macht, der ihm ja auf keine Weise ersetzt worden ist. Wäre endlich das Geld schon viel länger da gewesen, so hätte man es an der Stelle, wo es war, längst zuvor bemerken müssen. Alle diese Thatsachen kann ich nun unmöglich mit der kurzen Bemerkung abfertigen, daß es eine zu augen- fällige Absurdität sey, als daß wir uns die Mühe geben sollten, sie zu widerlegen. Gerade so verhält es sich mit dem verbrannten Schnupftuch und den übrigen Thatsachen.
Meine Ansicht über solche Erscheinungen und diese her- kömmliche Weise mit solchen Anmerkungen darüber weg zu gehen, werde ich in einer spätern Schrift sagen.
Was endlich die Aeußerung der Redaktion betrifft: wie viel dabey auf Rechnung absichtlicher Betrügerey, unwill- kührlicher Täuschung und poetischer Ausschmückung aber- gläubischer Menschen zu setzen sey, können wir nicht be- stimmen; man weiß ja, wie die Erzählung einer Son- derbarkeit, einer Lavine gleich anschwillt, wann sie von Mund zu Mund von befangenen und ungebildeten Leu- ten getragen wird; so habe ich folgendes dagegen zu er- innern. Keiner, der die Verhältnisse kennt, wird hier an beabsichtigte Betrügerey glauben können. Denn vor allem sind die betreffenden Personen als ehrliche, rechtschaffene Bauersleute bekannt, und zu einer absichtlichen Betrügerey gehört immer auch eine Absicht, ein Zweck; der Mensch muß einen Nutzen von seinem Betrug vorher sehen, sonst betrügt sogar der schlechte nicht; -- hier aber ist nicht nur kein Gewinn, sondern vielfacher Schaden für diese Menschen aus dieser Geschichte entstanden, und wer den Jammer dieser Eltern über den Zustand ihrer Tochter gesehen hätte, der würde gewiß nicht von absichtlicher Betrügerey sprechen. Die- ser Zweck könnte doch wohl nicht ein so geheimer seyn, daß ihn nicht irgend Jemand errathen hätte, er müßte doch früher oder später entdeckt werden; in der langen Zeit aber, in welche die Geschichte die Köpfe auch der genauesten Be- kannten dieser Familie beschäftigte, hat noch Niemand einen Zweck ausfindig gemacht. Es wäre doch wirklich höchst
macht, der ihm ja auf keine Weiſe erſetzt worden iſt. Wäre endlich das Geld ſchon viel länger da geweſen, ſo hätte man es an der Stelle, wo es war, längſt zuvor bemerken müſſen. Alle dieſe Thatſachen kann ich nun unmöglich mit der kurzen Bemerkung abfertigen, daß es eine zu augen- fällige Abſurdität ſey, als daß wir uns die Mühe geben ſollten, ſie zu widerlegen. Gerade ſo verhält es ſich mit dem verbrannten Schnupftuch und den übrigen Thatſachen.
Meine Anſicht über ſolche Erſcheinungen und dieſe her- kömmliche Weiſe mit ſolchen Anmerkungen darüber weg zu gehen, werde ich in einer ſpätern Schrift ſagen.
Was endlich die Aeußerung der Redaktion betrifft: wie viel dabey auf Rechnung abſichtlicher Betrügerey, unwill- kührlicher Täuſchung und poetiſcher Ausſchmückung aber- gläubiſcher Menſchen zu ſetzen ſey, können wir nicht be- ſtimmen; man weiß ja, wie die Erzählung einer Son- derbarkeit, einer Lavine gleich anſchwillt, wann ſie von Mund zu Mund von befangenen und ungebildeten Leu- ten getragen wird; ſo habe ich folgendes dagegen zu er- innern. Keiner, der die Verhältniſſe kennt, wird hier an beabſichtigte Betrügerey glauben können. Denn vor allem ſind die betreffenden Perſonen als ehrliche, rechtſchaffene Bauersleute bekannt, und zu einer abſichtlichen Betrügerey gehört immer auch eine Abſicht, ein Zweck; der Menſch muß einen Nutzen von ſeinem Betrug vorher ſehen, ſonſt betrügt ſogar der ſchlechte nicht; — hier aber iſt nicht nur kein Gewinn, ſondern vielfacher Schaden für dieſe Menſchen aus dieſer Geſchichte entſtanden, und wer den Jammer dieſer Eltern über den Zuſtand ihrer Tochter geſehen hätte, der würde gewiß nicht von abſichtlicher Betrügerey ſprechen. Die- ſer Zweck könnte doch wohl nicht ein ſo geheimer ſeyn, daß ihn nicht irgend Jemand errathen hätte, er müßte doch früher oder ſpäter entdeckt werden; in der langen Zeit aber, in welche die Geſchichte die Köpfe auch der genaueſten Be- kannten dieſer Familie beſchäftigte, hat noch Niemand einen Zweck ausfindig gemacht. Es wäre doch wirklich höchſt
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[68/0082]
macht, der ihm ja auf keine Weiſe erſetzt worden iſt. Wäre
endlich das Geld ſchon viel länger da geweſen, ſo hätte
man es an der Stelle, wo es war, längſt zuvor bemerken
müſſen. Alle dieſe Thatſachen kann ich nun unmöglich mit
der kurzen Bemerkung abfertigen, daß es eine zu augen-
fällige Abſurdität ſey, als daß wir uns die Mühe geben
ſollten, ſie zu widerlegen. Gerade ſo verhält es ſich mit
dem verbrannten Schnupftuch und den übrigen Thatſachen.
Meine Anſicht über ſolche Erſcheinungen und dieſe her-
kömmliche Weiſe mit ſolchen Anmerkungen darüber weg zu
gehen, werde ich in einer ſpätern Schrift ſagen.
Was endlich die Aeußerung der Redaktion betrifft: wie
viel dabey auf Rechnung abſichtlicher Betrügerey, unwill-
kührlicher Täuſchung und poetiſcher Ausſchmückung aber-
gläubiſcher Menſchen zu ſetzen ſey, können wir nicht be-
ſtimmen; man weiß ja, wie die Erzählung einer Son-
derbarkeit, einer Lavine gleich anſchwillt, wann ſie von
Mund zu Mund von befangenen und ungebildeten Leu-
ten getragen wird; ſo habe ich folgendes dagegen zu er-
innern. Keiner, der die Verhältniſſe kennt, wird hier an
beabſichtigte Betrügerey glauben können. Denn vor allem
ſind die betreffenden Perſonen als ehrliche, rechtſchaffene
Bauersleute bekannt, und zu einer abſichtlichen Betrügerey
gehört immer auch eine Abſicht, ein Zweck; der Menſch
muß einen Nutzen von ſeinem Betrug vorher ſehen, ſonſt
betrügt ſogar der ſchlechte nicht; — hier aber iſt nicht nur
kein Gewinn, ſondern vielfacher Schaden für dieſe Menſchen
aus dieſer Geſchichte entſtanden, und wer den Jammer dieſer
Eltern über den Zuſtand ihrer Tochter geſehen hätte, der
würde gewiß nicht von abſichtlicher Betrügerey ſprechen. Die-
ſer Zweck könnte doch wohl nicht ein ſo geheimer ſeyn,
daß ihn nicht irgend Jemand errathen hätte, er müßte doch
früher oder ſpäter entdeckt werden; in der langen Zeit aber,
in welche die Geſchichte die Köpfe auch der genaueſten Be-
kannten dieſer Familie beſchäftigte, hat noch Niemand einen
Zweck ausfindig gemacht. Es wäre doch wirklich höchſt
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/82>, abgerufen am 07.07.2024.
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