Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

Bild:
<< vorherige Seite

meine Freundin." Mareile legte ihre Hand in die Zentifolien der weißen Schale und schloß die Augen. Das war der Augenblick, in dem Günther, von seinem Ruhebette aus, Fragen zu Mareile hinüberzuwerfen liebte, wunderlich unumwundene Fragen. Es ergötzte ihn, rücksichtslos in diese Frauenseele hineinzufassen.

"Sag', Schatz, wenn du jetzt an das Schloß denkst, an Seneide, an die Tanten, an die Lampe im Gartensaal, wie siehst du das?"

"Ich sehe sie - sehr - sehr weit. Wie durch ein umgekehrtes Opernglas, ganz klein, ganz unwirklich."

"Nun, und Vater Ziepe, die Inspektorsstube?"

"O, die sind deutlicher, näher."

"Wirklich?"

"Ja - seit einiger Zeit sind sie näher als - als das Schloß."

"Hm -"

Mareile lächelte ihren Gedanken zu:

"So muß es doch sein, Liebster, nicht? Wir, du und ich, wir haben unser Leben zusammengetan, eine Kasse. Und nun ist es stark und spricht ganz laut. Wir haben nur seine Stimme in den Ohren, verstehst du? Alles andere ist klein, unecht. Es gibt doch so alte Bilder: Ganz vorne steht ein Mensch, oder es stehen zwei beisammen, groß, farbig, ganz deutlich. Die leben; und hinter ihnen stehen Häuser und Bäume, und Menschen gehen über Brücken oder reiten auf Wegen, aber ganz klein, ganz bunt, eine Spielzeugwelt, unwirklich. Siehst du, so."

Günther lachte. "Gut, gut! Du und ich, sonst nichts." Er wiegte sich in diesen Worten: "Du und ich."

meine Freundin.“ Mareile legte ihre Hand in die Zentifolien der weißen Schale und schloß die Augen. Das war der Augenblick, in dem Günther, von seinem Ruhebette aus, Fragen zu Mareile hinüberzuwerfen liebte, wunderlich unumwundene Fragen. Es ergötzte ihn, rücksichtslos in diese Frauenseele hineinzufassen.

„Sag’, Schatz, wenn du jetzt an das Schloß denkst, an Seneïde, an die Tanten, an die Lampe im Gartensaal, wie siehst du das?“

„Ich sehe sie – sehr – sehr weit. Wie durch ein umgekehrtes Opernglas, ganz klein, ganz unwirklich.“

„Nun, und Vater Ziepe, die Inspektorsstube?“

„O, die sind deutlicher, näher.“

„Wirklich?“

„Ja – seit einiger Zeit sind sie näher als – als das Schloß.“

„Hm –“

Mareile lächelte ihren Gedanken zu:

„So muß es doch sein, Liebster, nicht? Wir, du und ich, wir haben unser Leben zusammengetan, eine Kasse. Und nun ist es stark und spricht ganz laut. Wir haben nur seine Stimme in den Ohren, verstehst du? Alles andere ist klein, unecht. Es gibt doch so alte Bilder: Ganz vorne steht ein Mensch, oder es stehen zwei beisammen, groß, farbig, ganz deutlich. Die leben; und hinter ihnen stehen Häuser und Bäume, und Menschen gehen über Brücken oder reiten auf Wegen, aber ganz klein, ganz bunt, eine Spielzeugwelt, unwirklich. Siehst du, so.“

Günther lachte. „Gut, gut! Du und ich, sonst nichts.“ Er wiegte sich in diesen Worten: „Du und ich.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0105" n="103"/>
meine Freundin.&#x201C; Mareile legte ihre Hand in die Zentifolien der weißen Schale und schloß die Augen. Das war der Augenblick, in dem Günther, von seinem Ruhebette aus, Fragen zu Mareile hinüberzuwerfen liebte, wunderlich unumwundene Fragen. Es ergötzte ihn, rücksichtslos in diese Frauenseele hineinzufassen.</p>
        <p>&#x201E;Sag&#x2019;, Schatz, wenn du jetzt an das Schloß denkst, an Seneïde, an die Tanten, an die Lampe im Gartensaal, wie siehst du das?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ich sehe sie &#x2013; sehr &#x2013; sehr weit. Wie durch ein umgekehrtes Opernglas, ganz klein, ganz unwirklich.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Nun, und Vater Ziepe, die Inspektorsstube?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;O, die sind deutlicher, näher.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Wirklich?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ja &#x2013; seit einiger Zeit sind sie näher als &#x2013; als das Schloß.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Hm &#x2013;&#x201C;</p>
        <p>Mareile lächelte ihren Gedanken zu:</p>
        <p>&#x201E;So muß es doch sein, Liebster, nicht? Wir, du und ich, wir haben unser Leben zusammengetan, <hi rendition="#g">eine</hi> Kasse. Und nun ist es stark und spricht ganz laut. Wir haben nur seine Stimme in den Ohren, verstehst du? Alles andere ist klein, unecht. Es gibt doch so alte Bilder: Ganz vorne steht ein Mensch, oder es stehen zwei beisammen, groß, farbig, ganz deutlich. Die leben; und hinter ihnen stehen Häuser und Bäume, und Menschen gehen über Brücken oder reiten auf Wegen, aber ganz klein, ganz bunt, eine Spielzeugwelt, unwirklich. Siehst du, so.&#x201C;</p>
        <p>Günther lachte. &#x201E;Gut, gut! Du und ich, sonst nichts.&#x201C; Er wiegte sich in diesen Worten: &#x201E;Du und ich.&#x201C;</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0105] meine Freundin.“ Mareile legte ihre Hand in die Zentifolien der weißen Schale und schloß die Augen. Das war der Augenblick, in dem Günther, von seinem Ruhebette aus, Fragen zu Mareile hinüberzuwerfen liebte, wunderlich unumwundene Fragen. Es ergötzte ihn, rücksichtslos in diese Frauenseele hineinzufassen. „Sag’, Schatz, wenn du jetzt an das Schloß denkst, an Seneïde, an die Tanten, an die Lampe im Gartensaal, wie siehst du das?“ „Ich sehe sie – sehr – sehr weit. Wie durch ein umgekehrtes Opernglas, ganz klein, ganz unwirklich.“ „Nun, und Vater Ziepe, die Inspektorsstube?“ „O, die sind deutlicher, näher.“ „Wirklich?“ „Ja – seit einiger Zeit sind sie näher als – als das Schloß.“ „Hm –“ Mareile lächelte ihren Gedanken zu: „So muß es doch sein, Liebster, nicht? Wir, du und ich, wir haben unser Leben zusammengetan, eine Kasse. Und nun ist es stark und spricht ganz laut. Wir haben nur seine Stimme in den Ohren, verstehst du? Alles andere ist klein, unecht. Es gibt doch so alte Bilder: Ganz vorne steht ein Mensch, oder es stehen zwei beisammen, groß, farbig, ganz deutlich. Die leben; und hinter ihnen stehen Häuser und Bäume, und Menschen gehen über Brücken oder reiten auf Wegen, aber ganz klein, ganz bunt, eine Spielzeugwelt, unwirklich. Siehst du, so.“ Günther lachte. „Gut, gut! Du und ich, sonst nichts.“ Er wiegte sich in diesen Worten: „Du und ich.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Eduard von Keyserlings „Beate und Mareile“ erschi… [mehr]

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/105
Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/105>, abgerufen am 25.11.2024.