Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Weh! du armer Sohn der Lieder, Sangest wohl den lezten Sang! An dem Galgen auf und nieder Sollst, ein Vogel, fliegen bang. Hell ein Glöcklein hört man schallen, Und man sieht den schwarzen Zug Mit dir zu der Stätte wallen, Wo beginnen soll dein Flug. Bußgesänge hört man singen Nonnen und der Mönche Chor, Aber hell auch hört man dringen Geigentöne draus hervor. Seine Geige mit zu führen, War des Geigers letzte Bitt'. "Wo so viele musiciren, Musicir' ich Geiger mit!" An Cäcilias Kapelle Jetzt der Zug vorüber kam, Nach des offnen Kirchleins Schwelle Geigt er recht in tiefem Gram. Und wer kurz ihn noch gehasset,
Seufzt: "Das arme Geigerlein!" ""Eins noch, bitt' ich -- singt er -- lasset Mich zur Heilgen noch hinein!"" Weh! du armer Sohn der Lieder, Sangeſt wohl den lezten Sang! An dem Galgen auf und nieder Sollſt, ein Vogel, fliegen bang. Hell ein Gloͤcklein hoͤrt man ſchallen, Und man ſieht den ſchwarzen Zug Mit dir zu der Staͤtte wallen, Wo beginnen ſoll dein Flug. Bußgeſaͤnge hoͤrt man ſingen Nonnen und der Moͤnche Chor, Aber hell auch hoͤrt man dringen Geigentoͤne draus hervor. Seine Geige mit zu fuͤhren, War des Geigers letzte Bitt'. „Wo ſo viele muſiciren, Muſicir' ich Geiger mit!“ An Caͤcilias Kapelle Jetzt der Zug voruͤber kam, Nach des offnen Kirchleins Schwelle Geigt er recht in tiefem Gram. Und wer kurz ihn noch gehaſſet,
Seufzt: „Das arme Geigerlein!“ „„Eins noch, bitt' ich — ſingt er — laſſet Mich zur Heilgen noch hinein!““ <TEI> <text> <body> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0161" n="149"/> </l> <lg n="12"> <l>Weh! du armer Sohn der Lieder,</l><lb/> <l>Sangeſt wohl den lezten Sang!</l><lb/> <l>An dem Galgen auf und nieder</l><lb/> <l>Sollſt, ein Vogel, fliegen bang.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Hell ein Gloͤcklein hoͤrt man ſchallen,</l><lb/> <l>Und man ſieht den ſchwarzen Zug</l><lb/> <l>Mit dir zu der Staͤtte wallen,</l><lb/> <l>Wo beginnen ſoll dein Flug.</l> </lg><lb/> <lg n="14"> <l>Bußgeſaͤnge hoͤrt man ſingen</l><lb/> <l>Nonnen und der Moͤnche Chor,</l><lb/> <l>Aber hell auch hoͤrt man dringen</l><lb/> <l>Geigentoͤne draus hervor.</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Seine Geige mit zu fuͤhren,</l><lb/> <l>War des Geigers letzte Bitt'.</l><lb/> <l>„Wo ſo viele muſiciren,</l><lb/> <l>Muſicir' ich Geiger mit!“</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>An Caͤcilias Kapelle</l><lb/> <l>Jetzt der Zug voruͤber kam,</l><lb/> <l>Nach des offnen Kirchleins Schwelle</l><lb/> <l>Geigt er recht in tiefem Gram.</l> </lg><lb/> <lg n="17"> <l>Und wer kurz ihn noch gehaſſet,</l><lb/> <l>Seufzt: „Das arme Geigerlein!“</l><lb/> <l>„„Eins noch, bitt' ich — ſingt er — laſſet</l><lb/> <l>Mich zur Heilgen noch hinein!““</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </body> </text> </TEI> [149/0161]
Weh! du armer Sohn der Lieder,
Sangeſt wohl den lezten Sang!
An dem Galgen auf und nieder
Sollſt, ein Vogel, fliegen bang.
Hell ein Gloͤcklein hoͤrt man ſchallen,
Und man ſieht den ſchwarzen Zug
Mit dir zu der Staͤtte wallen,
Wo beginnen ſoll dein Flug.
Bußgeſaͤnge hoͤrt man ſingen
Nonnen und der Moͤnche Chor,
Aber hell auch hoͤrt man dringen
Geigentoͤne draus hervor.
Seine Geige mit zu fuͤhren,
War des Geigers letzte Bitt'.
„Wo ſo viele muſiciren,
Muſicir' ich Geiger mit!“
An Caͤcilias Kapelle
Jetzt der Zug voruͤber kam,
Nach des offnen Kirchleins Schwelle
Geigt er recht in tiefem Gram.
Und wer kurz ihn noch gehaſſet,
Seufzt: „Das arme Geigerlein!“
„„Eins noch, bitt' ich — ſingt er — laſſet
Mich zur Heilgen noch hinein!““
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Zitationshilfe: | Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/161>, abgerufen am 16.07.2024. |