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Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Abschied.

Geh ich einsam durch die schwarzen Gassen,
Schweigt die Stadt als wär' sie unbewohnt,
Aus der Ferne rauschen nur die Wasser
Und am Himmel geht der bleiche Mond.
Bleib' ich lang vor jenem Hause stehen,
Drinn das liebe liebe Liebchen wohnt,
Weiß nicht, daß sein Treuer ferne ziehet,
Stumm und harmvoll, wie der bleiche Mond.
Breit' ich lange sehnend meine Arme
Nach dem lieben lieben Liebchen aus,
Und nun sprech' ich: lebet wohl, ihr Gassen!
Lebe wohl, du stilles, stilles Haus!
Und du Kämmerlein im Haus dort oben,
Nach dem oft das warme Herze schwoll,
Und du Fensterlein, draus Liebchen schaute,
Und du Thüre, draus sie gieng, leb wohl!
Geh' ich bang nun nach den alten Mauern,
Schauend rückwärts oft mit nassem Blick,
Schließt der Wächter hinter mir die Thore,
Weiß nicht, daß mein Herze noch zurück.

Abſchied.

Geh ich einſam durch die ſchwarzen Gaſſen,
Schweigt die Stadt als waͤr' ſie unbewohnt,
Aus der Ferne rauſchen nur die Waſſer
Und am Himmel geht der bleiche Mond.
Bleib' ich lang vor jenem Hauſe ſtehen,
Drinn das liebe liebe Liebchen wohnt,
Weiß nicht, daß ſein Treuer ferne ziehet,
Stumm und harmvoll, wie der bleiche Mond.
Breit' ich lange ſehnend meine Arme
Nach dem lieben lieben Liebchen aus,
Und nun ſprech' ich: lebet wohl, ihr Gaſſen!
Lebe wohl, du ſtilles, ſtilles Haus!
Und du Kaͤmmerlein im Haus dort oben,
Nach dem oft das warme Herze ſchwoll,
Und du Fenſterlein, draus Liebchen ſchaute,
Und du Thuͤre, draus ſie gieng, leb wohl!
Geh' ich bang nun nach den alten Mauern,
Schauend ruͤckwaͤrts oft mit naſſem Blick,
Schließt der Waͤchter hinter mir die Thore,
Weiß nicht, daß mein Herze noch zuruͤck.

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[114/0126] Abſchied. Geh ich einſam durch die ſchwarzen Gaſſen, Schweigt die Stadt als waͤr' ſie unbewohnt, Aus der Ferne rauſchen nur die Waſſer Und am Himmel geht der bleiche Mond. Bleib' ich lang vor jenem Hauſe ſtehen, Drinn das liebe liebe Liebchen wohnt, Weiß nicht, daß ſein Treuer ferne ziehet, Stumm und harmvoll, wie der bleiche Mond. Breit' ich lange ſehnend meine Arme Nach dem lieben lieben Liebchen aus, Und nun ſprech' ich: lebet wohl, ihr Gaſſen! Lebe wohl, du ſtilles, ſtilles Haus! Und du Kaͤmmerlein im Haus dort oben, Nach dem oft das warme Herze ſchwoll, Und du Fenſterlein, draus Liebchen ſchaute, Und du Thuͤre, draus ſie gieng, leb wohl! Geh' ich bang nun nach den alten Mauern, Schauend ruͤckwaͤrts oft mit naſſem Blick, Schließt der Waͤchter hinter mir die Thore, Weiß nicht, daß mein Herze noch zuruͤck.

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/126>, abgerufen am 04.05.2024.