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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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stellte. Auf einem grünen Erdreiche stand ein Tannen¬
bäumchen und ein Stäudlein mit zwei rothen Rosen
dazwischen in der Reihe haftete am gleichen Grund und
Boden ein Herz, von welchem ein entzwei geschnittenes
blaues Band flatterte, dessen andere Hälfte an einem
zweiten Herzen hing; und dieses, mit Flügeln versehen,
hatte sich offenbar von dem ersteren losgerissen und flog,
eine goldene Flamme ausströmend, in die Höhe, wahr¬
scheinlich zum Himmel hinan.

Reinhart besah das Blättchen zuerst achtlos, dann
aufmerksamer, da er eben, als er es in das Buch zurück¬
legen wollte, den Inhalt erkannte.

"Was ist das für eine kleine Herzensgeschichte?" fragte
er, "es scheint ja gar leidenschaftlich herzugehen. Das
eine steckt wie eine rothe Rübe im Boden fest, während
das andere feuerspeiend und geflügelt sich empor schwingt!"

Lucie nahm ihm die naive Schilderei aus der Hand,
beschaute sie ebenfalls und sagte dann: "Also hier steckt
das närrische Ding? Es wandert seit Jahren in diesen
Büchern herum und kam mir lange nicht zu Gesicht.
Uebrigens ist es eine Klosterarbeit, die ich selber verfertigte."

Als Reinhart die Sprecherin etwas verwundert ansah
setzte sie erröthend hinzu: "Ich bin nämlich katholisch!"

"Darüber brauchen Sie doch nicht zu erröthen!" meinte
Reinhart, den eine solche Verschiedenheit der Confession
eher belustigte als betrübte. Sie verstand seinen freien
Sinn, wurde aber jetzt ganz roth und sagte mit unwill¬

ſtellte. Auf einem grünen Erdreiche ſtand ein Tannen¬
bäumchen und ein Stäudlein mit zwei rothen Roſen
dazwiſchen in der Reihe haftete am gleichen Grund und
Boden ein Herz, von welchem ein entzwei geſchnittenes
blaues Band flatterte, deſſen andere Hälfte an einem
zweiten Herzen hing; und dieſes, mit Flügeln verſehen,
hatte ſich offenbar von dem erſteren losgeriſſen und flog,
eine goldene Flamme ausſtrömend, in die Höhe, wahr¬
ſcheinlich zum Himmel hinan.

Reinhart beſah das Blättchen zuerſt achtlos, dann
aufmerkſamer, da er eben, als er es in das Buch zurück¬
legen wollte, den Inhalt erkannte.

„Was iſt das für eine kleine Herzensgeſchichte?“ fragte
er, „es ſcheint ja gar leidenſchaftlich herzugehen. Das
eine ſteckt wie eine rothe Rübe im Boden feſt, während
das andere feuerſpeiend und geflügelt ſich empor ſchwingt!“

Lucie nahm ihm die naive Schilderei aus der Hand,
beſchaute ſie ebenfalls und ſagte dann: „Alſo hier ſteckt
das närriſche Ding? Es wandert ſeit Jahren in dieſen
Büchern herum und kam mir lange nicht zu Geſicht.
Uebrigens iſt es eine Kloſterarbeit, die ich ſelber verfertigte.“

Als Reinhart die Sprecherin etwas verwundert anſah
ſetzte ſie erröthend hinzu: „Ich bin nämlich katholiſch!“

„Darüber brauchen Sie doch nicht zu erröthen!“ meinte
Reinhart, den eine ſolche Verſchiedenheit der Confeſſion
eher beluſtigte als betrübte. Sie verſtand ſeinen freien
Sinn, wurde aber jetzt ganz roth und ſagte mit unwill¬

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[377/0387] ſtellte. Auf einem grünen Erdreiche ſtand ein Tannen¬ bäumchen und ein Stäudlein mit zwei rothen Roſen dazwiſchen in der Reihe haftete am gleichen Grund und Boden ein Herz, von welchem ein entzwei geſchnittenes blaues Band flatterte, deſſen andere Hälfte an einem zweiten Herzen hing; und dieſes, mit Flügeln verſehen, hatte ſich offenbar von dem erſteren losgeriſſen und flog, eine goldene Flamme ausſtrömend, in die Höhe, wahr¬ ſcheinlich zum Himmel hinan. Reinhart beſah das Blättchen zuerſt achtlos, dann aufmerkſamer, da er eben, als er es in das Buch zurück¬ legen wollte, den Inhalt erkannte. „Was iſt das für eine kleine Herzensgeſchichte?“ fragte er, „es ſcheint ja gar leidenſchaftlich herzugehen. Das eine ſteckt wie eine rothe Rübe im Boden feſt, während das andere feuerſpeiend und geflügelt ſich empor ſchwingt!“ Lucie nahm ihm die naive Schilderei aus der Hand, beſchaute ſie ebenfalls und ſagte dann: „Alſo hier ſteckt das närriſche Ding? Es wandert ſeit Jahren in dieſen Büchern herum und kam mir lange nicht zu Geſicht. Uebrigens iſt es eine Kloſterarbeit, die ich ſelber verfertigte.“ Als Reinhart die Sprecherin etwas verwundert anſah ſetzte ſie erröthend hinzu: „Ich bin nämlich katholiſch!“ „Darüber brauchen Sie doch nicht zu erröthen!“ meinte Reinhart, den eine ſolche Verſchiedenheit der Confeſſion eher beluſtigte als betrübte. Sie verſtand ſeinen freien Sinn, wurde aber jetzt ganz roth und ſagte mit unwill¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/387>, abgerufen am 25.11.2024.