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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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zendes, weißes Faltengewand, das selbst die Füße be-
deckte. Sie sprach zum Mädchen: "Ein Mensch kann keinen
Geist durch Erlösung in den Himmel bringen, dazu ist
der Erlöser in die Welt gekommen und hat für alle gelitten,
aber genommen kann mir durch dich das Irdische werden,
das mich noch so da unten hielt, dadurch daß ich die Un-
thaten, die auf mir lasteten, durch deinen Mund der Welt
sagen kann. O möchte doch Niemand bis nach dem Ende
warten, sondern seine Schuld immer noch vor seinem Hin-
scheiden der Welt bekennen! In meinem zwei und zwan-
zigsten Jahre wurde ich als Koch verkleidet von jenem Mönch,
dem Schwarzen, vom Nonnenkloster in's Mönchskloster
gebracht. Zwei Kinder erhielt ich von ihm, die er jedes-
mal gleich nach der Geburt ermordete. Vier Jahre lang
dauerte unser unseliger Bund, während dessen er auch drey
Mönche ermordete. Ich verrieth sein Verbrechen, doch nicht
vollständig, -- da ermordete er auch mich. O möchte doch
(wiederholte sie noch einmal) Niemand bis nach dem Ende
warten, sondern seine Schuld immer noch vor seinem Hin-
scheiden der Welt bekennen!" Sie streckte nun ihre weiße
Hand gegen das Mädchen hin. Das Mädchen hatte nicht
den Muth, diese Hand mit bloßer Hand zu berühren, son-
dern wagte dieß blos vermittelst des Schnupftuches, das sie
in die Hand nahm. Da fühlte sie ein Ziehen an diesem
Tuche und sah es glimmen. Nun dankte die Geistin dem
Mädchen, daß sie alles befolgt habe und versicherte sie,
daß sie nun von allem Irrdischen frey sey. Hierauf betete
sie: "Jesus nimmt die Sünder an." u. s. w. Das Mäd-
chen hörte sie noch beten, als sie sie schon nicht mehr sah.

Während die Geistin so da gestanden war, sah das Mäd-
chen immer einen schwarzen Hund vor ihr, der auf die Geistin
Feuer spie, das aber die Geistin nicht zu berühren schien.
Dieser verschwand mit der Geistin. In das Sacktuch des
Mädchens aber war ein großes Loch gebrannt, wie das
Innere einer Hand und ob diesem Loche noch fünf kleinere
Löcher wie von fünf Fingern. Es geben die Brandstellen

zendes, weißes Faltengewand, das ſelbſt die Füße be-
deckte. Sie ſprach zum Mädchen: „Ein Menſch kann keinen
Geiſt durch Erlöſung in den Himmel bringen, dazu iſt
der Erlöſer in die Welt gekommen und hat für alle gelitten,
aber genommen kann mir durch dich das Irdiſche werden,
das mich noch ſo da unten hielt, dadurch daß ich die Un-
thaten, die auf mir laſteten, durch deinen Mund der Welt
ſagen kann. O möchte doch Niemand bis nach dem Ende
warten, ſondern ſeine Schuld immer noch vor ſeinem Hin-
ſcheiden der Welt bekennen! In meinem zwei und zwan-
zigſten Jahre wurde ich als Koch verkleidet von jenem Mönch,
dem Schwarzen, vom Nonnenkloſter in’s Mönchskloſter
gebracht. Zwei Kinder erhielt ich von ihm, die er jedes-
mal gleich nach der Geburt ermordete. Vier Jahre lang
dauerte unſer unſeliger Bund, während deſſen er auch drey
Mönche ermordete. Ich verrieth ſein Verbrechen, doch nicht
vollſtändig, — da ermordete er auch mich. O möchte doch
(wiederholte ſie noch einmal) Niemand bis nach dem Ende
warten, ſondern ſeine Schuld immer noch vor ſeinem Hin-
ſcheiden der Welt bekennen!“ Sie ſtreckte nun ihre weiße
Hand gegen das Mädchen hin. Das Mädchen hatte nicht
den Muth, dieſe Hand mit bloßer Hand zu berühren, ſon-
dern wagte dieß blos vermittelſt des Schnupftuches, das ſie
in die Hand nahm. Da fühlte ſie ein Ziehen an dieſem
Tuche und ſah es glimmen. Nun dankte die Geiſtin dem
Mädchen, daß ſie alles befolgt habe und verſicherte ſie,
daß ſie nun von allem Irrdiſchen frey ſey. Hierauf betete
ſie: „Jeſus nimmt die Sünder an.“ u. ſ. w. Das Mäd-
chen hörte ſie noch beten, als ſie ſie ſchon nicht mehr ſah.

Während die Geiſtin ſo da geſtanden war, ſah das Mäd-
chen immer einen ſchwarzen Hund vor ihr, der auf die Geiſtin
Feuer ſpie, das aber die Geiſtin nicht zu berühren ſchien.
Dieſer verſchwand mit der Geiſtin. In das Sacktuch des
Mädchens aber war ein großes Loch gebrannt, wie das
Innere einer Hand und ob dieſem Loche noch fünf kleinere
Löcher wie von fünf Fingern. Es geben die Brandſtellen

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[41/0055] zendes, weißes Faltengewand, das ſelbſt die Füße be- deckte. Sie ſprach zum Mädchen: „Ein Menſch kann keinen Geiſt durch Erlöſung in den Himmel bringen, dazu iſt der Erlöſer in die Welt gekommen und hat für alle gelitten, aber genommen kann mir durch dich das Irdiſche werden, das mich noch ſo da unten hielt, dadurch daß ich die Un- thaten, die auf mir laſteten, durch deinen Mund der Welt ſagen kann. O möchte doch Niemand bis nach dem Ende warten, ſondern ſeine Schuld immer noch vor ſeinem Hin- ſcheiden der Welt bekennen! In meinem zwei und zwan- zigſten Jahre wurde ich als Koch verkleidet von jenem Mönch, dem Schwarzen, vom Nonnenkloſter in’s Mönchskloſter gebracht. Zwei Kinder erhielt ich von ihm, die er jedes- mal gleich nach der Geburt ermordete. Vier Jahre lang dauerte unſer unſeliger Bund, während deſſen er auch drey Mönche ermordete. Ich verrieth ſein Verbrechen, doch nicht vollſtändig, — da ermordete er auch mich. O möchte doch (wiederholte ſie noch einmal) Niemand bis nach dem Ende warten, ſondern ſeine Schuld immer noch vor ſeinem Hin- ſcheiden der Welt bekennen!“ Sie ſtreckte nun ihre weiße Hand gegen das Mädchen hin. Das Mädchen hatte nicht den Muth, dieſe Hand mit bloßer Hand zu berühren, ſon- dern wagte dieß blos vermittelſt des Schnupftuches, das ſie in die Hand nahm. Da fühlte ſie ein Ziehen an dieſem Tuche und ſah es glimmen. Nun dankte die Geiſtin dem Mädchen, daß ſie alles befolgt habe und verſicherte ſie, daß ſie nun von allem Irrdiſchen frey ſey. Hierauf betete ſie: „Jeſus nimmt die Sünder an.“ u. ſ. w. Das Mäd- chen hörte ſie noch beten, als ſie ſie ſchon nicht mehr ſah. Während die Geiſtin ſo da geſtanden war, ſah das Mäd- chen immer einen ſchwarzen Hund vor ihr, der auf die Geiſtin Feuer ſpie, das aber die Geiſtin nicht zu berühren ſchien. Dieſer verſchwand mit der Geiſtin. In das Sacktuch des Mädchens aber war ein großes Loch gebrannt, wie das Innere einer Hand und ob dieſem Loche noch fünf kleinere Löcher wie von fünf Fingern. Es geben die Brandſtellen

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/55>, abgerufen am 27.04.2024.