Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sein; denn ich bringe Sie in die Nähe der größten Sängerin unserer Zeit, die Sie oft zu hören gewünscht. Wir wohnten im selben Hotel, da habe ich sie vermocht, hier Gastrollen zu geben, und vorher von den Anstrengungen des Winters in unserm Familienkreise zu rasten. -- Hier, Madame Fioretta, fuhr er zu der Fremden gewendet fort, stelle ich Ihnen einen weiblichen Kapellmeister vor. Die Sängerin beantwortete Ida's Gruß nur sehr flüchtig und richtete das Gespräch sogleich wieder an die Herren. Sie theilte die Unart der meisten Bühnenkünstlerinnen, sich den Frauengesprächen unzugänglich zu machen. Sie hatte nur für den männlichen Theil der Gesellschaft Auge und Ohr, und nicht etwa darum, weil sie auf dieser Seite die tiefere Bildung voraussetzte ; nein, auch mit dem ungebildetsten Manne sprach sie lieber, als mit der geistreichsten Frau. Madame Fioretta mußte sich nach einigen Scenen, die ihr Ida vom Blatt begleitete und auf ihren Wunsch sogleich in eine andere Tonart transponirte, überzeugt haben, daß diese mindestens eine ihr ebenbürtige Künstlernatur war. Dennoch richtete sie kein Wort, kein Urtheil je an sie, noch weniger beachtete sie es im Strom ihrer Rede, wenn Ida eine Aeußerung versuchte und erschrocken wieder abbrach. Außer Ida waren Alle von dem Wortgefecht entzückt, das Madame Fioretta bei Tische mit dem Grafen hielt und das wie ein buntes Feuerwerk schimmerte. sein; denn ich bringe Sie in die Nähe der größten Sängerin unserer Zeit, die Sie oft zu hören gewünscht. Wir wohnten im selben Hotel, da habe ich sie vermocht, hier Gastrollen zu geben, und vorher von den Anstrengungen des Winters in unserm Familienkreise zu rasten. — Hier, Madame Fioretta, fuhr er zu der Fremden gewendet fort, stelle ich Ihnen einen weiblichen Kapellmeister vor. Die Sängerin beantwortete Ida's Gruß nur sehr flüchtig und richtete das Gespräch sogleich wieder an die Herren. Sie theilte die Unart der meisten Bühnenkünstlerinnen, sich den Frauengesprächen unzugänglich zu machen. Sie hatte nur für den männlichen Theil der Gesellschaft Auge und Ohr, und nicht etwa darum, weil sie auf dieser Seite die tiefere Bildung voraussetzte ; nein, auch mit dem ungebildetsten Manne sprach sie lieber, als mit der geistreichsten Frau. Madame Fioretta mußte sich nach einigen Scenen, die ihr Ida vom Blatt begleitete und auf ihren Wunsch sogleich in eine andere Tonart transponirte, überzeugt haben, daß diese mindestens eine ihr ebenbürtige Künstlernatur war. Dennoch richtete sie kein Wort, kein Urtheil je an sie, noch weniger beachtete sie es im Strom ihrer Rede, wenn Ida eine Aeußerung versuchte und erschrocken wieder abbrach. Außer Ida waren Alle von dem Wortgefecht entzückt, das Madame Fioretta bei Tische mit dem Grafen hielt und das wie ein buntes Feuerwerk schimmerte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0040"/> sein; denn ich bringe Sie in die Nähe der größten Sängerin unserer Zeit, die Sie oft zu hören gewünscht. Wir wohnten im selben Hotel, da habe ich sie vermocht, hier Gastrollen zu geben, und vorher von den Anstrengungen des Winters in unserm Familienkreise zu rasten. — Hier, Madame Fioretta, fuhr er zu der Fremden gewendet fort, stelle ich Ihnen einen weiblichen Kapellmeister vor.</p><lb/> <p>Die Sängerin beantwortete Ida's Gruß nur sehr flüchtig und richtete das Gespräch sogleich wieder an die Herren. Sie theilte die Unart der meisten Bühnenkünstlerinnen, sich den Frauengesprächen unzugänglich zu machen. Sie hatte nur für den männlichen Theil der Gesellschaft Auge und Ohr, und nicht etwa darum, weil sie auf dieser Seite die tiefere Bildung voraussetzte ; nein, auch mit dem ungebildetsten Manne sprach sie lieber, als mit der geistreichsten Frau.</p><lb/> <p>Madame Fioretta mußte sich nach einigen Scenen, die ihr Ida vom Blatt begleitete und auf ihren Wunsch sogleich in eine andere Tonart transponirte, überzeugt haben, daß diese mindestens eine ihr ebenbürtige Künstlernatur war. Dennoch richtete sie kein Wort, kein Urtheil je an sie, noch weniger beachtete sie es im Strom ihrer Rede, wenn Ida eine Aeußerung versuchte und erschrocken wieder abbrach.</p><lb/> <p>Außer Ida waren Alle von dem Wortgefecht entzückt, das Madame Fioretta bei Tische mit dem Grafen hielt und das wie ein buntes Feuerwerk schimmerte.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
sein; denn ich bringe Sie in die Nähe der größten Sängerin unserer Zeit, die Sie oft zu hören gewünscht. Wir wohnten im selben Hotel, da habe ich sie vermocht, hier Gastrollen zu geben, und vorher von den Anstrengungen des Winters in unserm Familienkreise zu rasten. — Hier, Madame Fioretta, fuhr er zu der Fremden gewendet fort, stelle ich Ihnen einen weiblichen Kapellmeister vor.
Die Sängerin beantwortete Ida's Gruß nur sehr flüchtig und richtete das Gespräch sogleich wieder an die Herren. Sie theilte die Unart der meisten Bühnenkünstlerinnen, sich den Frauengesprächen unzugänglich zu machen. Sie hatte nur für den männlichen Theil der Gesellschaft Auge und Ohr, und nicht etwa darum, weil sie auf dieser Seite die tiefere Bildung voraussetzte ; nein, auch mit dem ungebildetsten Manne sprach sie lieber, als mit der geistreichsten Frau.
Madame Fioretta mußte sich nach einigen Scenen, die ihr Ida vom Blatt begleitete und auf ihren Wunsch sogleich in eine andere Tonart transponirte, überzeugt haben, daß diese mindestens eine ihr ebenbürtige Künstlernatur war. Dennoch richtete sie kein Wort, kein Urtheil je an sie, noch weniger beachtete sie es im Strom ihrer Rede, wenn Ida eine Aeußerung versuchte und erschrocken wieder abbrach.
Außer Ida waren Alle von dem Wortgefecht entzückt, das Madame Fioretta bei Tische mit dem Grafen hielt und das wie ein buntes Feuerwerk schimmerte.
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(2017-03-15T13:10:50Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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