Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.berührte so lind, so heilend die wunde Stelle in Ida's Herzen. Sie verstand zu schonen, zu reden und zu schweigen, wenn es Noth that. Sie hatte das seltene Talent, zu trösten, ohne falsche Hoffnungen zu weckenn und eben so wenig der Liebekranken letzte arme Zuflucht, das Versinken in träumerisches Sinnen, zu stören. Ida durchwandelte mit ihr den öden, weiten Garten, in dem auf vielen Stellen der Schnee noch nicht geschmolzen war. Der erste Hauch von warmer Luft aus dem Süden spielte ihr heute entgegen. Ein Strauch Veilchen war frisch aufgeblüht, und elektrisch durchbebte es ihr die Brust: Nun muß sich Alles, Alles wenden! Da -- war das nicht ein Reisewagen, der in den Hof rollte? -- Ja -- er kehrte wieder! Ihr Herz loderte in Flammen auf -- ihm entgegen flog sie -- dann bezwang sie sich und hielt den Arm seine Schwester fest, um ihre Aufregung unter deren stillerer Begrüßung zu verbergen. Da kam noch ein zweiter Wagen; aus dem ersten stieg die junge Gräfin, welche mit einem eigenen tückischen Lächeln Ida grüßte und dann ein paar heimliche Worte an ihren Gemahl richtete, der sie auch ironisch ansah. Selvar sprang eben geschäftig und leichtfüßig wie ein Jüngling aus dem andern Wagen und hob eine sehr hübsche Dame von etwa acht und zwanzig Jahren heraus, die er seiner Schwester als ihren Gast vorstellte. Dann bewillkommte er Ida und sagte freundlich: Sie dürfen mir dankbar berührte so lind, so heilend die wunde Stelle in Ida's Herzen. Sie verstand zu schonen, zu reden und zu schweigen, wenn es Noth that. Sie hatte das seltene Talent, zu trösten, ohne falsche Hoffnungen zu weckenn und eben so wenig der Liebekranken letzte arme Zuflucht, das Versinken in träumerisches Sinnen, zu stören. Ida durchwandelte mit ihr den öden, weiten Garten, in dem auf vielen Stellen der Schnee noch nicht geschmolzen war. Der erste Hauch von warmer Luft aus dem Süden spielte ihr heute entgegen. Ein Strauch Veilchen war frisch aufgeblüht, und elektrisch durchbebte es ihr die Brust: Nun muß sich Alles, Alles wenden! Da — war das nicht ein Reisewagen, der in den Hof rollte? — Ja — er kehrte wieder! Ihr Herz loderte in Flammen auf — ihm entgegen flog sie — dann bezwang sie sich und hielt den Arm seine Schwester fest, um ihre Aufregung unter deren stillerer Begrüßung zu verbergen. Da kam noch ein zweiter Wagen; aus dem ersten stieg die junge Gräfin, welche mit einem eigenen tückischen Lächeln Ida grüßte und dann ein paar heimliche Worte an ihren Gemahl richtete, der sie auch ironisch ansah. Selvar sprang eben geschäftig und leichtfüßig wie ein Jüngling aus dem andern Wagen und hob eine sehr hübsche Dame von etwa acht und zwanzig Jahren heraus, die er seiner Schwester als ihren Gast vorstellte. Dann bewillkommte er Ida und sagte freundlich: Sie dürfen mir dankbar <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0039"/> berührte so lind, so heilend die wunde Stelle in Ida's Herzen. Sie verstand zu schonen, zu reden und zu schweigen, wenn es Noth that. Sie hatte das seltene Talent, zu trösten, ohne falsche Hoffnungen zu weckenn und eben so wenig der Liebekranken letzte arme Zuflucht, das Versinken in träumerisches Sinnen, zu stören.</p><lb/> <p>Ida durchwandelte mit ihr den öden, weiten Garten, in dem auf vielen Stellen der Schnee noch nicht geschmolzen war. Der erste Hauch von warmer Luft aus dem Süden spielte ihr heute entgegen. Ein Strauch Veilchen war frisch aufgeblüht, und elektrisch durchbebte es ihr die Brust: Nun muß sich Alles, Alles wenden!</p><lb/> <p>Da — war das nicht ein Reisewagen, der in den Hof rollte? — Ja — er kehrte wieder! Ihr Herz loderte in Flammen auf — ihm entgegen flog sie — dann bezwang sie sich und hielt den Arm seine Schwester fest, um ihre Aufregung unter deren stillerer Begrüßung zu verbergen. Da kam noch ein zweiter Wagen; aus dem ersten stieg die junge Gräfin, welche mit einem eigenen tückischen Lächeln Ida grüßte und dann ein paar heimliche Worte an ihren Gemahl richtete, der sie auch ironisch ansah. Selvar sprang eben geschäftig und leichtfüßig wie ein Jüngling aus dem andern Wagen und hob eine sehr hübsche Dame von etwa acht und zwanzig Jahren heraus, die er seiner Schwester als ihren Gast vorstellte. Dann bewillkommte er Ida und sagte freundlich: Sie dürfen mir dankbar<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
berührte so lind, so heilend die wunde Stelle in Ida's Herzen. Sie verstand zu schonen, zu reden und zu schweigen, wenn es Noth that. Sie hatte das seltene Talent, zu trösten, ohne falsche Hoffnungen zu weckenn und eben so wenig der Liebekranken letzte arme Zuflucht, das Versinken in träumerisches Sinnen, zu stören.
Ida durchwandelte mit ihr den öden, weiten Garten, in dem auf vielen Stellen der Schnee noch nicht geschmolzen war. Der erste Hauch von warmer Luft aus dem Süden spielte ihr heute entgegen. Ein Strauch Veilchen war frisch aufgeblüht, und elektrisch durchbebte es ihr die Brust: Nun muß sich Alles, Alles wenden!
Da — war das nicht ein Reisewagen, der in den Hof rollte? — Ja — er kehrte wieder! Ihr Herz loderte in Flammen auf — ihm entgegen flog sie — dann bezwang sie sich und hielt den Arm seine Schwester fest, um ihre Aufregung unter deren stillerer Begrüßung zu verbergen. Da kam noch ein zweiter Wagen; aus dem ersten stieg die junge Gräfin, welche mit einem eigenen tückischen Lächeln Ida grüßte und dann ein paar heimliche Worte an ihren Gemahl richtete, der sie auch ironisch ansah. Selvar sprang eben geschäftig und leichtfüßig wie ein Jüngling aus dem andern Wagen und hob eine sehr hübsche Dame von etwa acht und zwanzig Jahren heraus, die er seiner Schwester als ihren Gast vorstellte. Dann bewillkommte er Ida und sagte freundlich: Sie dürfen mir dankbar
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Zitationshilfe: | Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/39>, abgerufen am 16.02.2025. |