Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Stellung wieder verlieren werden. Glauben Sie denn, daß die gestrengen Mütter Ihnen länger das Lehreramt bei ihren Töchtern anvertrauen, sobald erst Ihr Verhältniß zum Herrn Grafen Selvar das Märchen der ganzen feinen Gesellschaft wird? Und wie kann man denn ein Verhältniß zu meinem väterlichen Freund mißdeuten? Ein schöner väterlicher Freund, der Ihnen den Hof macht, wie er vor Ihnen einer ganzen Reihe von Schauspielerinnen und Koketten den Hof gemacht hat! Sie sehen's nun einmal von dieser Seite an. Ich aber glaube, daß sein feiner Verstand ihn gewiß nicht mehr als die übliche Galanterie an unwürdige Gegenstände verschwenden ließ. Was mich betrifft, so bin ich seiner wahren Theilnahme längst gewiß. Das ist ja eben der Beweis, wie Sie von Ihrer thörichten Leidenschaft verblendet sind, daß Sie vorgeben, ihn in ein paar Monaten besser kennen gelernt zu haben, als wir, die wir ihn ein halbes Leben hindurch schon beobachten. Ich bin überzeugt, daß seine Eitelkeit ein unverantwortliches Spiel mit Ihnen treibt. Eben hat er mir den Beweis des Gegentheils gegeben, sagte Ida kalt. Frau Werl rief eifrig: Wie, er hat Ihnen wirklich einen Heirathsantrag gestellt? Ida schrak zusammen und ward bleich und roth. Gott bewahre, welch eine wahnsinnige Voraussetzung! Stellung wieder verlieren werden. Glauben Sie denn, daß die gestrengen Mütter Ihnen länger das Lehreramt bei ihren Töchtern anvertrauen, sobald erst Ihr Verhältniß zum Herrn Grafen Selvar das Märchen der ganzen feinen Gesellschaft wird? Und wie kann man denn ein Verhältniß zu meinem väterlichen Freund mißdeuten? Ein schöner väterlicher Freund, der Ihnen den Hof macht, wie er vor Ihnen einer ganzen Reihe von Schauspielerinnen und Koketten den Hof gemacht hat! Sie sehen's nun einmal von dieser Seite an. Ich aber glaube, daß sein feiner Verstand ihn gewiß nicht mehr als die übliche Galanterie an unwürdige Gegenstände verschwenden ließ. Was mich betrifft, so bin ich seiner wahren Theilnahme längst gewiß. Das ist ja eben der Beweis, wie Sie von Ihrer thörichten Leidenschaft verblendet sind, daß Sie vorgeben, ihn in ein paar Monaten besser kennen gelernt zu haben, als wir, die wir ihn ein halbes Leben hindurch schon beobachten. Ich bin überzeugt, daß seine Eitelkeit ein unverantwortliches Spiel mit Ihnen treibt. Eben hat er mir den Beweis des Gegentheils gegeben, sagte Ida kalt. Frau Werl rief eifrig: Wie, er hat Ihnen wirklich einen Heirathsantrag gestellt? Ida schrak zusammen und ward bleich und roth. Gott bewahre, welch eine wahnsinnige Voraussetzung! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032"/> Stellung wieder verlieren werden. Glauben Sie denn, daß die gestrengen Mütter Ihnen länger das Lehreramt bei ihren Töchtern anvertrauen, sobald erst Ihr Verhältniß zum Herrn Grafen Selvar das Märchen der ganzen feinen Gesellschaft wird?</p><lb/> <p>Und wie kann man denn ein Verhältniß zu meinem väterlichen Freund mißdeuten?</p><lb/> <p>Ein schöner väterlicher Freund, der Ihnen den Hof macht, wie er vor Ihnen einer ganzen Reihe von Schauspielerinnen und Koketten den Hof gemacht hat!</p><lb/> <p>Sie sehen's nun einmal von dieser Seite an. Ich aber glaube, daß sein feiner Verstand ihn gewiß nicht mehr als die übliche Galanterie an unwürdige Gegenstände verschwenden ließ. Was mich betrifft, so bin ich seiner wahren Theilnahme längst gewiß.</p><lb/> <p>Das ist ja eben der Beweis, wie Sie von Ihrer thörichten Leidenschaft verblendet sind, daß Sie vorgeben, ihn in ein paar Monaten besser kennen gelernt zu haben, als wir, die wir ihn ein halbes Leben hindurch schon beobachten. Ich bin überzeugt, daß seine Eitelkeit ein unverantwortliches Spiel mit Ihnen treibt.</p><lb/> <p>Eben hat er mir den Beweis des Gegentheils gegeben, sagte Ida kalt.</p><lb/> <p>Frau Werl rief eifrig: Wie, er hat Ihnen wirklich einen Heirathsantrag gestellt?</p><lb/> <p>Ida schrak zusammen und ward bleich und roth. Gott bewahre, welch eine wahnsinnige Voraussetzung!<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
Stellung wieder verlieren werden. Glauben Sie denn, daß die gestrengen Mütter Ihnen länger das Lehreramt bei ihren Töchtern anvertrauen, sobald erst Ihr Verhältniß zum Herrn Grafen Selvar das Märchen der ganzen feinen Gesellschaft wird?
Und wie kann man denn ein Verhältniß zu meinem väterlichen Freund mißdeuten?
Ein schöner väterlicher Freund, der Ihnen den Hof macht, wie er vor Ihnen einer ganzen Reihe von Schauspielerinnen und Koketten den Hof gemacht hat!
Sie sehen's nun einmal von dieser Seite an. Ich aber glaube, daß sein feiner Verstand ihn gewiß nicht mehr als die übliche Galanterie an unwürdige Gegenstände verschwenden ließ. Was mich betrifft, so bin ich seiner wahren Theilnahme längst gewiß.
Das ist ja eben der Beweis, wie Sie von Ihrer thörichten Leidenschaft verblendet sind, daß Sie vorgeben, ihn in ein paar Monaten besser kennen gelernt zu haben, als wir, die wir ihn ein halbes Leben hindurch schon beobachten. Ich bin überzeugt, daß seine Eitelkeit ein unverantwortliches Spiel mit Ihnen treibt.
Eben hat er mir den Beweis des Gegentheils gegeben, sagte Ida kalt.
Frau Werl rief eifrig: Wie, er hat Ihnen wirklich einen Heirathsantrag gestellt?
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Zitationshilfe: | Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/32>, abgerufen am 27.07.2024. |