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Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.

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über den Ursprung der Sprachen.
"aus. Aber eben dieses macht die Untersuchung
"des Ursprunges der Sprache so schwer, weil es
"dem in der so sehr verfeinerten bürgerlichen Ge-
"sellschaft erzogenen Menschen überaus schwer fällt,
"sich in die Lage des noch ganz sinnlichen Natur-
"menschen zu versetzen, und auch nur wahrscheinlich
"zu bestimmen, wie derselbe die Gegenstände au-
"ßer sich empfunden, und welchen Gang seine noch
"unausgebildete Seele genommen, wenn sie ihre
"Vorstellungen davon hörbar machen wollte. Der
"erste Anfang der Cultur, sowohl des einzelnen
"Menschen, als des ganzen Geschlechts, fällt im-
"mer in den Zeitpunkt der dunkeln Vorstellungen.
"So wenig wir uns jetzt auf die Entwicklung
"unserer Begriffe in der Kindheit besinnen können,
"so wenig wissen wir auch historisch von der er-
"sten Ausbildung unsers Geschlechts. Fabel und
"Allegorie gehen daher überall vor der wahren Ge-
"schichte voraus, erfordern aber schon einige Cul-
"tur, so wie sich unsere Geisteskräfte schon bis zu
"einem gewissen Grade entwickelt haben müssen,
"wenn wir uns unserer Kindheit in spätern Jah-
"ren, wie im Traume, erinnern wollen. Ein

Volk
D 3


uͤber den Urſprung der Sprachen.
„aus. Aber eben dieſes macht die Unterſuchung
„des Urſprunges der Sprache ſo ſchwer, weil es
„dem in der ſo ſehr verfeinerten buͤrgerlichen Ge-
„ſellſchaft erzogenen Menſchen uͤberaus ſchwer faͤllt,
„ſich in die Lage des noch ganz ſinnlichen Natur-
„menſchen zu verſetzen, und auch nur wahrſcheinlich
„zu beſtimmen, wie derſelbe die Gegenſtaͤnde au-
„ßer ſich empfunden, und welchen Gang ſeine noch
„unausgebildete Seele genommen, wenn ſie ihre
„Vorſtellungen davon hoͤrbar machen wollte. Der
„erſte Anfang der Cultur, ſowohl des einzelnen
„Menſchen, als des ganzen Geſchlechts, faͤllt im-
„mer in den Zeitpunkt der dunkeln Vorſtellungen.
„So wenig wir uns jetzt auf die Entwicklung
„unſerer Begriffe in der Kindheit beſinnen koͤnnen,
„ſo wenig wiſſen wir auch hiſtoriſch von der er-
„ſten Ausbildung unſers Geſchlechts. Fabel und
„Allegorie gehen daher uͤberall vor der wahren Ge-
„ſchichte voraus, erfordern aber ſchon einige Cul-
„tur, ſo wie ſich unſere Geiſteskraͤfte ſchon bis zu
„einem gewiſſen Grade entwickelt haben muͤſſen,
„wenn wir uns unſerer Kindheit in ſpaͤtern Jah-
„ren, wie im Traume, erinnern wollen. Ein

Volk
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[53/0081] uͤber den Urſprung der Sprachen. „aus. Aber eben dieſes macht die Unterſuchung „des Urſprunges der Sprache ſo ſchwer, weil es „dem in der ſo ſehr verfeinerten buͤrgerlichen Ge- „ſellſchaft erzogenen Menſchen uͤberaus ſchwer faͤllt, „ſich in die Lage des noch ganz ſinnlichen Natur- „menſchen zu verſetzen, und auch nur wahrſcheinlich „zu beſtimmen, wie derſelbe die Gegenſtaͤnde au- „ßer ſich empfunden, und welchen Gang ſeine noch „unausgebildete Seele genommen, wenn ſie ihre „Vorſtellungen davon hoͤrbar machen wollte. Der „erſte Anfang der Cultur, ſowohl des einzelnen „Menſchen, als des ganzen Geſchlechts, faͤllt im- „mer in den Zeitpunkt der dunkeln Vorſtellungen. „So wenig wir uns jetzt auf die Entwicklung „unſerer Begriffe in der Kindheit beſinnen koͤnnen, „ſo wenig wiſſen wir auch hiſtoriſch von der er- „ſten Ausbildung unſers Geſchlechts. Fabel und „Allegorie gehen daher uͤberall vor der wahren Ge- „ſchichte voraus, erfordern aber ſchon einige Cul- „tur, ſo wie ſich unſere Geiſteskraͤfte ſchon bis zu „einem gewiſſen Grade entwickelt haben muͤſſen, „wenn wir uns unſerer Kindheit in ſpaͤtern Jah- „ren, wie im Traume, erinnern wollen. Ein Volk D 3

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Zitationshilfe: Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/81>, abgerufen am 07.05.2024.