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Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

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§. 182. Die Allegorie erscheint entweder als ein pkl_124.002
für sich bestehendes, selbstständiges Gedicht,
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oder sie bildet einen Theil eines größern Gedichts, pkl_124.004
von welchem sie jedoch getrennt werden kann, pkl_124.005
unbeschadet ihres innigen Zusammenhanges mit dem pkl_124.006
Ganzen und ohne daß sie deshalb als Fragment erscheint. pkl_124.007
(Wir erinnern an die drei Ringe in Lessing's pkl_124.008
Nathan!) Größere, allegorisch-gehaltene Gedichte, wie pkl_124.009
Reinecke Fuchs u. a., belegt man in der Regel nicht pkl_124.010
mit dem Namen Allegorien. Eben so wenig wendet pkl_124.011
man den Namen auf diejenigen Gedichte an, die zwar pkl_124.012
allegorischer Tendenz sind, aber nicht im epischen Gewande pkl_124.013
auftreten. Eine große Menge lyrischer Poesien pkl_124.014
sind der Art.

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Jn Rücksicht der Form steht dem Dichter völlig pkl_124.016
freie Wahl zu, auch die Prosa kann mit Erfolg gebraucht pkl_124.017
werden.

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§. 183. Die Parabel. Die Parabel stimmt pkl_124.019
insofern mit der Fabel überein, als sie auch nur Veranschaulichung pkl_124.020
eines allgemeinen Satzes durch einen pkl_124.021
erdichteten Fall ist. Doch unterscheidet sie sich von derselben pkl_124.022
in folgenden Punkten: 1) erscheint die Handlung, pkl_124.023
der erdichtete Fall in der Parabel nicht, wie bei pkl_124.024
der Fabel, bestimmt, individuell, sondern unbestimmt. pkl_124.025
(Die Handlung tritt in der Parabel als Gleichniß pkl_124.026
auf, woran der allgemeine Satz klar gemacht, bewiesen pkl_124.027
werden soll. Das stellt unstreitig die Parabel in nähere pkl_124.028
Verwandtschaft zur Allegorie.) 2) gehört die, pkl_124.029
durch diesen Fall veranschaulichte Wahrheit pkl_124.030
dem Gebiete des höheren Seelenlebens an;
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woraus 3) folgt, daß nicht Thiere &c., sondern

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Jn Rücksicht der Form steht dem Dichter völlig pkl_124.016
freie Wahl zu, auch die Prosa kann mit Erfolg gebraucht pkl_124.017
werden.

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[124/0150] pkl_124.001 §. 182. Die Allegorie erscheint entweder als ein pkl_124.002 für sich bestehendes, selbstständiges Gedicht, pkl_124.003 oder sie bildet einen Theil eines größern Gedichts, pkl_124.004 von welchem sie jedoch getrennt werden kann, pkl_124.005 unbeschadet ihres innigen Zusammenhanges mit dem pkl_124.006 Ganzen und ohne daß sie deshalb als Fragment erscheint. pkl_124.007 (Wir erinnern an die drei Ringe in Lessing's pkl_124.008 Nathan!) Größere, allegorisch-gehaltene Gedichte, wie pkl_124.009 Reinecke Fuchs u. a., belegt man in der Regel nicht pkl_124.010 mit dem Namen Allegorien. Eben so wenig wendet pkl_124.011 man den Namen auf diejenigen Gedichte an, die zwar pkl_124.012 allegorischer Tendenz sind, aber nicht im epischen Gewande pkl_124.013 auftreten. Eine große Menge lyrischer Poesien pkl_124.014 sind der Art. pkl_124.015 Jn Rücksicht der Form steht dem Dichter völlig pkl_124.016 freie Wahl zu, auch die Prosa kann mit Erfolg gebraucht pkl_124.017 werden. pkl_124.018 §. 183. Die Parabel. Die Parabel stimmt pkl_124.019 insofern mit der Fabel überein, als sie auch nur Veranschaulichung pkl_124.020 eines allgemeinen Satzes durch einen pkl_124.021 erdichteten Fall ist. Doch unterscheidet sie sich von derselben pkl_124.022 in folgenden Punkten: 1) erscheint die Handlung, pkl_124.023 der erdichtete Fall in der Parabel nicht, wie bei pkl_124.024 der Fabel, bestimmt, individuell, sondern unbestimmt. pkl_124.025 (Die Handlung tritt in der Parabel als Gleichniß pkl_124.026 auf, woran der allgemeine Satz klar gemacht, bewiesen pkl_124.027 werden soll. Das stellt unstreitig die Parabel in nähere pkl_124.028 Verwandtschaft zur Allegorie.) 2) gehört die, pkl_124.029 durch diesen Fall veranschaulichte Wahrheit pkl_124.030 dem Gebiete des höheren Seelenlebens an; pkl_124.031 woraus 3) folgt, daß nicht Thiere &c., sondern

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Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/150>, abgerufen am 07.05.2024.