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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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steif und schweigend gleich einer hölzernen Puppe, während
die Gouvernante die Unterhaltung führte und Leodegar
genug zu thun hatte, ihr zu antworten. Als sie auf
eine Bemerkung hin, die er wegen des Scarabäen an sie
richtete, die Brosche losmachte und ihm zum Beschauen
in die Hand gab, wollte mir das beinah' das Herz ab¬
drücken; voll Eifersucht ergriff ich eine Flasche, um nur
auch etwas zu thun, und goß dem Gaste in der Ver¬
wirrung das Glas so voll, daß es überlief und der rothe
Wein das Tischtuch befleckte. Fräulein Hansa schenkte mir
einen kleinen sehr anständigen Verweis nicht; bündiger
machte es die Wirthschafterin, die ihre geistliche Gelassen¬
heit vergessend mit einem weißen Tüchlein herbeikam, die
Verwüstung bedeckte und einen verdrießlichen Blick nach
mir abschoß. Das Wasser trat mir in die Augen; ich
wußte nicht, wo ich hinblicken sollte, sah aber dann ver¬
stohlen nach Leodegar, der mir lachend und wohlwollend
zunickte und seinen alten Scherz erneuerte. Ei, gute
Lucie, sagte er, wenn Du so ungeschickt bleibst, so können
wir uns noch nicht heirathen.

Die zwei älteren Personen mochten den Scherz, den
sie von früher her kannten, nicht mehr für angemessen
halten; denn sie lächelten etwas säuerlich dazu. Ich hingegen
wurde roth und fühlte mich nichtsdestoweniger beruhigt,
weil das unverhofft verlautende Wort meinen alten kind¬
lichen Glauben an den Ernst und die Wahrhaftigkeit des¬
selben bestätigte.

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ſteif und ſchweigend gleich einer hölzernen Puppe, während
die Gouvernante die Unterhaltung führte und Leodegar
genug zu thun hatte, ihr zu antworten. Als ſie auf
eine Bemerkung hin, die er wegen des Scarabäen an ſie
richtete, die Broſche losmachte und ihm zum Beſchauen
in die Hand gab, wollte mir das beinah' das Herz ab¬
drücken; voll Eiferſucht ergriff ich eine Flaſche, um nur
auch etwas zu thun, und goß dem Gaſte in der Ver¬
wirrung das Glas ſo voll, daß es überlief und der rothe
Wein das Tiſchtuch befleckte. Fräulein Hanſa ſchenkte mir
einen kleinen ſehr anſtändigen Verweis nicht; bündiger
machte es die Wirthſchafterin, die ihre geiſtliche Gelaſſen¬
heit vergeſſend mit einem weißen Tüchlein herbeikam, die
Verwüſtung bedeckte und einen verdrießlichen Blick nach
mir abſchoß. Das Waſſer trat mir in die Augen; ich
wußte nicht, wo ich hinblicken ſollte, ſah aber dann ver¬
ſtohlen nach Leodegar, der mir lachend und wohlwollend
zunickte und ſeinen alten Scherz erneuerte. Ei, gute
Lucie, ſagte er, wenn Du ſo ungeſchickt bleibſt, ſo können
wir uns noch nicht heirathen.

Die zwei älteren Perſonen mochten den Scherz, den
ſie von früher her kannten, nicht mehr für angemeſſen
halten; denn ſie lächelten etwas ſäuerlich dazu. Ich hingegen
wurde roth und fühlte mich nichtsdeſtoweniger beruhigt,
weil das unverhofft verlautende Wort meinen alten kind¬
lichen Glauben an den Ernſt und die Wahrhaftigkeit des¬
ſelben beſtätigte.

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[387/0397] ſteif und ſchweigend gleich einer hölzernen Puppe, während die Gouvernante die Unterhaltung führte und Leodegar genug zu thun hatte, ihr zu antworten. Als ſie auf eine Bemerkung hin, die er wegen des Scarabäen an ſie richtete, die Broſche losmachte und ihm zum Beſchauen in die Hand gab, wollte mir das beinah' das Herz ab¬ drücken; voll Eiferſucht ergriff ich eine Flaſche, um nur auch etwas zu thun, und goß dem Gaſte in der Ver¬ wirrung das Glas ſo voll, daß es überlief und der rothe Wein das Tiſchtuch befleckte. Fräulein Hanſa ſchenkte mir einen kleinen ſehr anſtändigen Verweis nicht; bündiger machte es die Wirthſchafterin, die ihre geiſtliche Gelaſſen¬ heit vergeſſend mit einem weißen Tüchlein herbeikam, die Verwüſtung bedeckte und einen verdrießlichen Blick nach mir abſchoß. Das Waſſer trat mir in die Augen; ich wußte nicht, wo ich hinblicken ſollte, ſah aber dann ver¬ ſtohlen nach Leodegar, der mir lachend und wohlwollend zunickte und ſeinen alten Scherz erneuerte. Ei, gute Lucie, ſagte er, wenn Du ſo ungeſchickt bleibſt, ſo können wir uns noch nicht heirathen. Die zwei älteren Perſonen mochten den Scherz, den ſie von früher her kannten, nicht mehr für angemeſſen halten; denn ſie lächelten etwas ſäuerlich dazu. Ich hingegen wurde roth und fühlte mich nichtsdeſtoweniger beruhigt, weil das unverhofft verlautende Wort meinen alten kind¬ lichen Glauben an den Ernſt und die Wahrhaftigkeit des¬ ſelben beſtätigte. 25*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/397>, abgerufen am 25.11.2024.