Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.Das Gewand des Schwarzen kam ihr wie die Kutte Das Gewand des Schwarzen kam ihr wie die Kutte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0042" n="28"/> <p>Das Gewand des Schwarzen kam ihr wie die Kutte<lb/> eines Mönchs vor, wie er auch ſpäter erklärte, daß er<lb/> im Leben ein Mönch geweſen. Am 5. Juli Morgens, als<lb/> die Tochter wieder auf der Wieſe war, rief es mit der<lb/> Stimme ihres Nachbars hinter ihr: „Magdalene! haſt du<lb/> keinen Wetzſtein mitgenommen? Bin heute verkehrt ausge-<lb/> gegangen; ich habe meinen Wetzſtein daheim gelaſſen!“<lb/> Die Tochter wandte ſich um, doch ohne Antwort zu geben<lb/> (was ſie immer auf das ſtandhafteſte vermied, ſelbſt jetzt,<lb/> wann ſie ſicher zu ſeyn glaubte, daß eine wirklich menſch-<lb/> liche Stimme von ihr Antwort begehre), da ſtund der<lb/> ſchwarze Mönch da und ſagte weiter: „Nicht wahr, das<lb/> iſt doch ſchön, wenn man jedesmal wieder dahin darf,<lb/> wo man geweſen iſt? Ich glaube, du kennſt die Leute nicht<lb/> mehr. Das bedeutet deinen Tod, wenn du die Leute nicht<lb/> mehr kennſt. Siehe recht, ich bin ja dein Nachbar. Sage,<lb/> was wollte denn dein Vater mit dem Buche machen, das<lb/> er heute mitnehmen wollte? — Wollte er eine Meſſe leſen?“<lb/> Und dann lachte er ſpöttiſch. (Man hatte dem Vater den Rath<lb/> gegeben, das neue Teſtament mitzunehmen und ſo bald<lb/> die Erſcheinung ſich zeige, ihr dieſe heilige Schrift hinzu-<lb/> halten, aber es unterblieb des Regens wegen.) „Magdalene,<lb/> fuhr er fort, du wetzeſt deine Senſe nicht recht! Sieh! ſo auf<lb/> den Boden muß man ſich ſetzen und die Senſe in den Schooß<lb/> nehmen. Setze dich! Sieh ſo wetze ſie und antworte mir und<lb/> ſey freundlich, dann wirſt du mit <hi rendition="#g">der</hi> Senſe das Moos aus<lb/> der Erde heraus hauen und noch viele blanke Thaler da-<lb/> zu. Halt Magdalene! die Fliegen ſtechen dich (es war ſo),<lb/> ich will dir die Fliegen wehren!“ (Er wehrte ihr wirklich<lb/> die Fliegen und dieſen ganzen Tag kamen keine mehr an<lb/> ſie, wie auch den ganzen Tag wieder ihre Senſe, ohne daß<lb/> man ſie wetzte, ſchnitt.) Dann ſagte er ferner: „Aber Mag-<lb/> dalene! du mußt deinem Vater ſagen, er ſoll mit dir<lb/> nach <hi rendition="#g">Braunsbach</hi> gehen (einem katholichen Orte in der<lb/> Nähe), da wollen wir dann eine Meſſe leſen laſſen, daß<lb/> das Wetter ſchön bleibt, — aber antworten mußt du mir!“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [28/0042]
Das Gewand des Schwarzen kam ihr wie die Kutte
eines Mönchs vor, wie er auch ſpäter erklärte, daß er
im Leben ein Mönch geweſen. Am 5. Juli Morgens, als
die Tochter wieder auf der Wieſe war, rief es mit der
Stimme ihres Nachbars hinter ihr: „Magdalene! haſt du
keinen Wetzſtein mitgenommen? Bin heute verkehrt ausge-
gegangen; ich habe meinen Wetzſtein daheim gelaſſen!“
Die Tochter wandte ſich um, doch ohne Antwort zu geben
(was ſie immer auf das ſtandhafteſte vermied, ſelbſt jetzt,
wann ſie ſicher zu ſeyn glaubte, daß eine wirklich menſch-
liche Stimme von ihr Antwort begehre), da ſtund der
ſchwarze Mönch da und ſagte weiter: „Nicht wahr, das
iſt doch ſchön, wenn man jedesmal wieder dahin darf,
wo man geweſen iſt? Ich glaube, du kennſt die Leute nicht
mehr. Das bedeutet deinen Tod, wenn du die Leute nicht
mehr kennſt. Siehe recht, ich bin ja dein Nachbar. Sage,
was wollte denn dein Vater mit dem Buche machen, das
er heute mitnehmen wollte? — Wollte er eine Meſſe leſen?“
Und dann lachte er ſpöttiſch. (Man hatte dem Vater den Rath
gegeben, das neue Teſtament mitzunehmen und ſo bald
die Erſcheinung ſich zeige, ihr dieſe heilige Schrift hinzu-
halten, aber es unterblieb des Regens wegen.) „Magdalene,
fuhr er fort, du wetzeſt deine Senſe nicht recht! Sieh! ſo auf
den Boden muß man ſich ſetzen und die Senſe in den Schooß
nehmen. Setze dich! Sieh ſo wetze ſie und antworte mir und
ſey freundlich, dann wirſt du mit der Senſe das Moos aus
der Erde heraus hauen und noch viele blanke Thaler da-
zu. Halt Magdalene! die Fliegen ſtechen dich (es war ſo),
ich will dir die Fliegen wehren!“ (Er wehrte ihr wirklich
die Fliegen und dieſen ganzen Tag kamen keine mehr an
ſie, wie auch den ganzen Tag wieder ihre Senſe, ohne daß
man ſie wetzte, ſchnitt.) Dann ſagte er ferner: „Aber Mag-
dalene! du mußt deinem Vater ſagen, er ſoll mit dir
nach Braunsbach gehen (einem katholichen Orte in der
Nähe), da wollen wir dann eine Meſſe leſen laſſen, daß
das Wetter ſchön bleibt, — aber antworten mußt du mir!“
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