Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Todesmaschine, die willenlos niederfällt; sein
Arbeitstisch wie die Gerichtsstäte, auf der er
in einer Minute mit drei Federzügen drei
Todesurtheile vollstreckt hatte. Beim Himmel
hätte ich die Wahl zwischen beiden, lieber
wäre ich der lebende Sünder, als dieser todte
Gerechte.

Noch mehr ergriff es mich, als ich sein
wohlgetroffenes in Wachs bossirtes Konterfei
ihm unbeweglich gegenüber sitzen sah, als wäre
es an einem leblosen Exemplare nicht genug,
und eine Doublette nöthig, um die todte Sel-
tenheit von zwei verschiedenen Seiten zu
zeigen.

Jezt trat die Dame von vorhin ein, und
die Marionette zog die Mütze ab, und legte
sie ängstlich erwartend bei sich hin. "Noch
nicht schlafen gegangen?" sagte jene, "was
führen Sie für ein wildes Leben! die Phan-
tasie ewig angespannt!" -- "Phantasie?"

Todesmaſchine, die willenlos niederfaͤllt; ſein
Arbeitstiſch wie die Gerichtsſtaͤte, auf der er
in einer Minute mit drei Federzuͤgen drei
Todesurtheile vollſtreckt hatte. Beim Himmel
haͤtte ich die Wahl zwiſchen beiden, lieber
waͤre ich der lebende Suͤnder, als dieſer todte
Gerechte.

Noch mehr ergriff es mich, als ich ſein
wohlgetroffenes in Wachs boſſirtes Konterfei
ihm unbeweglich gegenuͤber ſitzen ſah, als waͤre
es an einem lebloſen Exemplare nicht genug,
und eine Doublette noͤthig, um die todte Sel-
tenheit von zwei verſchiedenen Seiten zu
zeigen.

Jezt trat die Dame von vorhin ein, und
die Marionette zog die Muͤtze ab, und legte
ſie aͤngſtlich erwartend bei ſich hin. „Noch
nicht ſchlafen gegangen?“ ſagte jene, „was
fuͤhren Sie fuͤr ein wildes Leben! die Phan-
taſie ewig angeſpannt!“ — „Phantaſie?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0034" n="34"/>
Todesma&#x017F;chine, die willenlos niederfa&#x0364;llt; &#x017F;ein<lb/>
Arbeitsti&#x017F;ch wie die Gerichts&#x017F;ta&#x0364;te, auf der er<lb/>
in einer Minute mit drei Federzu&#x0364;gen drei<lb/>
Todesurtheile voll&#x017F;treckt hatte. Beim Himmel<lb/>
ha&#x0364;tte ich die Wahl zwi&#x017F;chen beiden, lieber<lb/>
wa&#x0364;re ich der lebende Su&#x0364;nder, als die&#x017F;er todte<lb/>
Gerechte.</p><lb/>
        <p>Noch mehr ergriff es mich, als ich &#x017F;ein<lb/>
wohlgetroffenes in Wachs bo&#x017F;&#x017F;irtes Konterfei<lb/>
ihm unbeweglich gegenu&#x0364;ber &#x017F;itzen &#x017F;ah, als wa&#x0364;re<lb/>
es an einem leblo&#x017F;en Exemplare nicht genug,<lb/>
und eine Doublette no&#x0364;thig, um die todte Sel-<lb/>
tenheit von zwei ver&#x017F;chiedenen Seiten zu<lb/>
zeigen.</p><lb/>
        <p>Jezt trat die Dame von vorhin ein, und<lb/>
die Marionette zog die Mu&#x0364;tze ab, und legte<lb/>
&#x017F;ie a&#x0364;ng&#x017F;tlich erwartend bei &#x017F;ich hin. &#x201E;Noch<lb/>
nicht &#x017F;chlafen gegangen?&#x201C; &#x017F;agte jene, &#x201E;was<lb/>
fu&#x0364;hren Sie fu&#x0364;r ein wildes Leben! die Phan-<lb/>
ta&#x017F;ie ewig ange&#x017F;pannt!&#x201C; &#x2014; &#x201E;Phanta&#x017F;ie?&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0034] Todesmaſchine, die willenlos niederfaͤllt; ſein Arbeitstiſch wie die Gerichtsſtaͤte, auf der er in einer Minute mit drei Federzuͤgen drei Todesurtheile vollſtreckt hatte. Beim Himmel haͤtte ich die Wahl zwiſchen beiden, lieber waͤre ich der lebende Suͤnder, als dieſer todte Gerechte. Noch mehr ergriff es mich, als ich ſein wohlgetroffenes in Wachs boſſirtes Konterfei ihm unbeweglich gegenuͤber ſitzen ſah, als waͤre es an einem lebloſen Exemplare nicht genug, und eine Doublette noͤthig, um die todte Sel- tenheit von zwei verſchiedenen Seiten zu zeigen. Jezt trat die Dame von vorhin ein, und die Marionette zog die Muͤtze ab, und legte ſie aͤngſtlich erwartend bei ſich hin. „Noch nicht ſchlafen gegangen?“ ſagte jene, „was fuͤhren Sie fuͤr ein wildes Leben! die Phan- taſie ewig angeſpannt!“ — „Phantaſie?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/34
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/34>, abgerufen am 16.10.2024.