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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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dagegen Katholikin; er besaß aber so viel Gewalt über
sie, daß sie ohne weitere Umstände den protestantischen
Gottesdienst besuchte und es ohne Widerspruch geschehen
ließ, daß ich in diesem Glauben getauft und erzogen
wurde. Wir stellten so eine ungemischte protestantische
Familie vor, und Niemand wußte es anders. Nicht daß
der Vater ein besonders eifriger und gläubiger Lutheraner
gewesen wäre; nur vertrat er den Grundsatz, daß aus
einem reformirten Hause man nicht mehr rückwärts
schauen solle, und das sogenannte Katholischwerden war
ihm ärgerlich und verächtlich. Im Uebrigen benahm er
sich duldsam und friedlich, und so verhinderte er auch
keineswegs meine selige Mama, mit ihrer besten Jugend¬
freundin, einer stillen Klosterfrau, den alten Verkehr fort¬
zusetzen und dieselbe alljährlich ein oder zwei Mal in
ihren geweihten Mauern heimzusuchen. Bei Lebzeiten
der Eltern bewohnten wir ein Haus in jener Stadt am
Flusse, deren Thürme wir von hier aus sehen können,
wenn das Wetter hell ist. Die Gartenterrasse stieß un¬
mittelbar an das Wasser, zu welchem einige steinerne
Stufen hinunterführten, und am Fuße der Treppe lag ein
leichter Kahn an der Kette, der zu Spazierfahrten auf
dem leise ziehenden Gewässer benutzt wurde. Abwärts
vermochte fast jeder Hausbewohner das Fahrzeug zu
regieren, und wenn wir eine längere Fahrt unternahmen,
kehrte man auf einem der kleinen Dampfboote zurück und
ließ den Nachen anhängen.

dagegen Katholikin; er beſaß aber ſo viel Gewalt über
ſie, daß ſie ohne weitere Umſtände den proteſtantiſchen
Gottesdienſt beſuchte und es ohne Widerſpruch geſchehen
ließ, daß ich in dieſem Glauben getauft und erzogen
wurde. Wir ſtellten ſo eine ungemiſchte proteſtantiſche
Familie vor, und Niemand wußte es anders. Nicht daß
der Vater ein beſonders eifriger und gläubiger Lutheraner
geweſen wäre; nur vertrat er den Grundſatz, daß aus
einem reformirten Hauſe man nicht mehr rückwärts
ſchauen ſolle, und das ſogenannte Katholiſchwerden war
ihm ärgerlich und verächtlich. Im Uebrigen benahm er
ſich duldſam und friedlich, und ſo verhinderte er auch
keineswegs meine ſelige Mama, mit ihrer beſten Jugend¬
freundin, einer ſtillen Kloſterfrau, den alten Verkehr fort¬
zuſetzen und dieſelbe alljährlich ein oder zwei Mal in
ihren geweihten Mauern heimzuſuchen. Bei Lebzeiten
der Eltern bewohnten wir ein Haus in jener Stadt am
Fluſſe, deren Thürme wir von hier aus ſehen können,
wenn das Wetter hell iſt. Die Gartenterraſſe ſtieß un¬
mittelbar an das Waſſer, zu welchem einige ſteinerne
Stufen hinunterführten, und am Fuße der Treppe lag ein
leichter Kahn an der Kette, der zu Spazierfahrten auf
dem leiſe ziehenden Gewäſſer benutzt wurde. Abwärts
vermochte faſt jeder Hausbewohner das Fahrzeug zu
regieren, und wenn wir eine längere Fahrt unternahmen,
kehrte man auf einem der kleinen Dampfboote zurück und
ließ den Nachen anhängen.

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[379/0389] dagegen Katholikin; er beſaß aber ſo viel Gewalt über ſie, daß ſie ohne weitere Umſtände den proteſtantiſchen Gottesdienſt beſuchte und es ohne Widerſpruch geſchehen ließ, daß ich in dieſem Glauben getauft und erzogen wurde. Wir ſtellten ſo eine ungemiſchte proteſtantiſche Familie vor, und Niemand wußte es anders. Nicht daß der Vater ein beſonders eifriger und gläubiger Lutheraner geweſen wäre; nur vertrat er den Grundſatz, daß aus einem reformirten Hauſe man nicht mehr rückwärts ſchauen ſolle, und das ſogenannte Katholiſchwerden war ihm ärgerlich und verächtlich. Im Uebrigen benahm er ſich duldſam und friedlich, und ſo verhinderte er auch keineswegs meine ſelige Mama, mit ihrer beſten Jugend¬ freundin, einer ſtillen Kloſterfrau, den alten Verkehr fort¬ zuſetzen und dieſelbe alljährlich ein oder zwei Mal in ihren geweihten Mauern heimzuſuchen. Bei Lebzeiten der Eltern bewohnten wir ein Haus in jener Stadt am Fluſſe, deren Thürme wir von hier aus ſehen können, wenn das Wetter hell iſt. Die Gartenterraſſe ſtieß un¬ mittelbar an das Waſſer, zu welchem einige ſteinerne Stufen hinunterführten, und am Fuße der Treppe lag ein leichter Kahn an der Kette, der zu Spazierfahrten auf dem leiſe ziehenden Gewäſſer benutzt wurde. Abwärts vermochte faſt jeder Hausbewohner das Fahrzeug zu regieren, und wenn wir eine längere Fahrt unternahmen, kehrte man auf einem der kleinen Dampfboote zurück und ließ den Nachen anhängen.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/389>, abgerufen am 25.11.2024.