend in das Nachtwaͤchterhorn, worauf
ich mich auf ein leeres Piedeſtal, das fuͤr die
Statue der Gerechtigkeit, die bis jezt noch in
der Arbeit, beſtimmt war, ſchwang, und ſtill
und unbeweglich ſtehen blieb.

Der furchtbare Ton hatte die beiden aus
der Poeſie, und den Ehemann aus dem Schlafe
geſchreckt, und alle drei eilten ploͤzlich zu glei-
cher Zeit aus zwei verſchiedenen Thuͤren.

„Der ſteinerne Gaſt“ rief der Liebhaber
ſchaudernd, indem er mich erblickte; „Ah,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0037" n="37"/>
Fu&#x0364;ße verwunden wollten, umging er durch<lb/>
leichte frivole Wendungen.</p><lb/>
        <p>Als der Su&#x0364;nder &#x017F;ich nun aber &#x017F;o in ein<lb/>
poeti&#x017F;ches Element ver&#x017F;ezt, und die Moral<lb/>
vo&#x0364;llig, dem Gei&#x017F;te der neue&#x017F;ten Theorien ge-<lb/>
ma&#x0364;ß, abgewie&#x017F;en hatte, der gru&#x0364;n&#x017F;eidne Vor-<lb/>
hang vor der Glasthu&#x0364;r herabrollte, und das<lb/>
Ganze ein Gardinen&#x017F;tu&#x0364;ck zu werden begann,<lb/>
wandte ich ra&#x017F;ch mein <hi rendition="#aq">antipoeticum</hi> an, und<lb/>
&#x017F;tieß gellend in das Nachtwa&#x0364;chterhorn, worauf<lb/>
ich mich auf ein leeres Piede&#x017F;tal, das fu&#x0364;r die<lb/>
Statue der Gerechtigkeit, die bis jezt noch in<lb/>
der Arbeit, be&#x017F;timmt war, &#x017F;chwang, und &#x017F;till<lb/>
und unbeweglich &#x017F;tehen blieb.</p><lb/>
        <p>Der furchtbare Ton hatte die beiden aus<lb/>
der Poe&#x017F;ie, und den Ehemann aus dem Schlafe<lb/>
ge&#x017F;chreckt, und alle drei eilten plo&#x0364;zlich zu glei-<lb/>
cher Zeit aus zwei ver&#x017F;chiedenen Thu&#x0364;ren.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der &#x017F;teinerne Ga&#x017F;t&#x201C; rief der Liebhaber<lb/>
&#x017F;chaudernd, indem er mich erblickte; &#x201E;Ah,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0037] Fuͤße verwunden wollten, umging er durch leichte frivole Wendungen. Als der Suͤnder ſich nun aber ſo in ein poetiſches Element verſezt, und die Moral voͤllig, dem Geiſte der neueſten Theorien ge- maͤß, abgewieſen hatte, der gruͤnſeidne Vor- hang vor der Glasthuͤr herabrollte, und das Ganze ein Gardinenſtuͤck zu werden begann, wandte ich raſch mein antipoeticum an, und ſtieß gellend in das Nachtwaͤchterhorn, worauf ich mich auf ein leeres Piedeſtal, das fuͤr die Statue der Gerechtigkeit, die bis jezt noch in der Arbeit, beſtimmt war, ſchwang, und ſtill und unbeweglich ſtehen blieb. Der furchtbare Ton hatte die beiden aus der Poeſie, und den Ehemann aus dem Schlafe geſchreckt, und alle drei eilten ploͤzlich zu glei- cher Zeit aus zwei verſchiedenen Thuͤren. „Der ſteinerne Gaſt“ rief der Liebhaber ſchaudernd, indem er mich erblickte; „Ah,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/37
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/37>, abgerufen am 06.10.2024.