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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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Spuk mit den Kühen; im bewußtlosen Zustande
aber, von welchem sie erst wieder erwacht wäre und Feuer
gelegt hätte, ohne daß Jemand eine Veränderung an ihr be-
merkt hätte, ist so undenkbar, daß er alle Wunder der Gei-
sterwelt weit übertreffen würde. Am allerleichtesten macht
sich die Redaktion die Erklärung der übrigen auffallenden
Erscheinungen.

"Die erhaltene Ohrfeige und die später erfolgte Sühne
derselben durch zehn Gulden, heißt es in den Bemerkungen,
ist eine zu augenfällige Absurdität, als daß wir uns die
Mühe nehmen sollten, sie zu widerlegen. Und weiter un-
ten: nach diesen allgemeinen Andeutungen wird es als über-
flüssig erscheinen, in eine Beleuchtung aller Curiositäten,
welche uns erzählt werden, einzugehen."

Nein, mein Freund! so leicht geht es nicht! Die Absur-
dität, d. h. die Sonderbarkeit und Unbegreiflichkeit dieser
Erzählung war selbst so einleuchtend, daß ich Monate lang
es gar nicht der Mühe werth hielt, den Weg nach Orlach
zu machen und mich näher darnach zu erkundigen; allein
als mir an Ort und Stelle von den glaubwürdigsten Per-
sonen, welche die unmittelbaren Zeugen waren, diese That-
sachen erzählt wurden, da konnte ich denn doch nicht mehr
behaupten, es müsse alles erlogen seyn, weil ich es mir
nicht zu erklären vermochte. So absurd es auch lauten
mag, daß ein Geist die Summe von zehn Gulden in den
Stall gelegt haben soll, so lag doch nun einmal das Geld
da, das war doch unbestreitbare Thatsache! Das Mädchen
selbst konnte dieß damals so wenig in einem unbewußten
Zustand gethan haben, als sie das Feuer anlegen konnte;
denn wo sollte sie das Geld her haben? Unsere Bauernmäd-
chen haben nicht so viel Thaler zum wegwerfen oder Pos-
sen zu treiben, die ja so gar keinen Zweck hatten; und die
gedruckte Bescheinigung im Stuttgarter Waisenhausbüchlein
beweist, daß das Geld dahin geschickt worden ist. Eben so
wenig hat wohl der Vater oder ein anderer Hausgenosse
auf seine eigenen Kosten sich diesen seltsamen Spaß ge-

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Spuk mit den Kühen; im bewußtloſen Zuſtande
aber, von welchem ſie erſt wieder erwacht wäre und Feuer
gelegt hätte, ohne daß Jemand eine Veränderung an ihr be-
merkt hätte, iſt ſo undenkbar, daß er alle Wunder der Gei-
ſterwelt weit übertreffen würde. Am allerleichteſten macht
ſich die Redaktion die Erklärung der übrigen auffallenden
Erſcheinungen.

„Die erhaltene Ohrfeige und die ſpäter erfolgte Sühne
derſelben durch zehn Gulden, heißt es in den Bemerkungen,
iſt eine zu augenfällige Abſurdität, als daß wir uns die
Mühe nehmen ſollten, ſie zu widerlegen. Und weiter un-
ten: nach dieſen allgemeinen Andeutungen wird es als über-
flüſſig erſcheinen, in eine Beleuchtung aller Curioſitäten,
welche uns erzählt werden, einzugehen.“

Nein, mein Freund! ſo leicht geht es nicht! Die Abſur-
dität, d. h. die Sonderbarkeit und Unbegreiflichkeit dieſer
Erzählung war ſelbſt ſo einleuchtend, daß ich Monate lang
es gar nicht der Mühe werth hielt, den Weg nach Orlach
zu machen und mich näher darnach zu erkundigen; allein
als mir an Ort und Stelle von den glaubwürdigſten Per-
ſonen, welche die unmittelbaren Zeugen waren, dieſe That-
ſachen erzählt wurden, da konnte ich denn doch nicht mehr
behaupten, es müſſe alles erlogen ſeyn, weil ich es mir
nicht zu erklären vermochte. So abſurd es auch lauten
mag, daß ein Geiſt die Summe von zehn Gulden in den
Stall gelegt haben ſoll, ſo lag doch nun einmal das Geld
da, das war doch unbeſtreitbare Thatſache! Das Mädchen
ſelbſt konnte dieß damals ſo wenig in einem unbewußten
Zuſtand gethan haben, als ſie das Feuer anlegen konnte;
denn wo ſollte ſie das Geld her haben? Unſere Bauernmäd-
chen haben nicht ſo viel Thaler zum wegwerfen oder Poſ-
ſen zu treiben, die ja ſo gar keinen Zweck hatten; und die
gedruckte Beſcheinigung im Stuttgarter Waiſenhausbüchlein
beweiſt, daß das Geld dahin geſchickt worden iſt. Eben ſo
wenig hat wohl der Vater oder ein anderer Hausgenoſſe
auf ſeine eigenen Koſten ſich dieſen ſeltſamen Spaß ge-

5 *
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[67/0081] Spuk mit den Kühen; im bewußtloſen Zuſtande aber, von welchem ſie erſt wieder erwacht wäre und Feuer gelegt hätte, ohne daß Jemand eine Veränderung an ihr be- merkt hätte, iſt ſo undenkbar, daß er alle Wunder der Gei- ſterwelt weit übertreffen würde. Am allerleichteſten macht ſich die Redaktion die Erklärung der übrigen auffallenden Erſcheinungen. „Die erhaltene Ohrfeige und die ſpäter erfolgte Sühne derſelben durch zehn Gulden, heißt es in den Bemerkungen, iſt eine zu augenfällige Abſurdität, als daß wir uns die Mühe nehmen ſollten, ſie zu widerlegen. Und weiter un- ten: nach dieſen allgemeinen Andeutungen wird es als über- flüſſig erſcheinen, in eine Beleuchtung aller Curioſitäten, welche uns erzählt werden, einzugehen.“ Nein, mein Freund! ſo leicht geht es nicht! Die Abſur- dität, d. h. die Sonderbarkeit und Unbegreiflichkeit dieſer Erzählung war ſelbſt ſo einleuchtend, daß ich Monate lang es gar nicht der Mühe werth hielt, den Weg nach Orlach zu machen und mich näher darnach zu erkundigen; allein als mir an Ort und Stelle von den glaubwürdigſten Per- ſonen, welche die unmittelbaren Zeugen waren, dieſe That- ſachen erzählt wurden, da konnte ich denn doch nicht mehr behaupten, es müſſe alles erlogen ſeyn, weil ich es mir nicht zu erklären vermochte. So abſurd es auch lauten mag, daß ein Geiſt die Summe von zehn Gulden in den Stall gelegt haben ſoll, ſo lag doch nun einmal das Geld da, das war doch unbeſtreitbare Thatſache! Das Mädchen ſelbſt konnte dieß damals ſo wenig in einem unbewußten Zuſtand gethan haben, als ſie das Feuer anlegen konnte; denn wo ſollte ſie das Geld her haben? Unſere Bauernmäd- chen haben nicht ſo viel Thaler zum wegwerfen oder Poſ- ſen zu treiben, die ja ſo gar keinen Zweck hatten; und die gedruckte Beſcheinigung im Stuttgarter Waiſenhausbüchlein beweiſt, daß das Geld dahin geſchickt worden iſt. Eben ſo wenig hat wohl der Vater oder ein anderer Hausgenoſſe auf ſeine eigenen Koſten ſich dieſen ſeltſamen Spaß ge- 5 *

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/81>, abgerufen am 28.04.2024.