Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

im Reiche des Lichts, der Wärme nicht mehr be-
dürfend und ungebunden von der Schwere, oder
im Himmelreich
. Dieß sind die Engel.

Wir sind immer gewohnt, Kraft und Bewegung an die
Materie zu knüpfen, aber das Verhältniß ist just umgekehrt.
Je mehr Masse, desto mehr absorbirt sie die Kraft, je we-
niger Masse, desto freier äußert sich die Kraft, wie wir
deutlich genug bey der magnetischen, electrischen Kraft,
und überhaupt bey allen chymischen Potenzen wahrnehmen.
Der Nervengeist ist eine unermeßliche Kraft, die um so
stärker wirkt, je feiner und ätherischer das Organ ist, dem
er inwohnt. So verhält es sich auch mit den atomistischen
Körpern der Dämonen. Sie sind ohne Masse, aber doch
mit großer Kraft begabt. Sie sind auch nur denen sichtbar,
welche durch ihren Willen sich dem Reiche der Unnatur an-
geignet haben, so wie die Lichtkörper der Genien oder Schutz-
engel nur den Somnambülen sichtbar sind, sobald sie sich
zum positiven Extrem der Verklärung erheben.

Nehmen wir jetzt zu dem, was aus den erwähnten Ord-
nungen sich folgern läßt, noch das hinzu, was die Religion
uns lehrt, so werden die bisherigen Analogieen zu wirk-
lichen Lehrsätzen
erhoben, welche die Wahrheit einer
Unnatur und Uebernatur als wirklich thatsächlich bestehender
Reiche bekräftigen. Das Evangelium spricht vom Satan
und seinem dämonischen Reiche auf eine so unverhohlene
und zuversichtliche Weise, daß es in der That zum Aergerniß
wird, an eine Fiction zu denken.

Aus den bisherigen Sätzen ergeben sich manche bisher
verkannte Wahrheiten:

1) der Unterschied zwischen Natur- und Moral-
gesetzen
.

Alle Naturgesetze gelten nur für die menschliche Na-
tur mit ihren Ordnungen, in so fern sie als Mittelglied
betrachtet wird, aber sie gelten nicht für ihre Extreme.
So lange wir den Menschen in die Proportionen der phy-
sischen, organischen und moralischen Ordnung gestellt denken,

im Reiche des Lichts, der Wärme nicht mehr be-
dürfend und ungebunden von der Schwere, oder
im Himmelreich
. Dieß ſind die Engel.

Wir ſind immer gewohnt, Kraft und Bewegung an die
Materie zu knüpfen, aber das Verhältniß iſt juſt umgekehrt.
Je mehr Maſſe, deſto mehr abſorbirt ſie die Kraft, je we-
niger Maſſe, deſto freier äußert ſich die Kraft, wie wir
deutlich genug bey der magnetiſchen, electriſchen Kraft,
und überhaupt bey allen chymiſchen Potenzen wahrnehmen.
Der Nervengeiſt iſt eine unermeßliche Kraft, die um ſo
ſtärker wirkt, je feiner und ätheriſcher das Organ iſt, dem
er inwohnt. So verhält es ſich auch mit den atomiſtiſchen
Körpern der Dämonen. Sie ſind ohne Maſſe, aber doch
mit großer Kraft begabt. Sie ſind auch nur denen ſichtbar,
welche durch ihren Willen ſich dem Reiche der Unnatur an-
geignet haben, ſo wie die Lichtkörper der Genien oder Schutz-
engel nur den Somnambülen ſichtbar ſind, ſobald ſie ſich
zum poſitiven Extrem der Verklärung erheben.

Nehmen wir jetzt zu dem, was aus den erwähnten Ord-
nungen ſich folgern läßt, noch das hinzu, was die Religion
uns lehrt, ſo werden die bisherigen Analogieen zu wirk-
lichen Lehrſätzen
erhoben, welche die Wahrheit einer
Unnatur und Uebernatur als wirklich thatſächlich beſtehender
Reiche bekräftigen. Das Evangelium ſpricht vom Satan
und ſeinem dämoniſchen Reiche auf eine ſo unverhohlene
und zuverſichtliche Weiſe, daß es in der That zum Aergerniß
wird, an eine Fiction zu denken.

Aus den bisherigen Sätzen ergeben ſich manche bisher
verkannte Wahrheiten:

1) der Unterſchied zwiſchen Natur- und Moral-
geſetzen
.

Alle Naturgeſetze gelten nur für die menſchliche Na-
tur mit ihren Ordnungen, in ſo fern ſie als Mittelglied
betrachtet wird, aber ſie gelten nicht für ihre Extreme.
So lange wir den Menſchen in die Proportionen der phy-
ſiſchen, organiſchen und moraliſchen Ordnung geſtellt denken,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0142" n="128"/>
im Reiche des Lichts, der Wärme nicht mehr</hi> be-<lb/><hi rendition="#g">dürfend und ungebunden von der Schwere, oder<lb/>
im Himmelreich</hi>. Dieß &#x017F;ind die <hi rendition="#g">Engel</hi>.</p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;ind immer gewohnt, Kraft und Bewegung an die<lb/>
Materie zu knüpfen, aber das Verhältniß i&#x017F;t ju&#x017F;t umgekehrt.<lb/>
Je mehr Ma&#x017F;&#x017F;e, de&#x017F;to mehr ab&#x017F;orbirt &#x017F;ie die Kraft, je we-<lb/>
niger Ma&#x017F;&#x017F;e, de&#x017F;to freier äußert &#x017F;ich die Kraft, wie wir<lb/>
deutlich genug bey der magneti&#x017F;chen, electri&#x017F;chen Kraft,<lb/>
und überhaupt bey allen chymi&#x017F;chen Potenzen wahrnehmen.<lb/>
Der Nervengei&#x017F;t i&#x017F;t eine unermeßliche Kraft, die um &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tärker wirkt, je feiner und ätheri&#x017F;cher das Organ i&#x017F;t, dem<lb/>
er inwohnt. So verhält es &#x017F;ich auch mit den atomi&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Körpern der Dämonen. Sie &#x017F;ind ohne Ma&#x017F;&#x017F;e, aber doch<lb/>
mit großer Kraft begabt. Sie &#x017F;ind auch nur denen &#x017F;ichtbar,<lb/>
welche durch ihren Willen &#x017F;ich dem Reiche der Unnatur an-<lb/>
geignet haben, &#x017F;o wie die Lichtkörper der Genien oder Schutz-<lb/>
engel nur den Somnambülen &#x017F;ichtbar &#x017F;ind, &#x017F;obald &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
zum po&#x017F;itiven Extrem der Verklärung erheben.</p><lb/>
          <p>Nehmen wir jetzt zu dem, was aus den erwähnten Ord-<lb/>
nungen &#x017F;ich folgern läßt, noch das hinzu, was die <hi rendition="#g">Religion</hi><lb/>
uns lehrt, &#x017F;o werden die bisherigen Analogieen <hi rendition="#g">zu wirk-<lb/>
lichen Lehr&#x017F;ätzen</hi> erhoben, welche die Wahrheit einer<lb/>
Unnatur und Uebernatur als wirklich that&#x017F;ächlich be&#x017F;tehender<lb/>
Reiche bekräftigen. Das Evangelium &#x017F;pricht vom Satan<lb/>
und &#x017F;einem dämoni&#x017F;chen Reiche auf eine &#x017F;o unverhohlene<lb/>
und zuver&#x017F;ichtliche Wei&#x017F;e, daß es in der That zum Aergerniß<lb/>
wird, an eine Fiction zu denken.</p><lb/>
          <p>Aus den bisherigen Sätzen ergeben &#x017F;ich manche bisher<lb/>
verkannte Wahrheiten:</p><lb/>
          <p>1) <hi rendition="#g">der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen Natur- und Moral-<lb/>
ge&#x017F;etzen</hi>.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Alle Naturge&#x017F;etze</hi> gelten nur für die men&#x017F;chliche Na-<lb/>
tur mit ihren Ordnungen, in &#x017F;o fern &#x017F;ie als Mittelglied<lb/>
betrachtet wird, aber &#x017F;ie gelten nicht für ihre Extreme.<lb/>
So lange wir den Men&#x017F;chen in die Proportionen der phy-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen, organi&#x017F;chen und morali&#x017F;chen Ordnung ge&#x017F;tellt denken,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0142] im Reiche des Lichts, der Wärme nicht mehr be- dürfend und ungebunden von der Schwere, oder im Himmelreich. Dieß ſind die Engel. Wir ſind immer gewohnt, Kraft und Bewegung an die Materie zu knüpfen, aber das Verhältniß iſt juſt umgekehrt. Je mehr Maſſe, deſto mehr abſorbirt ſie die Kraft, je we- niger Maſſe, deſto freier äußert ſich die Kraft, wie wir deutlich genug bey der magnetiſchen, electriſchen Kraft, und überhaupt bey allen chymiſchen Potenzen wahrnehmen. Der Nervengeiſt iſt eine unermeßliche Kraft, die um ſo ſtärker wirkt, je feiner und ätheriſcher das Organ iſt, dem er inwohnt. So verhält es ſich auch mit den atomiſtiſchen Körpern der Dämonen. Sie ſind ohne Maſſe, aber doch mit großer Kraft begabt. Sie ſind auch nur denen ſichtbar, welche durch ihren Willen ſich dem Reiche der Unnatur an- geignet haben, ſo wie die Lichtkörper der Genien oder Schutz- engel nur den Somnambülen ſichtbar ſind, ſobald ſie ſich zum poſitiven Extrem der Verklärung erheben. Nehmen wir jetzt zu dem, was aus den erwähnten Ord- nungen ſich folgern läßt, noch das hinzu, was die Religion uns lehrt, ſo werden die bisherigen Analogieen zu wirk- lichen Lehrſätzen erhoben, welche die Wahrheit einer Unnatur und Uebernatur als wirklich thatſächlich beſtehender Reiche bekräftigen. Das Evangelium ſpricht vom Satan und ſeinem dämoniſchen Reiche auf eine ſo unverhohlene und zuverſichtliche Weiſe, daß es in der That zum Aergerniß wird, an eine Fiction zu denken. Aus den bisherigen Sätzen ergeben ſich manche bisher verkannte Wahrheiten: 1) der Unterſchied zwiſchen Natur- und Moral- geſetzen. Alle Naturgeſetze gelten nur für die menſchliche Na- tur mit ihren Ordnungen, in ſo fern ſie als Mittelglied betrachtet wird, aber ſie gelten nicht für ihre Extreme. So lange wir den Menſchen in die Proportionen der phy- ſiſchen, organiſchen und moraliſchen Ordnung geſtellt denken,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/142
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/142>, abgerufen am 07.05.2024.