der Flamme auf dem Haupte gegen die Men- schen zürnte. Sein ganzes Genie konzentrirte sich auf die Vollendung einer Tragödie, wo- rin die großen Geister der Menschheit deren Körper und bloße äußere Hülle sie gleichsam nur erscheint, die Liebe, der Haß, die Zeit und die Ewigkeit als hohe geheimnißvolle Ge- stalten auftraten, durch die statt des Chors ein tragischer Hanswurst, eine groteske und furchtbare Maske, hinlief. Der Tragiker hielt das schöne Antliz des Lebens mit eiser- ner Faust unverrükt vor seinen großen Hohl- spiegel, worinn es sich in wilde Züge verzerrte und gleichsam seine Abgründe offenbarte in den Furchen und häßlichen Runzeln die in die schö- nen Wangen fielen; so zeichnete er's ab.
Es ist gut, daß es viele nicht begriffen, denn in unserm Lorgnetten Zeitalter sind die größesten Gegenstände so entrükt worden, daß man sie höchstens nur noch in der Ferne un- deutlich durch die Vergrößerungsgläser erkennt;
der Flamme auf dem Haupte gegen die Men- ſchen zuͤrnte. Sein ganzes Genie konzentrirte ſich auf die Vollendung einer Tragoͤdie, wo- rin die großen Geiſter der Menſchheit deren Koͤrper und bloße aͤußere Huͤlle ſie gleichſam nur erſcheint, die Liebe, der Haß, die Zeit und die Ewigkeit als hohe geheimnißvolle Ge- ſtalten auftraten, durch die ſtatt des Chors ein tragiſcher Hanswurſt, eine groteske und furchtbare Maske, hinlief. Der Tragiker hielt das ſchoͤne Antliz des Lebens mit eiſer- ner Fauſt unverruͤkt vor ſeinen großen Hohl- ſpiegel, worinn es ſich in wilde Zuͤge verzerrte und gleichſam ſeine Abgruͤnde offenbarte in den Furchen und haͤßlichen Runzeln die in die ſchoͤ- nen Wangen fielen; ſo zeichnete er’s ab.
Es iſt gut, daß es viele nicht begriffen, denn in unſerm Lorgnetten Zeitalter ſind die groͤßeſten Gegenſtaͤnde ſo entruͤkt worden, daß man ſie hoͤchſtens nur noch in der Ferne un- deutlich durch die Vergroͤßerungsglaͤſer erkennt;
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0134"n="132"/>
der Flamme auf dem Haupte gegen die Men-<lb/>ſchen zuͤrnte. Sein ganzes Genie konzentrirte<lb/>ſich auf die Vollendung einer Tragoͤdie, wo-<lb/>
rin die großen Geiſter der Menſchheit deren<lb/>
Koͤrper und bloße aͤußere Huͤlle ſie gleichſam<lb/>
nur erſcheint, die Liebe, der Haß, die Zeit<lb/>
und die Ewigkeit als hohe geheimnißvolle Ge-<lb/>ſtalten auftraten, durch die ſtatt des Chors<lb/>
ein tragiſcher Hanswurſt, eine groteske und<lb/>
furchtbare Maske, hinlief. Der Tragiker<lb/>
hielt das ſchoͤne Antliz des Lebens mit eiſer-<lb/>
ner Fauſt unverruͤkt vor ſeinen großen Hohl-<lb/>ſpiegel, worinn es ſich in wilde Zuͤge verzerrte<lb/>
und gleichſam ſeine Abgruͤnde offenbarte in den<lb/>
Furchen und haͤßlichen Runzeln die in die ſchoͤ-<lb/>
nen Wangen fielen; ſo zeichnete er’s ab.</p><lb/><p>Es iſt gut, daß es viele nicht begriffen,<lb/>
denn in unſerm Lorgnetten Zeitalter ſind die<lb/>
groͤßeſten Gegenſtaͤnde ſo entruͤkt worden, daß<lb/>
man ſie hoͤchſtens nur noch in der Ferne un-<lb/>
deutlich durch die Vergroͤßerungsglaͤſer erkennt;<lb/></p></div></body></text></TEI>
[132/0134]
der Flamme auf dem Haupte gegen die Men-
ſchen zuͤrnte. Sein ganzes Genie konzentrirte
ſich auf die Vollendung einer Tragoͤdie, wo-
rin die großen Geiſter der Menſchheit deren
Koͤrper und bloße aͤußere Huͤlle ſie gleichſam
nur erſcheint, die Liebe, der Haß, die Zeit
und die Ewigkeit als hohe geheimnißvolle Ge-
ſtalten auftraten, durch die ſtatt des Chors
ein tragiſcher Hanswurſt, eine groteske und
furchtbare Maske, hinlief. Der Tragiker
hielt das ſchoͤne Antliz des Lebens mit eiſer-
ner Fauſt unverruͤkt vor ſeinen großen Hohl-
ſpiegel, worinn es ſich in wilde Zuͤge verzerrte
und gleichſam ſeine Abgruͤnde offenbarte in den
Furchen und haͤßlichen Runzeln die in die ſchoͤ-
nen Wangen fielen; ſo zeichnete er’s ab.
Es iſt gut, daß es viele nicht begriffen,
denn in unſerm Lorgnetten Zeitalter ſind die
groͤßeſten Gegenſtaͤnde ſo entruͤkt worden, daß
man ſie hoͤchſtens nur noch in der Ferne un-
deutlich durch die Vergroͤßerungsglaͤſer erkennt;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/134>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.