Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

Vom Kreuz des Mittlers Bild,
Nicht konnt' ich widerstreben,
Auf zog es mich mit Beben.

Und was ich jüngst begehrte,
Das Ird'sche floh mein Herz,
Hinab sank Staub und Erde,
Sonne flog himmelwärts.
Hin kniet' ich im Entzücken,
Es an das Herz zu drücken.
Da strömten Ruh' und Wonne
Aus ihm in meine Brust,
Als wär' es eine Sonne,
Durchzückt es mich mit Lust;
Es flogen Engel nieder,
Und grüßten mich als Brüder.
Doch sieh! zum süßen Lohne
Neigt mild das Bildniß sich,
Es sinkt die Dornenkrone
Von seinem Haupt auf mich.
Fest drückt' ich sie zum Herzen,
Fühlend so süße Schmerzen.
Und bis zur Todesstunde,
In Weh und Lebenslust,
Fühl' ich die theure Wunde
Nun tief in meiner Brust;
Fühl', wie ein neues Leben
Mir ganz in ihr gegeben.

Vom Kreuz des Mittlers Bild,
Nicht konnt' ich widerſtreben,
Auf zog es mich mit Beben.

Und was ich juͤngſt begehrte,
Das Ird'ſche floh mein Herz,
Hinab ſank Staub und Erde,
Sonne flog himmelwaͤrts.
Hin kniet' ich im Entzuͤcken,
Es an das Herz zu druͤcken.
Da ſtroͤmten Ruh' und Wonne
Aus ihm in meine Bruſt,
Als waͤr' es eine Sonne,
Durchzuͤckt es mich mit Luſt;
Es flogen Engel nieder,
Und gruͤßten mich als Bruͤder.
Doch ſieh! zum ſuͤßen Lohne
Neigt mild das Bildniß ſich,
Es ſinkt die Dornenkrone
Von ſeinem Haupt auf mich.
Feſt druͤckt' ich ſie zum Herzen,
Fuͤhlend ſo ſuͤße Schmerzen.
Und bis zur Todesſtunde,
In Weh und Lebensluſt,
Fuͤhl' ich die theure Wunde
Nun tief in meiner Bruſt;
Fuͤhl', wie ein neues Leben
Mir ganz in ihr gegeben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <lg type="poem">
        <lg n="4">
          <l>
            <pb facs="#f0166" n="154"/>
          </l>
          <l>Vom Kreuz des Mittlers Bild,</l><lb/>
          <l>Nicht konnt' ich wider&#x017F;treben,</l><lb/>
          <l>Auf zog es mich mit Beben.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="5">
          <l>Und was ich ju&#x0364;ng&#x017F;t begehrte,</l><lb/>
          <l>Das Ird'&#x017F;che floh mein Herz,</l><lb/>
          <l>Hinab &#x017F;ank Staub und Erde,</l><lb/>
          <l>Sonne flog himmelwa&#x0364;rts.</l><lb/>
          <l>Hin kniet' ich im Entzu&#x0364;cken,</l><lb/>
          <l>Es an das Herz zu dru&#x0364;cken.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="6">
          <l>Da &#x017F;tro&#x0364;mten Ruh' und Wonne</l><lb/>
          <l>Aus ihm in meine Bru&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Als wa&#x0364;r' es eine Sonne,</l><lb/>
          <l>Durchzu&#x0364;ckt es mich mit Lu&#x017F;t;</l><lb/>
          <l>Es flogen Engel nieder,</l><lb/>
          <l>Und gru&#x0364;ßten mich als Bru&#x0364;der.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="7">
          <l>Doch &#x017F;ieh! zum &#x017F;u&#x0364;ßen Lohne</l><lb/>
          <l>Neigt mild das Bildniß &#x017F;ich,</l><lb/>
          <l>Es &#x017F;inkt die Dornenkrone</l><lb/>
          <l>Von &#x017F;einem Haupt auf mich.</l><lb/>
          <l>Fe&#x017F;t dru&#x0364;ckt' ich &#x017F;ie zum Herzen,</l><lb/>
          <l>Fu&#x0364;hlend &#x017F;o &#x017F;u&#x0364;ße Schmerzen.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="8">
          <l>Und bis zur Todes&#x017F;tunde,</l><lb/>
          <l>In Weh und Lebenslu&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Fu&#x0364;hl' ich die theure Wunde</l><lb/>
          <l>Nun tief in meiner Bru&#x017F;t;</l><lb/>
          <l>Fu&#x0364;hl', wie ein neues Leben</l><lb/>
          <l>Mir ganz in ihr gegeben.</l>
        </lg>
      </lg><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0166] Vom Kreuz des Mittlers Bild, Nicht konnt' ich widerſtreben, Auf zog es mich mit Beben. Und was ich juͤngſt begehrte, Das Ird'ſche floh mein Herz, Hinab ſank Staub und Erde, Sonne flog himmelwaͤrts. Hin kniet' ich im Entzuͤcken, Es an das Herz zu druͤcken. Da ſtroͤmten Ruh' und Wonne Aus ihm in meine Bruſt, Als waͤr' es eine Sonne, Durchzuͤckt es mich mit Luſt; Es flogen Engel nieder, Und gruͤßten mich als Bruͤder. Doch ſieh! zum ſuͤßen Lohne Neigt mild das Bildniß ſich, Es ſinkt die Dornenkrone Von ſeinem Haupt auf mich. Feſt druͤckt' ich ſie zum Herzen, Fuͤhlend ſo ſuͤße Schmerzen. Und bis zur Todesſtunde, In Weh und Lebensluſt, Fuͤhl' ich die theure Wunde Nun tief in meiner Bruſt; Fuͤhl', wie ein neues Leben Mir ganz in ihr gegeben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/166
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/166>, abgerufen am 28.04.2024.