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Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912.

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als Zusammenfassung aller Kämpferscharen nicht Stellung nehmen will
und kann zu irgend einer Wahlrechtsforderung. Er kann lediglich "das
Stimmrecht" fordern, als Überorganisation, die nicht selbst im Feuer steht.

Zum zweiten aber besagt seine Resolution ebenso klar, daß er
von den ihm untergeordneten Kampforganisationen in den verschiedenen
Ländern, die die Realität verkörpern und den Kampf auszufechten haben,
eine vorgezeichnete Marschroute, ein Bekenntnis zu einer Fahne verlangt:
"er stellt jedem Lande frei, für diejenige Form des Wahlrechts
zu arbeiten, die ihm wünschenswert erscheint."

Da ist doch mit aller Deutlichkeit ein Eintreten für irgendein System
als Selbstverständlichkeit
vorausgesetzt und ein schwächliches Aus-
schalten der Wahlrechtsfrage überhaupt gar nicht in Betracht gezogen.

Nun möchte ich noch einmal fragen:

Warum all der Kampf?

Auf die Frage: "warum können denn die rechtsstehenden Frauen nicht
mit uns Hand in Hand gehen?" erhält man verblümt die Antwort:
"das allgemeine, gleiche Wahlrecht widerspricht ihrer ganzen Weltan-
schauung". Geht man nun der Sache auf den Grund, so findet man
des Rätsels Lösung, wie sie mir ein Mitglied des Westdeutschen Verbandes
einmal unumwunden zugab: "Wir bürgerlichen Frauen können doch nicht
eintreten für ein Anwachsen der Sozialdemokratie!"

Nun, abgesehen davon, daß die Sozialdemokratie durch ihre Wahl-
rechtsforderung ruhig eintritt für den reaktionären Stimmenzuwachs der
Frauen des Zentrums und der konservativen Partei, ist doch damit glatt
zugegeben: Frauen wollen Ausnahmegesetze unterstützen für Frauen.
Frauen, die jahrzehntelang gelitten haben unter Ausnahmegesetzen, wollen
nun die Schultern derer unter ihren Geschlechtsgenossinnen damit belasten,
die als die wirtschaftlich Schwachen des Lebens Last doppelt zu tragen haben!

So bedauerlich es ist, daß die proletarischen Frauen unserer
Organisation vorläufig noch fern bleiben, vielleicht auch immer fern
bleiben werden - es ist dies eine offene Frage, die in den "sozialistischen
Monatsheften" neuerdings von Wally Zeppler auf sehr interessante Weise
einmal angeschnitten ist -, so entbindet das in meinen Augen wenigstens
unsern Verband keineswegs seiner vornehmsten Pflicht: einzu-
treten für alle Frauen, vor allem für die, die dessen am
meisten bedürfen.

Wenn konservative und nationalliberale Frauen in ihrer Welt-
anschauung wirklich ein unüberwindliches Hindernis für den Beitritt zu
unserm Verband erblicken, so soll man es doch ruhig mit ansehen, wenn
sie sich anderswo organisieren. Jch kann darin gar kein so ungeheuer

als Zusammenfassung aller Kämpferscharen nicht Stellung nehmen will
und kann zu irgend einer Wahlrechtsforderung. Er kann lediglich „das
Stimmrecht“ fordern, als Überorganisation, die nicht selbst im Feuer steht.

Zum zweiten aber besagt seine Resolution ebenso klar, daß er
von den ihm untergeordneten Kampforganisationen in den verschiedenen
Ländern, die die Realität verkörpern und den Kampf auszufechten haben,
eine vorgezeichnete Marschroute, ein Bekenntnis zu einer Fahne verlangt:
„er stellt jedem Lande frei, für diejenige Form des Wahlrechts
zu arbeiten, die ihm wünschenswert erscheint.“

Da ist doch mit aller Deutlichkeit ein Eintreten für irgendein System
als Selbstverständlichkeit
vorausgesetzt und ein schwächliches Aus-
schalten der Wahlrechtsfrage überhaupt gar nicht in Betracht gezogen.

Nun möchte ich noch einmal fragen:

Warum all der Kampf?

Auf die Frage: „warum können denn die rechtsstehenden Frauen nicht
mit uns Hand in Hand gehen?“ erhält man verblümt die Antwort:
„das allgemeine, gleiche Wahlrecht widerspricht ihrer ganzen Weltan-
schauung“. Geht man nun der Sache auf den Grund, so findet man
des Rätsels Lösung, wie sie mir ein Mitglied des Westdeutschen Verbandes
einmal unumwunden zugab: „Wir bürgerlichen Frauen können doch nicht
eintreten für ein Anwachsen der Sozialdemokratie!“

Nun, abgesehen davon, daß die Sozialdemokratie durch ihre Wahl-
rechtsforderung ruhig eintritt für den reaktionären Stimmenzuwachs der
Frauen des Zentrums und der konservativen Partei, ist doch damit glatt
zugegeben: Frauen wollen Ausnahmegesetze unterstützen für Frauen.
Frauen, die jahrzehntelang gelitten haben unter Ausnahmegesetzen, wollen
nun die Schultern derer unter ihren Geschlechtsgenossinnen damit belasten,
die als die wirtschaftlich Schwachen des Lebens Last doppelt zu tragen haben!

So bedauerlich es ist, daß die proletarischen Frauen unserer
Organisation vorläufig noch fern bleiben, vielleicht auch immer fern
bleiben werden – es ist dies eine offene Frage, die in den „sozialistischen
Monatsheften“ neuerdings von Wally Zeppler auf sehr interessante Weise
einmal angeschnitten ist –, so entbindet das in meinen Augen wenigstens
unsern Verband keineswegs seiner vornehmsten Pflicht: einzu-
treten für alle Frauen, vor allem für die, die dessen am
meisten bedürfen.

Wenn konservative und nationalliberale Frauen in ihrer Welt-
anschauung wirklich ein unüberwindliches Hindernis für den Beitritt zu
unserm Verband erblicken, so soll man es doch ruhig mit ansehen, wenn
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[30/0030] als Zusammenfassung aller Kämpferscharen nicht Stellung nehmen will und kann zu irgend einer Wahlrechtsforderung. Er kann lediglich „das Stimmrecht“ fordern, als Überorganisation, die nicht selbst im Feuer steht. Zum zweiten aber besagt seine Resolution ebenso klar, daß er von den ihm untergeordneten Kampforganisationen in den verschiedenen Ländern, die die Realität verkörpern und den Kampf auszufechten haben, eine vorgezeichnete Marschroute, ein Bekenntnis zu einer Fahne verlangt: „er stellt jedem Lande frei, für diejenige Form des Wahlrechts zu arbeiten, die ihm wünschenswert erscheint.“ Da ist doch mit aller Deutlichkeit ein Eintreten für irgendein System als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt und ein schwächliches Aus- schalten der Wahlrechtsfrage überhaupt gar nicht in Betracht gezogen. Nun möchte ich noch einmal fragen: Warum all der Kampf? Auf die Frage: „warum können denn die rechtsstehenden Frauen nicht mit uns Hand in Hand gehen?“ erhält man verblümt die Antwort: „das allgemeine, gleiche Wahlrecht widerspricht ihrer ganzen Weltan- schauung“. Geht man nun der Sache auf den Grund, so findet man des Rätsels Lösung, wie sie mir ein Mitglied des Westdeutschen Verbandes einmal unumwunden zugab: „Wir bürgerlichen Frauen können doch nicht eintreten für ein Anwachsen der Sozialdemokratie!“ Nun, abgesehen davon, daß die Sozialdemokratie durch ihre Wahl- rechtsforderung ruhig eintritt für den reaktionären Stimmenzuwachs der Frauen des Zentrums und der konservativen Partei, ist doch damit glatt zugegeben: Frauen wollen Ausnahmegesetze unterstützen für Frauen. Frauen, die jahrzehntelang gelitten haben unter Ausnahmegesetzen, wollen nun die Schultern derer unter ihren Geschlechtsgenossinnen damit belasten, die als die wirtschaftlich Schwachen des Lebens Last doppelt zu tragen haben! So bedauerlich es ist, daß die proletarischen Frauen unserer Organisation vorläufig noch fern bleiben, vielleicht auch immer fern bleiben werden – es ist dies eine offene Frage, die in den „sozialistischen Monatsheften“ neuerdings von Wally Zeppler auf sehr interessante Weise einmal angeschnitten ist –, so entbindet das in meinen Augen wenigstens unsern Verband keineswegs seiner vornehmsten Pflicht: einzu- treten für alle Frauen, vor allem für die, die dessen am meisten bedürfen. Wenn konservative und nationalliberale Frauen in ihrer Welt- anschauung wirklich ein unüberwindliches Hindernis für den Beitritt zu unserm Verband erblicken, so soll man es doch ruhig mit ansehen, wenn sie sich anderswo organisieren. Jch kann darin gar kein so ungeheuer

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Anna Pfundt: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2014-07-16T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2014-07-16T11:00:00Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/30>, abgerufen am 28.03.2024.