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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Wirthschafterin nicht weniger als die Gouvernante er¬
staunten trotz ihrer gewohnten Zerstreutheit über meine
Befehle und Anordnungen, und mein Gebaren verblüffte
sie so sehr, daß sie gar keinen Widerspruch erhoben noch
Schwierigkeiten machten, als ich dem Speisezettel immer
neue Dinge hinzufügte, von denen ich wußte, daß er sie
früher liebte.

Ich selber deckte schon in der Morgenfrühe den Tisch
mit dem besten Geräthe, das die Mutter nur bei seltenen
Gelegenheiten einst gebraucht hatte; mit neuer Ver¬
wunderung gab Frau Lise, die Wirthschafterin, das Silber¬
zeug heraus. Als dann der Tisch fertig war und in aller
Herrlichkeit glänzte, zog ich mein schönstes Kleid an und
unterließ nicht, mich mit den kleinen Schätzen zu schmücken,
die man meiner Jugend anvertraut hatte. Auch Fräulein
Hansa putzte sich auf meine Bitte stattlich heraus; sie
rauschte in schwarzer Seide einher, einem Erträgnisse ihrer
Käferhandlung, und hatte einen großen ägyptischen
Scarabäus vorgesteckt, den ihr der Vater geschenkt. Das
Alterthum war aus edlem Stein geschnitten, in Gold ge¬
faßt und zu einer Brustnadel verwendet.

So weit war Alles gut und nach meinem Willen
vollbracht. Aber nun änderte sich die Sache. Als wir
zu Dreien am Tische saßen und uns unter der Aufsicht
der Frau Lise bedienen ließen, sah ich mich plötzlich auf
mein wahres Alter und Zöglingsdasein zurückgewiesen.
Ich wußte nichts zu sagen und thronte in meiner Pracht

Wirthſchafterin nicht weniger als die Gouvernante er¬
ſtaunten trotz ihrer gewohnten Zerſtreutheit über meine
Befehle und Anordnungen, und mein Gebaren verblüffte
ſie ſo ſehr, daß ſie gar keinen Widerſpruch erhoben noch
Schwierigkeiten machten, als ich dem Speiſezettel immer
neue Dinge hinzufügte, von denen ich wußte, daß er ſie
früher liebte.

Ich ſelber deckte ſchon in der Morgenfrühe den Tiſch
mit dem beſten Geräthe, das die Mutter nur bei ſeltenen
Gelegenheiten einſt gebraucht hatte; mit neuer Ver¬
wunderung gab Frau Liſe, die Wirthſchafterin, das Silber¬
zeug heraus. Als dann der Tiſch fertig war und in aller
Herrlichkeit glänzte, zog ich mein ſchönſtes Kleid an und
unterließ nicht, mich mit den kleinen Schätzen zu ſchmücken,
die man meiner Jugend anvertraut hatte. Auch Fräulein
Hanſa putzte ſich auf meine Bitte ſtattlich heraus; ſie
rauſchte in ſchwarzer Seide einher, einem Erträgniſſe ihrer
Käferhandlung, und hatte einen großen ägyptiſchen
Scarabäus vorgeſteckt, den ihr der Vater geſchenkt. Das
Alterthum war aus edlem Stein geſchnitten, in Gold ge¬
faßt und zu einer Bruſtnadel verwendet.

So weit war Alles gut und nach meinem Willen
vollbracht. Aber nun änderte ſich die Sache. Als wir
zu Dreien am Tiſche ſaßen und uns unter der Aufſicht
der Frau Liſe bedienen ließen, ſah ich mich plötzlich auf
mein wahres Alter und Zöglingsdaſein zurückgewieſen.
Ich wußte nichts zu ſagen und thronte in meiner Pracht

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[386/0396] Wirthſchafterin nicht weniger als die Gouvernante er¬ ſtaunten trotz ihrer gewohnten Zerſtreutheit über meine Befehle und Anordnungen, und mein Gebaren verblüffte ſie ſo ſehr, daß ſie gar keinen Widerſpruch erhoben noch Schwierigkeiten machten, als ich dem Speiſezettel immer neue Dinge hinzufügte, von denen ich wußte, daß er ſie früher liebte. Ich ſelber deckte ſchon in der Morgenfrühe den Tiſch mit dem beſten Geräthe, das die Mutter nur bei ſeltenen Gelegenheiten einſt gebraucht hatte; mit neuer Ver¬ wunderung gab Frau Liſe, die Wirthſchafterin, das Silber¬ zeug heraus. Als dann der Tiſch fertig war und in aller Herrlichkeit glänzte, zog ich mein ſchönſtes Kleid an und unterließ nicht, mich mit den kleinen Schätzen zu ſchmücken, die man meiner Jugend anvertraut hatte. Auch Fräulein Hanſa putzte ſich auf meine Bitte ſtattlich heraus; ſie rauſchte in ſchwarzer Seide einher, einem Erträgniſſe ihrer Käferhandlung, und hatte einen großen ägyptiſchen Scarabäus vorgeſteckt, den ihr der Vater geſchenkt. Das Alterthum war aus edlem Stein geſchnitten, in Gold ge¬ faßt und zu einer Bruſtnadel verwendet. So weit war Alles gut und nach meinem Willen vollbracht. Aber nun änderte ſich die Sache. Als wir zu Dreien am Tiſche ſaßen und uns unter der Aufſicht der Frau Liſe bedienen ließen, ſah ich mich plötzlich auf mein wahres Alter und Zöglingsdaſein zurückgewieſen. Ich wußte nichts zu ſagen und thronte in meiner Pracht

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/396>, abgerufen am 25.11.2024.