Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.Einst ein Geiger kam gegangen, Ach, den drückte große Noth, Matte Beine, bleiche Wangen, Und im Sack kein Geld, kein Brod! Vor dem Bild hat er gesungen Und gespielet all sein Leid, Hat der Heil'gen Herz durchdrungen: Horch! melodisch rauscht ihr Kleid! Lächelnd bückt das Bild sich nieder Aus der lebenlosen Ruh, Wirft dem armen Sohn der Lieder Hin den rechten goldnen Schuh. Nach des nächsten Goldschmids Hause Eilt er, ganz vom Glück berauscht, Singt und träumt von besten Schmause, Wenn der Schuh um Geld vertauscht. Aber kaum den Schuh ersehen, Führt der Goldschmidt rauhen Ton, Und zum Richter wird mit Schmähen Wild geschleppt des Liedes Sohn. Bald ist der Proceß geschlichtet,
Allen ist es offenbar, Daß das Wunder nur erdichtet, Er der frechste Räuber war. Einſt ein Geiger kam gegangen, Ach, den druͤckte große Noth, Matte Beine, bleiche Wangen, Und im Sack kein Geld, kein Brod! Vor dem Bild hat er geſungen Und geſpielet all ſein Leid, Hat der Heil'gen Herz durchdrungen: Horch! melodiſch rauſcht ihr Kleid! Laͤchelnd buͤckt das Bild ſich nieder Aus der lebenloſen Ruh, Wirft dem armen Sohn der Lieder Hin den rechten goldnen Schuh. Nach des naͤchſten Goldſchmids Hauſe Eilt er, ganz vom Gluͤck berauſcht, Singt und traͤumt von beſten Schmauſe, Wenn der Schuh um Geld vertauſcht. Aber kaum den Schuh erſehen, Fuͤhrt der Goldſchmidt rauhen Ton, Und zum Richter wird mit Schmaͤhen Wild geſchleppt des Liedes Sohn. Bald iſt der Proceß geſchlichtet,
Allen iſt es offenbar, Daß das Wunder nur erdichtet, Er der frechſte Raͤuber war. <TEI> <text> <body> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0160" n="148"/> </l> <lg n="6"> <l>Einſt ein Geiger kam gegangen,</l><lb/> <l>Ach, den druͤckte große Noth,</l><lb/> <l>Matte Beine, bleiche Wangen,</l><lb/> <l>Und im Sack kein Geld, kein Brod!</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Vor dem Bild hat er geſungen</l><lb/> <l>Und geſpielet all ſein Leid,</l><lb/> <l>Hat der Heil'gen Herz durchdrungen:</l><lb/> <l>Horch! melodiſch rauſcht ihr Kleid!</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Laͤchelnd buͤckt das Bild ſich nieder</l><lb/> <l>Aus der lebenloſen Ruh,</l><lb/> <l>Wirft dem armen Sohn der Lieder</l><lb/> <l>Hin den rechten goldnen Schuh.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Nach des naͤchſten Goldſchmids Hauſe</l><lb/> <l>Eilt er, ganz vom Gluͤck berauſcht,</l><lb/> <l>Singt und traͤumt von beſten Schmauſe,</l><lb/> <l>Wenn der Schuh um Geld vertauſcht.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Aber kaum den Schuh erſehen,</l><lb/> <l>Fuͤhrt der Goldſchmidt rauhen Ton,</l><lb/> <l>Und zum Richter wird mit Schmaͤhen</l><lb/> <l>Wild geſchleppt des Liedes Sohn.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Bald iſt der Proceß geſchlichtet,</l><lb/> <l>Allen iſt es offenbar,</l><lb/> <l>Daß das Wunder nur erdichtet,</l><lb/> <l>Er der frechſte Raͤuber war.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </body> </text> </TEI> [148/0160]
Einſt ein Geiger kam gegangen,
Ach, den druͤckte große Noth,
Matte Beine, bleiche Wangen,
Und im Sack kein Geld, kein Brod!
Vor dem Bild hat er geſungen
Und geſpielet all ſein Leid,
Hat der Heil'gen Herz durchdrungen:
Horch! melodiſch rauſcht ihr Kleid!
Laͤchelnd buͤckt das Bild ſich nieder
Aus der lebenloſen Ruh,
Wirft dem armen Sohn der Lieder
Hin den rechten goldnen Schuh.
Nach des naͤchſten Goldſchmids Hauſe
Eilt er, ganz vom Gluͤck berauſcht,
Singt und traͤumt von beſten Schmauſe,
Wenn der Schuh um Geld vertauſcht.
Aber kaum den Schuh erſehen,
Fuͤhrt der Goldſchmidt rauhen Ton,
Und zum Richter wird mit Schmaͤhen
Wild geſchleppt des Liedes Sohn.
Bald iſt der Proceß geſchlichtet,
Allen iſt es offenbar,
Daß das Wunder nur erdichtet,
Er der frechſte Raͤuber war.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |